[87] Schon öfters war Leonhart von Schmoller aufgefordert worden, mit ihm socialistische Kreise zu besuchen, damit er mal einen wirklichen Einblick in die soziale Frage gewinne. Schmoller, der bei allem berechnete, wollte erstlich mit Leonhart's Freundschaft dort paradiren und zweitens wagte er sich lieber zu Zweit in die Löwenhöhle.
Die Gestalt Catilinas und seiner Mitverschworenen tauchte unwillkürlich vor Leonharts Geiste auf. Wie sie sich alle zusammenfanden, die Unglücklichen und die Verbrecher, die Bedrückten und die Verkommenen, die Rachgierigen und Genußgierigen, um sich gegen die satte Gemeinheit der Glücklichen zu verbinden!
So entstand ihm in raschem rohem Entwurf realistischer Urkraft das folgende düstere Fragment, indem er dem herostratisch zerstörenden Größenwahn die wahre schicksalmäßige Größe gegenüberstellte und zugleich den Größenwahn der Weiber-Emanzipation in der Gestalt der vornehmen Catilinarierinnen geißelte, die ihr Kapital in die Verschwörung steckten, um es mit Zins und Zinseszins aus dem Staatsbankrott wieder herauszuschlagen.[88]
Soirée bei Crassus. – – Vorn links Lentulus und Cethegus beim Würfeln. Vorn rechts Antonius junior, Crassus junior, Faustus Sulla junior und Metellus plaudernd.
METELLUS. Ich begreife nicht, warum ich diesem Zeitalter die Ehre anthat, darin geboren zu werden. Stände nicht unsere liebe Verschwörung hinter der Thür, so müßte diese Welt an ihrer eigenen Fäulniß verrecken.
CETHEGUS würfelt. Diese adligen Packesel! Damit verschwört sich's gut! Ein Hochverrath gegen die gesunde Vernunft!
LENTULUS. Ja, ihr »neuen Leute«! Ein Metell! Will was heißen! Zwar kein Cornelier, wie ich –! Bin bekanntlich ein Nachkomme des großen Scipio.
CETHEGUS. Ja, Du bist ein – Nachkomme. Ich stamme bekanntlich von einem Schuster ab. Würfeln.
CRASSUS JUNIOR. Ich erlaube Dir endlich zu schweigen, Freund Metellus! Mit Eurer Verschwörung! Bei Euch hapert's am Blinkenden – das ist doch wahrhaft gesetzwidrig! Geld – das ist Alles!
LENTULUS dreht sich nach dem Sprecher um. Ganz recht. Geld – das ist alles! Er verfällt in eine Straßenpredigt. »Wir aber, wir unglückseliges und unschuldiges Volk, wir hungern – ach, wir haben kein Geld! – Jene, jene glücklichen und schuldigen Menschen, sie prassen: sie haben Geld! Wir aber, wir haben derbe Fäuste und unser Magen knurrt uns wach, Jene faulen auf ihren gepreßten Säcken. Auf denn, Volk, und folgere, was Dir beliebt!«
CETHEGUS. O über die ungekämmte Logik![89]
ANTONIUS ironisch. Zwar, mein lieber Crassus, für die Millionen Deines Erzeugers dürftest Du kaum in bangender Ungewißheit schweben: Die lassen sie heilig und unangetastet!
SULLA. O der alte Crassus! Schlauer Bursche der! »Catilina – anständiges Unternehmen – gut im Gange – läßt sich machen.«
CRASSUS JUNIOR. Wir vom Hause Crassus brauchen's nicht: Sind Geschäftsmänner – größte in der Welt! Kleine Geschäfte verpönt! Alles riesig, großartig, millionarisch!
SULLA. So z.B.: »Königthum nebst Ruhm – Crassus der Erste – ungeheure Anlage – Weltzinsen – mächtiges Geschäft – Rechtschaffenheit wird verbürgt.« He, das war' so was?
ANTONIUS. Uebrigens, mein lieber Sulla, was Deinen hochseligen Vater betrifft – und dann macht er hier republikanische Männchen!
SULLA. Erstaunlich schön! Was gehn denn Dich die Väter andrer Leute an? Dein ehrwürdiger Vater, ein so inniger Verehrer Catilinas – Sprechen bei Seite weiter.
CETHEGUS. Mein Haus gegen Deins! Würfelt. Da liegt der Bettel! Heilige Tonne des Diognes! – Ich sag' Dir, Mensch, ich bin eine lebendige Pfandanleihe. Der nächste Termin bricht mir's Genick! Pah! der große Rechnungstag kommt früher, ja früher. Unterm Galgen ist Alles gleich.
ANTONIUS nach dem Hintergrund blickend. Die Fulvia ist prachtvoll.
SULLA gähnt. Ja, sie ist sehr theuer! Pompeia und Terentia kommen aus dem Hintergrund. Da haben wir Ciceros männliche Hälfte d.h. seine Frau! Und da Caesars Wittwe bei lebendigem Leibe. – Alle Mann ans Ruder! Los! – Des beredten Redners beredte Frau –! Complimentirung.
TERENTIA. Ich danke Eurem Gruß, Quiriten! Was meine bescheidene Beredsamkeit anbelangt –
POMPEIA boshaft. – Ja, ja, meine Theure! Man weiß von den oratorischen Ergüssen, welche Du Deinem Gatten –. Die Nachbarschaft –[90]
TERENTIA hochempört. Was wollen die Nachtmützen? Soll ich nicht die sittliche Würde meines Geschlechtes schirmen, nicht ein rauhes Mahnwort männlicher Tyrannei in die Ohren donnern? Wie Cornelia die edle Römerin zu sagen pflegte – Schwatzen weiter.
Caesar und Fulvia kommen lachend nach vorn.
CAESAR grüßend. Antonius, Deine Toga ist reizend! Crassus, Deine ist abscheulich.
FULVIA. Nun, Cajus, die neueste Mode –?
CAESAR. Die, o schöne Frau, Dein Auge gebietet –
FULVIA. Schmeichler! – Rothe Tunica, weißer Gürtel, freie Locken, Rosen im Haar –
CAESAR. Die Moden wechseln. Eine Mode allein besteht ewig und unbestritten: Deine Schönheit und Dein Lächeln!
Sempronia, Crassus maior und Lucull kommen.
CRASSUS. Nu, meine Freunde, die Mahlzeit, was? Schmal, schmal! Aber hochansehnlich genug. Das ist so unser kleines gemüthliches Convivium. Hat gekostet lumpige 300,000 Drachmen. Nu, kann's ja leisten! Die Austern, hä? Eigene Waare, Specialhandel, feinste Qualität, 30 Sesterzien das Stück. Mache überhaupt in Austern und Fischen. Korinth, Brundisium, Ostia –
LUCULL mit ernster Würde. Nach den Ergebnissen meiner Forschungen sowie nach dem treffenden Urtheil des Metellus Pius kann ich diese Austern nur für verfehlt erklären. Beim Zeus, ich scherze nicht: Zu ernst die Sache! Ich muß diese Prinzipien der Zubereitung – das harte Wort sei gesprochen – verdammen. Wie, wenn jenem duftenden Kleinod an Amphitrites Gewand jener prickelnde Reiz, jenes unerklärliche Etwas mangelt –
CRASSUS verzweifelt. Lucull muß die Prinzipien meines Koches verdammen!
LUCULL. Deß ungeachtet waren die Schnepfen gut – der Priapus nicht unwohlschmeckend – der Ziemer mit Geschmack und Bildung behandelt.
CRASSUS. Ich athme auf. Ja, Bildung – das ist mein Panier! Und Geld, viel Geld! Armuth ist ein Verbrechen.[91]
SEMPRONIA. Den Satz könnte man umkehren.
FULVIA giftig. Sempronia kann doch ihre Freunde von der Gasse nicht schmähen hören!
SEMPRONIA. Fulvia hingegen liebt die vollen Taschen. Je nun, das ist – Erwerbssache!
CRASSUS. Silentium! Ironie stört die Verdauung. – Da kommen die sieben Weisen. Cato und Cicero treten auf. Ah, ehrwürdiger Cato – nehmen wieder stoische Philosophie ein? Flau, flau! Klares Wasser, aber – Wasser!
CATO. Wie mein erhabener Ahnherr Portius Cato zu sagen pflegte – was ist das? Er faßt Caesars Mantel.
CAESAR. Götter! Mein Mantel ist zartfühlend.
CATO. Dies gestutzte, gezackte, verbrämte, geschniegelte Ding – dieses begabest Du mit dem Prädicat: »Mantel«?! O grobe Wolle, als der Römer statt nach den Wohlgerüchen des feilen Ostens nur nach dem Schweiß seiner Arbeit roch!
CETHEGUS auf Cicero losgehend. Ha, unser Retter des Vaterlandes! Da hat er nun deklamirt im stillen Kämmerlein – ja, sie sind fertig, die extemporirten Invectiven, die plötzlichen Begeisterungen, die im Augenblick gebornen Orakel – das Vaterland ruft: er ist wohlpräparirt! Und nun Alles umsonst!
CICERO. Und warum, o geistreicher Jüngling?
CETHEGUS kalt. Das will ich Dir sagen Die Götter überschütten Dich mit Güte: Sie bewahren Dich vor Gefahren, die erst kommen sollen. Denn, mein lieber Cicero, Consul wirst Du nicht.
CICERO. Wir werden sehen.
CETHEGUS. Und wir werden handeln. Wirst Du nicht Consul, – gut für Dich und uns! Wirst Du's, – auch gut für uns! Aber schlimm für Dich. Warum? Weil man Dich am ersten Tage Deines Amtsantritts in Deinem Bette finden wird, die Kehle durchschnitten von einem Ohr zum andern! Dreht ihm den Rücken.
CRASSUS traulich zu Cethegus. Deine Verdauung gedeiht doch? – Na und die politische Verdauung? Die Verschwörung – hat die auch einen guten Magen?
CETHEGUS. Verschwörung? Ich muß sehr bitten –[92]
CRASSUS. Verbindung, natürlich, Patrioten-Verbindung! Nun, Consulwahl ist 'ne harte Nuß, wenn Dolche sie aufknacken. Verdaut ihr viel Stimmen, he? Zieht ihn in den Hintergrund.
CATO zu Lucull. Ich sage, Cicero ist der Mann.
LUCULL. Ein Unmann! Dieser eunuchische Wortekrämer –
CATO. Aus Worten werden Thaten. Ich dächte, Du überließest das mir. Verfügst Du über meine Belesenheit in den Seelen der Menschen? Der theoretisch geschärfte Blick des ergrauten Menschenkenners prüft Herz und Nieren.
LUCULL. Nun, was die Ergrautheit anbelangt, junger Mann –
CATO. Nicht Jahre, sondern Thaten machen alt! Ich spreche stets figürlich.
LUCULL zieht einen Spiegel hervor. Wie? Dann muß ich ja schrecklich viel graue Haare haben!?
CATO verächtlich. Von Thaten des Gedankens rede ich.
Clodius Pulcher (nähert sich).
CAESAR. Was? Ist dies nicht Clodius »der Schöne«?
LUCULL. Der Klopffechter! Der Bandenhäuptling!
CATO. Der Wüstling! Der schändliche Verführer!
CICERO. Und außerdem mein Feind! Dies darf nicht geduldet werden. – Crassus, ich finde denn doch, rein herausgesagt, den Ton Deiner Kreise etwas zu gemischt!
CRASSUS. Ohne Mischung kein feines Gericht – frag' nur die Autorität! Deutet auf Lucull.
CATO. O Zeiten, o Sitten! Anrüchige Individuen –
CRASSUS. Wir sind alle anrüchig! Stellt vor. Hoffnungsvoller Knabe werther Geschäftsfreund. Arbeitet in Gladiatoren, auch ein schätzenswerther Artikel, alter Kunde.
CLODIUS grüßend. Fulvia, mein Leben! – Kastor und Pollux! Lieblich wie bezahlte Schulden, unnahbar wie der Staatsschatz!
FULVIA. Deine Gleichnisse sind wahrhaft zeitgemäß. Leise. Sind meine Befehle vollzogen?
CLODIUS ebenso. Mit alter Treue!
FULVIA laut. Deine Schmeicheleien sind fade.[93]
CLODIUS bemerkt Sempronia, die sich langsam genährt hat. Ah, mein Leben! Kastor und Pollux! Lieblich, wie bezahlte Schulden, unnahbar, wie –
SEMPRONIA ruhig. – der Staatsschatz! Leise. Sind meine Befehle vollzogen?
CLODIUS ebenso. Mit alter Treue! –
SEMPRONIA. Heut um Mitternacht! Ich muß Dich sprechen. Laut. Man kennt Deine lockern Grundsätze – –
CLODIUS. Verbleibe mit Hochachtung! – Ich stehe wahrhaft über den Verhältnissen. Der Meistbietende soll mich haben. Pompeia und Terentia kommen nach vorn. Amor steh mir bei! Ich bin unsterblich verliebt. Ich bin fähig, ja, ich bin fähig, unbezahlt für die Freiheit in den Tod zu gehen für einen Blick ihrer Augen! – Holde Pompeia – ach! Schneidet ihr die Cour.
ANTONIUS im Hintergrund zu Cäsar. Sieh doch! Clodius der Schöne! Deine Frau –
CAESAR – weiß seine Verdienste zu schätzen.
SULLA. Ist's denn wahr, daß er bei Dir Hausfreund –
ANTONIUS. Nicht? Clodius der Schöne –! Man sagt –
CAESAR. Nichts? Das thut man gewöhnlich.
SULLA wichtig zu Antonius. Wieviel wett'st Du auf den nächsten Scheidungsproceß?
CRASSUS. Da kommt der Nachtisch! Gladiatoren treten auf. Eigene Waare. Spezialhandel. Meine Fechterschule in Capua, »schwunghaftes Massengeschäft, nur Solides wird geliefert.«
CICERO. Wieviel werden da wohl so »verbraucht«?
CRASSUS. Hundert bis tausend pro Jahr. Jeden Wahltag geht ein Halbhundert drauf. Empfehle Dir, Cicero. Augenblicklich großer Geschäftsstand: »Raufer flau, Skandalmacher gesucht, Krawallbanden dringend begehrt, Lebensbeendiger große Nachfrage«. Klatscht. Hallo! Und daß ihr Euch das Fell von den Knochen haut! Streut Rosen, Mädchen, duftet, Wohlgerüche, und, Gemetzel, hebe an! Alle drängen sich im Hintergrund um die Fechtenden. Crassus und Cäsar kommen rasch nach vorn.[94]
CRASSUS. Wie ich Dir sagte. Antonius maior will mich sprechen.
CÄSAR. Mich auch. Sprechen wir ihn!
ANTON DER AELTERE rasch eintretend. Verehrter und geschätzter Crassus! Verlegen. Ah, Caesar?
CÄSAR lacht. Ja, ja, Jeden einzeln unter vier Augen, nicht? Ei, wir sind ein Herz und ein Seele Sprechen wir also unter sechs Augen!
CRASSUS. Freund Antonius, Du machst gern ein Geschäft, ich mache auch gern ein Geschäft, Caesar auch; folglich –
CÄSAR. Machen wir ein Geschäft!
CRASSUS. Betrachten wir Euer Capital. Sicher angelegt, he? Consulat fest in der Tasche?
CÄSAR. Römisch: Ihr wollt den Staat ruiniren und wir sollen Euch helfen?
ANTONIUS. Welche Idee! Den Staat? Das heißt –
CÄSAR. Sagen wir, den Adel. Als Vertreter des Volks habe ich nichts dawider – ich hasse ihn.
ANTONIUS. Und hast 100 Ahnen?
CÄSAR. Ich glaube, Du hast 101! Das ist alles Nebensache Was – nützt – es – uns?
CRASSUS. Ihr bildet da eine Gesellschaft und wir legen unser Capital hinein. Aber Garantie, guter Mann!
CÄSAR. Mein theurer Freund, ich bin ein Opfer schnöder Verhältnisse, die heilige Sache der Freiheit hat mir das Herz gebrochen: Wisse, meine Schulden sind unerschöpfliche Danaidenfässer.
CRASSUS. Erlaube mal, mein Sohn, mein Capital geht vor – Ich verlange ein Weltmonopol! Geläufig. Für Eisenwaaren, Kleiderstoffe, Thonproducte, Straßengründung, Straßenbewässerung, Feldberieselung, Tempelbauten – Gehn in den Hintergrund.
CATILINA allein und vermummt, tritt auf und blickt an eine Säule gelehnt in den Festsaal.
Wie hell hier oben! – Goldne Ampeln wiegen
Duftspendend sich und leuchtend am Getäfel,
Den klaren Marmor der geschmückten Halle[95]
Mit einem Strahlenteppich überstreuend.
Gold, Silber, Erz, Purpur und Elfenbein,
Sie lösen sich in einem Meer des Glanzes.
Und unten dunkel alles! – Seht dorthin,
Der einsam matten Fackeln Glimmen seht,
Roth flackernd durch die sternenlose Nacht!
Hört ihr das Hämmern? Seht der Esse Gluth!
Dort brütet der Titanen Stamm, gestürzt
Zur Tiefe durch die himmlischen Despoten,
Und schmiedet seine Waffen wider sie,
Aufschauend unter düstrer Brauen Grimm
Zum blitzestolzen sonnigen Olymp.
Olymp!
Vornehmer Laffen, wohlgesitteter
Schurken und Narren, worteklaubender
Volkspeiniger Tyrannenthrone ihr,
Zwergengeschlecht der angemaßten Götter –
Wie diese Ampel ich herniederreiße
Und in den Grund umstoße ihre Flamme,
Am Estrich sie zerschmetternd – also wird
Der noch gefesselten Titanen Faust
Herniederkommen über eure Giebel.
Auch ich bin ja ein Gott, ja, ein gefallener!
Ein Promethide, der den Feuerstrahl,
In niedere Hütten trug. Ich kostete
Von dem Ambrosia eurer feinen Tücke.
In eurer Himmel gleißnerischem Licht
Bin ich geboren! Bin verstoßen draus,
Viel mehr hab' selber mich daraus verbannt,
Durch die berechnende Vernünftigkeit,
Die götterhohe Selbstgerechtigkeit,
Die Makellosigkeit von euresgleichen!
Schaut mir ins Antlitz! Wie des Meeres Fluth
Durch immer neuer Wogen Schwall den Strand
Nicht wegspült, sondern härtet seine Fläche –[96]
Ward hart mein Herz durch Haß, Verrath und Trug,
Die es bestürmten, und durch Selbstverachtung.
Wie der Simum, der durch die Wüste fährt,
Unwiderstehlich jede Flur versengt,
Nur kahle Oede duldend, – also brennt
Ein einziger Gedanke mir im Hirn
Verdorrend jed' Gefühl, das außer ihm:
Der Rache, der Vergeltung Qualgedanke!
Hört ihr den wirren Sang vom Tiber dort?
Der Freiheit geller Sang ist's! Der Titanen
Dumpfes Gebrüll, das aus dem Aetna tönt
Und der Entladung Flammenschreckniß kündet.
Ketten, zerreißt! Lastende Berge, berstet!
Des Göttersaales stolze Decke bricht,
Begrabend mit sich allen Sonnenflitter. –
Schlaft wohl, ihr Götter! Doch man wird euch wecken.
Atrium im Hause Cäsars. Cäsar geht sinnend auf und ab. Pompeia liest eine Briefrolle.
CÄSAR für sich. Pompeius, Crassus, Catilina – Felsblöcke gegen den Strom meiner Laufbahn. Die Zeit bröckelt an ihnen. Suchen wir sie wider einander zu rollen, auf daß sie sich selbst zerschmettern. Crassus – gefügiger Lehm, Thon für meine Gebilde. Pompeius – dürr und zäh wie verkalkter Sand. Nur ein eiserner Spaten kann ihn lockern. Laut. Pompeia!
POMPEIA. Mein Gemahl?
CÄSAR. Was schreibt Dein Vater?
POMPEIA. Er rüstet zur Heimkehr.
CÄSAR für sich. An der Spitze der siegreichen Legionen aus dem ersiegten Asien weg – Rom wird sein. Schnappt dieser Strohmann mir die Welt vor der Nase weg? Laut. Höre, theure Pompeia, Dein hochverehrter Erzeuger wird hoffentlich durch keinerlei übertriebene Gerüchte aus Deiner Feder über die Lage der Hauptstadt beunruhigt? Du wirst ihn von der Ruhe und Eintracht aller Parteien[97] unterrichten. Die catilinarische Verbindung ist ganz unerheblich, trotz ihres etwas freien Benehmens. Du hast mich verstanden?
POMPEIA. Wie Du befiehlst, mein Gemahl.
CÄSAR für sich. Catilina, der Dritte im Triumvirat der Kräfte – ein Granit, ein starrer Granit. Soll ich ihn stützen? Laut. Pompeia!
POMPEIA. Mein Gemahl?
CÄSAR. Tullia ist Deine Freundin, Cicero ist ihr Mann, sie hat eine geschwätzige Zunge. Du hast mich verstanden.
POMPEIA. Wie Du befiehlst.
CÄSAR für sich. Wo sind meine Adler, meine Schwerter? Wo catilinarische Dolche in meinem Sold? Führer der Demokratie – ein schönes Wort! Mein gemäßigter Pöbel ist nur eine Null ohne Ziffer. Volk!
DIENER meldet. Die erlauchte Fulvia!
FULVIA tritt ein. Ich grüße Dich, Cäsar.
POMPEIA. Ich entferne mich, mein Gemahl. Der Tochter des Pompeius ziemt es nicht – – jetzt hast wohl Du mich verstanden. Sie rauscht an Fulvia ohne Gruß vorüber.
FULVIA gelassen. Die arme Frau steht noch nicht auf der Höhe des Zeitalters.
CÄSAR. Sie ist ein überwundener Standpunkt.
FULVIA. Haha, wenigstens scheinst Du sie überwunden zu haben. Nun, mein Cajus, die neueste Mode – doch was sag ich da! Politik ist ja jetzt das Stichwort. Eine schutzlose Frau wie ich weiß heute nicht aus noch ein, wie ein irrendes Lamm in der Wüste, Naiv. Wie denkst denn Du eigentlich über diesen Catilina?
CÄSAR. O ein ungewöhnlicher Mann!
FULVIA. Nicht wahr? Ganz meine Meinung. Ich schwärme beinah für ihn.
CÄSAR kalt. Ich nicht.
FULVIA. Ach, ich dachte doch? Ich finde manche seiner Pläne –
CÄSAR. Nicht zu billigen, ganz recht.
FULVIA. Ei? Ja, ich werde ihm doch wohl meine Stimme geben.[98]
CÄSAR lacht. Deine Stimme?
FULVIA. Spötter! Ich meine natürlich die Stimme meiner Freunde.
CÄSAR. Paß auf, wenn der Sergier siegt, bekommen die Weiber das allgemeine Stimmrecht.
FULVIA. Ich sag's ja! Catilina ist unser Mann und ich werde nun grade meine Freunde für ihn stimmen.
CÄSAR. Aber nicht Deinen besten Freund. Küßt sie auf den Arm. Ach, wie traurig! So stehn wir uns feindlich gegenüber, zum ersten Mal.
FULVIA. Flattergeist! Ich bin ja noch nicht entschieden. Lauernd. Darum wollte ich mir eben Raths erholen.
CÄSAR kalt. Bei Deinem Freunde Cicero?
FULVIA verwirrt. Wie, Cicero mein Freund? Welch ein Gedanke! Ich – ich nehme ab und zu bei ihm Stunden in der Rhetorik. Das ist jetzt Mode. Wenn man sich zur Aspasia bilden will – – Nein, Deinen Rath möchte ich erbitten als Deine beste Freundin.
CÄSAR kalt. Den behalte ich stets nur für meinen besten Freund: mich selbst.
DIENER meldet. Der hochwohlgeborene Portius Cato und der ehrenwerthe Tullius Cicero wünschen den erlauchten Julius Cäsar zu begrüßen.
FULVIA hastig. Wieder die leidige Politik – ich irrendes Lamm – viel Vergnügen, Cäsar! Besuch mich bald! Rasch ab.
CÄSAR für sich. Die gute Frau fängt an, mir verdächtig zu werden. Sie wollte mich ausholen – cui bono? Cicero und Cato treten auf. Welche Ehre!
PORTIUS räuspert sich. Hm!
CICERO räuspert nach. Hm!
CÄSAR ebenso. Hm! – Ist das Vaterland mal wieder in Gefahr?
CICERO. Es ist so. – Die Stunde der Entscheidung naht. Volk, sammle dich zu deinen Gezelten! Eine Rotte ohne Moral, die das Verderben des Staates auf ihr blutig Banner schrieb –[99]
CÄSAR. Und so weiter. Du willst Consul werden – recht sachgemäß. Der Sergier auch – ebenso sachgemäß. Du willst ihm schaden, er Dir – höchst sachgemäß Verderben des Staates! Je nun, Du weißt mehr als ich!
CICERO. Jener Molch, gedunsen von Blut –
CÄSAR. Hochwerther Mann, ich bin eine schlichte nüchterne Natur und vermag nicht dem Fluge Deiner Rhetorik zu folgen.
CATO. Wie, Julier? Schweig, Cicero – man wagt es – ich sage, schweig! – Menschen ohne Gott und Gebot, wie Catilina –
CÄSAR. Dieser harmlose Taugenichts!
CICERO. Harmlos! O ihr Götter!
CATO. Ich sehe, Julier, wo das hinaus will. Einen gewiegten Praktiker wie mich übertölpeln wir nicht, junger Mann – man ist ein enger Geist. Man suche sich am Postament erhabener Ahnen emporzuranken.
CICERO. Jetzo banne geläutertes Mannesthum der Jugend Frevel in gebührende Schranken! In der Moral nur – da steckt die Kraft. Du lächelst? Ah, Du vermagst mich nicht zu begreifen
CATO. Der Umsturz der gesellschaftlichen Ordnung –
CÄSAR. Unordnung vielleicht. Ein Kampf gegen mottenzerfressene Vorurtheile.
CICERO bitter. Ach ja, die Vorurtheile der Zucht und Sitte hemmen den freien Geist. Was rede ich noch! Die Wahl steht vor der Thür. Siegt Catilina – dann, Rom, gute Nacht! Er soll nicht siegen, ich bin da! Heut gilt es, Freund und Feind zu kennen. Wer nicht für uns ist, ist wider uns. Im Namen der Moral, bekenne Farbe!
CATO. Man wähle gesinnungstüchtig den erprobten Mann der Regierung! Marcus Portius Cato gab dem Cicero seine Stimme – Römer, gehet hin und thuet desgleichen!
CÄSAR lauernd. Die Wahl ist euch ja doch so gut wie gesichert?
CATO. Wehe! Die Verderbniß der Zeit trägt ihre Frucht. Dolch und Gold schrecken und blenden den Sinn der guten Bürger. Geist der Vorzeit, verhülle dein Haupt![100]
CÄSAR. Hochzuverehrende Mitbürger, was hilft dem großen Cicero meine eine arme Stimme!
CICERO wüthend. Cäsar, das ist ebenso lächerlich wie abscheulich. Du kennst Deine Talente so gut wie wir selbst. Du willst nicht helfen. Antonius Maior tritt durch eine Seitenthür hastig ein und bleibt betroffen aus der Schwelle stehn. Ihm folgen Sulla minor und Clodius Pulcher. Betretene Pause. Aha, unser würdiger College in Zukunft, unser würdiges Staatsoberhaupt! Cäsar, es ist genug. Wir überliefern Dich einer würdigeren Genossenschaft. O Moral, Moral!
CATO. Wehe! O Rom, wie tief bist du gesunken! Beide ab.
CÄSAR gelassen. Willkommen, ihr Lieben! Ah, Sulla, welch östlicher Besatz an Deinem Mantel! Deine Locken sind gut gebrannt und die Schminke – laß sehn! Vortrefflich. Ruft. Heda, Marius! Ein Freigelassener kommt. Bring Cäcuber-Wein!
CLODIUS. Marius, wie?
CÄSAR. Sieh da, Clodius Pulcher, welche Freude! Für sich. Was will Der bei mir? Laut. Ja wohl, ich besitze auch einen Sulla. Ich nenne meine Freigelassenen immer nach solchen Urahnen. Ich liebe es, mich am Postament erhabener Vorzeit emporzuranken. Diener bringt Wein.
CLODIUS. Du? Nun, unsre Vorfahren – Dein Wohl, Sprößling des Sulla! – waren groß, aber langweilig. Waren sozusagen nicht von »gutem Ton«.
CÄSAR ernsthaft. Wie wahr! Hat sich was mit ihrer brüllenden Riesenhaftigkeit! Ihr Tigergrimm und Löwenzorn – drollig! Diese Metzeleien aus Rache und Ueberzeugung! Wie anders wir Neueren – nicht, kühner Clodius? Wir morden mit kaltem Blut, wir würgen ohne Leidenschaft – darin sind wir unerreichbar.
CLODIUS. Das ist's, Du verstehst mich ganz. Marius vor Rom, Sonnenuntergang, gewitterschwangere Augenbrauen, kochende Lavagluth der Heldenseele – bah! Wir haben kaltes Erz, wir Gladiatoren, für solche Löwenhitze. Wir Männer der Zukunft – da ist alles kahl, kühl, kalt.[101]
CÄSAR an seine Glatze fahrend. Besonders kahl, geliebter Clodius.
SULLA. Auf Ehre, ganz meine Ansicht. Nur wir stehn auf der Höhe des Jahrhunderts.
CÄSAR. Stehn wir! – Sprechen wir also von Geschäften!
ANTONIUS MAIOR. Nun, ich darf ja sagen, es macht sich. Stimmen wie Heu! Majorität unberechenbar! Ja, das ›Wie‹ ist schon sicher, aber das »Was«!
CÄSAR. Was heißt »Was«?
ANTONIUS MAIOR. Consulat ist ein schön Ding. Wir sind nicht dazu aufgestanden, um ein paar Schulden zu bezahlen. Es giebt noch andre Rechnungen zu begleichen.
CÄSAR gedehnt. Ach, das heißt »Was«? – Lieben Freunde, ich habe zu thun. Ich fahre aus.
CLODIUS eifrig. So? Jetzt gleich?
CÄSAR befremdet. Ja wohl. – Dringende Geschäfte.
SULLA. Ich auch. Mein Schneider wartet.
CLODIUS. Ich schlendre durch die Straßen. Schöne Augen – trala!
SULLA. Ich begleite Dich.
CLODIUS. Danke. Ich jage stets allein. – Dein Diener, Julier! Ab.
ANTONIUS MAIOR. Das »Was«!
CÄSAR. Das »Was«! Antonius und Sulla ab.
CÄSAR allein. Bringt man beide durch, Catilina und diesen Lumpen, so ist die Aristokratie verloren. Mein Schwiegervater, der Säbelmann, soll nur anrücken mit orientalischen Gelüsten – ehe er den Fuß auf italischen Boden setzt, sind wir hier fertig. Laß sehn! Ist dieser Catilina ein geistreicher Schwärmer, – gut. Wagt er's aber mein Doppelgänger zu sein, so eine verpfuschte Copie der Natur nach meinem Bilde, so heißt es: Er oder ich. Einer muß fort. – Er will mich heut sprechen, natürlich geheim. Ja, Vorsicht thut noth. Darum meldete ich schon gestern meiner Dienerschaft an, daß ich um diese Stunde ausfahren würde. – Wohlan, Dictator Catilina, wir werden ja sehn. Er geht ins Innere des Hauses.[102]
CLODIUS tritt nach einer Weile hastig ein und nähert sich vorsichtig. Alles leer. Der Marder im Taubenschlag! Ich versteckte mich hinter die nächsten Säulen und ließ die Andern an mir vorbei. Der Augenblick ist günstig. Cäsar fährt aus, wie seine Diener mir schon gestern verriethen. – Macht dieses dürre Ehegespons mir Schwierigkeiten, so werf ich ihn zum eignen Haus hinaus. Ich bin der Clodius, der alles wagt. – Wer kommt? Er verbirgt sich hinter Hausgeräth. Terentia kommt aus dem Innern des Hauses, von Pompeia begleitet.
TERENTIA. Ja, meine Theure, Fortschritt, Fortschritt über alles, über alles in der Welt! Ich marschirte stets mit dem Zeitgeist. Allgemeines Wahlrecht, vorzüglich Redefreiheit – das ist die Zukunft der weiblichen Jugend. – Vale! Begleite mich nicht weiter. Mein Wagen wartet, in ihm Papirius als Lenker der Rosse.
POMPEIA. Dein Liebhaber? So öffentlich? Dein Mann –
TERENTIA. Mein Mann!! Deine Erziehung scheint doch sehr vernachlässigt. Von Zweien bin ich geschieden, einen brachte ich unter die Erde im Kampf gegen seine tyrannische Anmaßung, und sollte Kikero fürchten?
POMPEIA. Laß Dich mit Catilina trauen – der fürchtet ihn auch nicht.
TERENTIA. Pfui, wie Du redest! Dieser Elende, der den Plebejern und Sclaven den Zeitgeist predigt – nichts habe ich mit ihm gemein. Fortschritt auf meine Kosten – dafür bedank' ich mich. Mein Mann soll sich nur unterstehn, bei der Wahl durchzufallen! Na warte! Ab.
POMPEIA. Sie sind alle so fortgeschritten. Warum schreite ich nicht auch fort? Träumerisch. Dieser Clodius stellt mir fast unziemlich nach. Doch wie hübsch er ist!
CLODIUS aus seinem Versteck hervorstürzend, kniet vor ihr. Herrin!
POMPEIA erschrocken. Minerva schütze! Steh auf! Was willst Du? Mein Gatte –
CLODIUS. Was schiert mich eine Welt in Waffen! In diesem[103] Staube laß mich ewig ruhn, den Dein schneeiger Fuß geweiht! Sieh, meine Seele drängt sich ins entflammte Auge, das Deines sucht!
POMPEIA. Laß mich!
CLODIUS. O Deine Stimme! Brauste rings die Welt in Flammen auf – ich höre sie allein. Nicht wie ein Modeherr in wohlgeschützter Laube von Liebe schwatzt in wohlgesetzten Phrasen – nein, unterm Laubendach sausender Speere, wie's einem Sohn des Mars gebührt, zujubeln möcht' ich Dir: Ich liebe Dich!
POMPEIA. Schone mich und fliehe! Mein Gatte –
CLODIUS. Der ist fern und Niemand hört mich hier als Venus meine Gönnerin. Und mag die Erde selbst erbebend öffnen ihren Schlund – von dieser Stelle weiche ich nicht!
CÄSAR während der letzten Worte eingetreten. Erlaube mir zu zweifeln! Clodius springt auf. In Dein Gemach, Tochter des Pompeius. Unschuldig bist Du? Möglich. Doch an des Cäsar Gattin darf auch nicht der leise Schatten eines Zweifels haften. Pompeia ab. Nun zu uns, mein alter Freund!
CLODIUS trotzig. Straf' mich Mars, Herr! Scheinst ja sehr vertraulich.
CÄSAR kühl. Ich liebe die Herablassung. – Reden wir von Geschäften! Lieber Mann, Du bist in meiner Hand. Ich werde die Sache dem Senat anheimstellen. Mit erschütternder Beredsamkeit – Du hast ja wohl viele Freunde im Senat?
CLODIUS verbissen. Keinen.
CÄSAR. Schade! Der Censor hat also dann die Gewogenheit, Dich Deiner senatorischen Pflichten zu entheben. Sodann markige Rede Cato's über Zeiten und Sitten – dann schimpfliche Ausstoßung – dann groß Geschrei in der Gesellschaft, höflicher Hinauswurf – die Stadt zeigt mit Fingern auf Dich. Ja, es ist 'was Schönes um den gesellschaftlichen Ruf, besonders für Die, so davon leben.
CLODIUS. Ich bin in Deiner Hand.
CÄSAR. So denke Dir mal, ich setzte Dir den Dolch an die Kehle.
CLODIUS mit Humor. Ich denke mir.
CÄSAR. Beantworte demnach meine bescheidenen Fragen gewissenhaft[104] wie unter der Schärfe des Schwertes. – Deine politischen Ansichten interessiren mich. Was bist Du eigentlich?
CLODIUS. Catilinarier, Vorfechter der Menschheit!
CÄSAR rasch. Das ist nicht wahr.
CLODIUS. Auch die Regierung –
CÄSAR. Das ist nicht wahr.
CLODIUS. Je nun, ich fechte auf eigene Faust.
CÄSAR. Das heißt, Du verkaufst Dich dem Meistbietenden. Das bin aber ich.
CLODIUS. Du?
CÄSAR. Ich. Ich ruinire Dich, wenn Du mir widerstrebst. Was willst Du mehr?
CLODIUS lacht. 's ist aber auch wahr! – Was forderst Du?
CÄSAR. Vor allem verfüge ich über Deine Banden für die bevorstehende Wahl. Du magst einen leichten Druck auf die freien Wähler verüben, wirst ihnen mit Knüppel und Messer den rechten Weg weisen. Ein Diener tritt auf und spricht leise mit Cäsar.
CLODIUS. Den rechten? Welchen? Diener ab.
CÄSAR. Schlau bemerkt. Da meldet sich eben der Wegweiser. Zeigt auf ein Nebengemach. Dort hinein. Ich werde Dich rufen. Clodius ab. Pause. Dann tritt Catilina ein, vermummt. Beide grüßen stumm. Catilina schweigt stolz.
CÄSAR. Man sagt. Du hast Dich an Gift gewöhnt. Darum schlägt der Haß aller Götter auch so gut bei Dir an. Du bist sehr stolz.
CATILINA. Ich bin Catilina – was sollt ich anders sein?
CÄSAR trocken. Ein Hochverräther.
CATILINA. Das weiß ja der Koth auf der Gasse. Bah, so reden wir doch! Du giebst mir Deine Stimme zu meiner Wahl?
CÄSAR. Nein.
CATILINA. Nein? Damit wären wir im Reinen. Aber das Wichtigste hast Du vergessen: Dich selbst. Meine Späher nisten in allen Ritzen des Erdballs: Pompeius ist bald wieder da. Ich weiß es so gut wie Du.
CÄSAR kalt. In der That?
CATILINA. Die That wird schon kommen, wenn er kommt mit[105] seinen Legionen. Er ist Dir gram, Dein theurer Schwiegervater. Man weiß, daß Deine Gattin viel über Dich klagt. Eine Ehe ist leicht gelöst.
CÄSAR. Wirklich? Für sich. Ich komm' ihm zuvor, verstoße Pompeia wegen der Clodius-Sache. Laut. Was soll das alles?
CATILINA. Nun, ich dächte, einem so geistvollen Haupt wie Dir fällt die Folgerung nicht schwer. Er kommt an und Du machst Dich aus dem Staube. Denn Deine Rolle ist ausgespielt. Dein meisterliches Schaukeln zwischen den Partheien hilft da nichts mehr.
CÄSAR. Meinst Du, edler Sergier?
CATILINA. Ja, ich meine, edler Julier. Ich meine auch: Wer bezahlt Deine Schulden? Um im Ton des alten Crassus zu reden: »Geschäft ist Geschäft. Wann, theurer Busenfreund?«
CÄSAR leichthin. Wann! Wenn ich meine Provinz habe.
CATILINA. Deine Provinz? Geduld, junger Hahn! Wer verschafft sie Dir? Pompeius? Gewiß nicht. Aber der Consul Catilina tilgt Deine Schulden Pause.
CÄSAR. Bestechung? – Der Consul Catilina? Ich sehe Monarchieen in Deinem Blick. Hebt auf den Schild ihn, den Rebellenkönig!
CATILINA. Ha! – Doch um in Vater Cato's Ton zu reden: ›Cäsar, Du bist des Todes schuldig: Hast von Königen geredet!‹ Pah, ich bins. Für leere Titel bin ich viel zu groß.
CÄSAR für sich. O Wahn der Größe! Laut. Wenn nicht etwa mit dem Sturz vom Tarpejischen Felsen, wie willst Du enden?
CATILINA. Vielleicht, wenn der Tag der Freiheit flammend aufgeht über zerbrochenen Ketten und Lictorbeilen, wenn der Panzer der Adelsnarrheit und das erschlichene Goldkleid der Plutokratie zum Kehricht der Vergangenheit verscharrt, aus dem nur noch historische Lumpensammler ihre Säcke füllen, – dann gieß ich Gift in meinen besten Falerner und mit dem letzten Schluck ruf ich zum letzten Mal: Freiheit! – Vielleicht! vielleicht auch nicht! – Du giebst mir Deine werthe Stimme?
CÄSAR. Vielleicht! vielleicht auch nicht.
CATILINA heftig. Es ist der Worte genug. Ja oder nein?
CÄSAR fest. Lucius Sergius Catilina, Du bist ein großer[106] Mann. Dein Leib ist von Granit und Deine Seele glatt wie die Schlange. Lucius Sergius Catilina, Du bist ein elender Selbstling. Jeder Legionär, der seine verblichene Rüstung putzt, ist ein Gott neben Dir im Wahn Deiner Grüße.
CATILINA. Du bist – – zu Hause.
CÄSAR. Ruhig und höre mich an! Du glaubst die Menschen zu kennen, mich auch? Hoher Menschenkenner, und das ist das Ganze? Wolltest den Cäsar kennen und weißt nicht einmal, daß er ein Römer ist?
CATILINA. Was soll das?
CÄSAR. Ich spreche römisch. Auch meine Toga hat den historischen Zipfel: Krieg oder Frieden! Ich diktire ihn – Du nimmst ihn an. Wo nicht – gut. Aber ich, Julius Cäsar, schwöre bei den Töchtern der Nacht und bei Fortuna, meiner Göttin, sei's geschworen: Mag Säbelheld Pompeius die Welt in einem einzigen Brand in Asche stürzen, wegschreitend über alle Pläne, die mir theuer – ich hindr' ihn nicht. Und risse er sich einen ewigen Ruhm selbst von den Sternen, während müßig ich hier lungere, und kreuzte er mir völlig meiner Bestimmung Laufbahn – mag er's thun! Doch wie der Leu, den man im Rücken faßt, sich auf den Hauptfeind stürzt, der vorn ihm droht, – so stürz ich mich auf Dich, nicht eher rastend, bis Du niedersinkst.
CATILINA. Und was heischest Du so drohend?
CÄSAR. Wage keinen Schritt, der den inneren Bestand des Römerstaats gefährdet! Wohl kenn' ich Deine Verbrüderung mit Etruskern und Samniten. Man faselt von Autonomie der Provinzen, von einer Auflösung in selbstständige Communen, von einem Republiken-Bündel. Hochverrath an der Majestät der Res Publica, der Civitas Romana! Die Demokratie mag siegen, aber nimmer die Anarchie. Eher sterb ich auf den Ruinen des Capitols, ich, Caius Julius Cäsar!
CATILINA für sich. Was werd ich verlieren? Raum. Und gewinnen? Zeit. Laut. Deine Bedingungen?
CÄSAR. Du setzest mich stets in Kenntniß von allen Beschlüssen Deines Bundes. Du verbürgst mir schriftlich Deinen Einfluß für[107] das nächste künftige Consulat, das mir gehört. Und nur ein Catilinarier darf diesmal siegen, Du oder Marc Anton. – Nicht? Wohlan, am Wahltag sehen wir uns wieder.
CATILINA. Es sei. Ich verbürge Dir's. Ironisch. Wie lange gilt der Vertrag?
CÄSAR trocken. Bis die Umstände Dir erlauben ihn zu brechen.
CATILINA. O mein Cäsar, Du kennst meine schwache Seite. Wenn ich bedenke, daß dieser theure Pompeius und die Cäsareaner seines Schwiegersohns sich binnen weniger Monde gegenseitig die Hälse brechen, dann träufeln mir Thränen einer gewissen Rührung hernieder. Lebwohl! Deine Bekanntschaft war mir angenehm.
CÄSAR. Lebwohl! Besuche mich bald wieder! Catilina ab. Er irrt sich in mir. Siegt er, wird er vollen den? Er wird nicht. Nicht Zwei ja schufen die Unsterblichen zum selben Werk. Drum, Catilina, falle!
Boudoir der Fulvia. – Fulvia am Fenster, hinausspähend. Clodius steht hinter ihr.
FULVIA. Eine Schwüle vor'm Gewitter! Alles still. Nur vom Marsfeld her dröhnt das Gewoge der Massen heran, die am Damm der Gesetze rütteln. Die Kugeln, die in die Wahl-Urne rollen, sind heut die ehernen Würfel des Schicksals. Horch, vom Ida donnert der siegspendende Zeus! Ach, das sind ja Märchen. Dreht sich brüsque um. Was bedeutet das, mein Schöner? Du willst nicht?
CLODIUS. Auf Ehre, nein.
FULVIA. Warum nicht? Bist Du schlecht bezahlt?
CLODIUS. Ich verachte schnöde Gewinnsucht. Meine Ehre –
FULVIA. Was hast Du mit der Ehre zu schaffen! Hilf dem Catilina!
CLODIUS. Mein sittliches Gefühl verbietet's Für sich. und Cäsar.
FULVIA. Ei still! Du, der Todfeind Cicero's –
CLODIUS. Nein, nein, Catilina ist das Verderben. Eine Götterstimme sprach zu mir Für sich. und Cäsar. Laut. Doch auch[108] Cicero – ich verschmähe seine Silberlinge. Nie vermöchte er mich zu kaufen!
FULVIA. Weil er kein Geld hat! Ich glaube Dir, edler Patriot. – Bist Dir also selbst eine Partei?
CLODIUS. So ist's. Ich bin mir selbst eine Partei, allein Für sich. mit Cäsar. Sieht hinaus. Wird eine heiße Arbeit, viel Blut. Auf hundert Mann Todte und Verwundete muß ich rechnen.
FULVIA. Auf der Verlust-Nechnung für Schmerzensgelder wohl das Doppelte!
CLODIUS. Tief schmerzet mich Dein Mißtraun. Ich liefre nur solide Waare. Ruft hinaus. He, Sulla!
SULLA draußen. He, Pulcher! Erwünscht! Bin im Augenblick oben!
FULVIA. Man erstürmt schon die Häuser, wie es scheint. Sulla tritt auf. Wie, Cornelius Sulla? Ich empfange nie am Morgen.
SULLA. Nie hätte ich gewagt, Allerschönste – aber dieser Tag bricht alle Schranken. Man ist außer sich. Die Gracchen steigen aus ihren Gräbern, die Welt geht unter und ich bin Wahlbeamter! – Du, Clodius, was ich sagen wollte, der Julier hat uns, dem Jungen Rom, uns von der guten Gesellschaft, eingeschärft, gegen den Sergier zu stimmen. Natürlich, wir stimmen alle mit Cäsar. Ich wette ja immer auf Cäsar's Pferde.
FULVIA. O gesinnungstüchtige Wähler! O Curtiusse, begeistert stürzend in den Schlund – der Geldsäckel!
CLODIUS. An die Arbeit! Ich werde für das Vaterland aus allen möglichen Wunden bluten – und's ihm gehörig auf die Rechnung kerben. Haha! Clodius und Sulla ab.
FULVIA schaut hinaus. Was seh ich? Catilina selbst – wie, er betritt mein Haus! Er kommt hierher? Ich verstehe. Er mißtraut mir und will mich nahe im Auge behalten.
CATILINA mit Sempronia und Cethegus tritt auf, in weißer Toga, aber behelmt. Verzeih uns, liebe Fulvia, wenn wir die traute Bundesschwester stören. Die Lage Deines Pallastes, so nah an den Comitieen, zwingt uns, unser Zelt hier aufzuschlagen. Es[109] trägt ein rothes Banner, dies Zelt, was ja nach alter Römersitte eine bevorstehende Schlacht verkündet.
FULVIA. Um so mehr Ehre für Deine treue Clientin, großer Feldherr.
CATILINA. Cethegus, Du bearbeitest also die zehn ersten Conturien der dritten Klasse. Sprechen leise weiter.
SEMPRONIA. Fulvia, hör mich an!
FULVIA. Was befiehlst Du, o meine Busenfeindin?
SEMPRONIA. Wir hassen uns und haben uns stets gehaßt. Deine kalte Gefallsucht, dies Maskenspiel mit Deiner eignen Seele – ich verachte solche Mummerei. Ich bin ganz Flamme, ganz Leidenschaft.
FULVIA. Wozu diese zarte Mittheilung?
SEMPRONIA. Du wirst es hören. In dem bittern Haß des gemeinsamen Grimms ist mein kleiner Haß nur ein Tropfen. Mein kleines Herz – es schlägt in Catilina's großem Herzen. Drum sei abgethan Liebe und Haß vergangener Tage. Catilina's Feind und wär's mein Bruder – zwischen ihm und mir sei die einzige Brücke das Schwert. Catilina's Freund und wär's meines Vaters Mörder – ihm biet ich die Rechte zu Schutz und Trutz. Du hast Dich uns heimlich zugesellt in letzter Zeit, bist von Cicero abgefallen und bemühst Dich in unsrem Sinne – gut. Aber eins wisse: Ich folge Deinem Schlangenpfad. Hoffe nicht mit gleißender Windung uns zu berücken. Umzüngelst Du uns mit giftigem Verrath, so mag ich untergehn, aber Du mit mir!
FULVIA. Mach Dich nicht lächerlich! Metell tritt auf. Ein neuer Mars mit dem Heldenschweiß!
METELLUS. Schöne Domina, gewähre mir Gastrecht. Bin hierher befohlen. Salutirt vor Catilina. Melde mich zu Diensten Na, da sind wir ja alle beisammen, wir von der Verschwörung.
CETHEGUS. Wie steht's draußen, Meteller?
METELL. Können schlafen gehn. Jetzt wählt sich's ganz von selber. Wer will auch uns 'was anhaben?
CATILINA schwer. Das Fatum.
METELL. Was, dies überwundene Ding will sich unterstehen, mit uns von der Verschwörung zu spaßen? Nichts da![110]
CATILINA. Hm, die Welt ist ein Klumpen Zufall und der Menschen Pläne eine hohle Wahrscheinlichkeitsberechnung. Nimmt seinen Helm ab. Aus diesem Kelch des Kriegs, lüstern nach triefendem Blute, Trankopfer spende ich Dir bald, Fortuna! Umstülpend diese Opferschale, weihend die ersten rothen Tropfen – sei mir fürder günstig! Aus diesem blutigen Kelch will ich mein Glück auf einen Zug in dieser Stunde leeren. Du unsichtbare Macht, die mich gesetzt über der Menschen Scheitel! Du weißt es ja, daß Du mich ausgerüstet und gesandt, um zu vollenden. Aller Zukunft Sterne sie spiegeln sich in meiner dunkeln Seele. Ja, ich bins, keiner sonst. Ich bin allein, ich bin der Herr der Welt.
ALLE. Heil dem Erretter!
FULVIA für sich. Hofnarren ihr! Rast dieser Mensch und steckt euch alle an mit seinem Rasen? Wie der göttliche Sauhirt Eumäos in Mitten seiner Herde, schiebt er dies Gesindel im Kofen hin und her wie ihm beliebt. Laut. Doch halt, was fehlt dem großen Mann?
SEMPRONIA die Andern abwehrend. Ruhe! Kümmert euch nicht darum! Es geht so schnell vorüber wie es kommt. Er leidet an solchen Anfällen.
CATILINA epileptisch erregt, Schaum vor dem Munde, halblaut vor sich hin. Allein? Ich bin nicht allein, bin nicht einsam. Nahen dort nicht die Schatten der Todten? Haha, sie sitzen auf meinem Lager und bohren langsam langsam den Dolch zurück in mein Herz, den Dolch, der das ihre traf. Hei, sie schleifen mich hin an den Rädern der Gedanken und peitschen mit der Geißel der Reue. Fieber des Gewissens, heran! Mir ist so kalt. Einst war ich Stahl, jetzt bin ich Eis. Ich bin abgestorben, verschneit ist jede Blume. Herauf, ihr alten Schatten! Doch ihr wollt nicht kommen, ich bin so vernünftig. – Wie, sollen sie lebend den Titanen schmieden an den Fels ihrer Rache, soll der Geier nach meiner Leber hacken? In den Abgrund stürz ich hinab und Du, o Nacht, empfange den sinkenden Sohn! Hörner hinter der Scene. Schafft mir die todten Augen weg!
SEMPRONIA. Ha, das Zeichen zur letzten Abstimmung! Auf, Sergier, erwache![111]
CATILINA. Ich bin erwacht. – Hinfürder keine Götter neben mir! Wie ein Königstiger will ich jagen durch die ächzende Welt und Generationen erdrücken mit meiner Tatze. Hätt' doch das All der lernäischen Hydra ewig neu aufkeimendes Haupt, daß ohne Ende ich führen könnte den Todesstreich! Ich will euch!
SEMPRONIA. Die Sonne umfließt sein Haupt mit einem Strahlenreif. Schon seh ich das Diadem um seine Schläfe geschlungen.
CETHEGUS. Hör' die Tuben! Sie laden Dich zum Siege, Imperator.
CATILINA setzt den Helm auf. Die Weltgeschichte steckt in diesen Hörnern. Die Arena ist bereit, das Theater voll, die Wetten gebucht. Ich – wette auf mich selber – eine Welt!
Buchempfehlung
Schnitzlers erster Roman galt seinen Zeitgenossen als skandalöse Indiskretion über das Wiener Gesellschaftsleben. Die Geschichte des Baron Georg von Wergenthin und der aus kleinbürgerlichem Milieu stammenden Anna Rosner zeichnet ein differenziertes, beziehungsreich gespiegeltes Bild der Belle Époque. Der Weg ins Freie ist einerseits Georgs zielloser Wunsch nach Freiheit von Verantwortung gegenüber Anna und andererseits die Frage des gesellschaftlichen Aufbruchs in das 20. Jahrhundert.
286 Seiten, 12.80 Euro
Buchempfehlung
1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.
396 Seiten, 19.80 Euro