V.

[39] Man hatte eine Landparthie zu Wasser nach Richmond gemacht – Krastinik, Dorringtons, die O'Donnogan, Alice Egremont. Maud hatte sich entschuldigen lassen: sie räumte vorsichtig ihrer Schwester das Feld.

Die Sonne tauchte wie eine schwefelgelbe runde Glocke in die Themse und schien dann zu versinken, wie ein umgestürzter Goldkelch, der seinen güldenen Strahlenwein langsam verrinnen läßt. Zwischen den schwarzgrünen Taxushecken von Richmond Park blitzte noch hier und da eine grellrothe Centifolie auf; die Fenster des Schlosses von Twikenham glänzten wie Rubinen.

Als man an Pope's Villa vorüber kam, rief Dorrington neckisch: »Nun, spring' aus Land, Dichter Xaver, wie Wilhelm der Eroberer, und küß' den Uferrasen!«

»Warum?« gab Xaver etwas erröthend zurück.

»Um die ganze englische Muttererde der Dichtung Dein Eigen zu nennen.«

Mrs. O'Donnogan und Miß Alice lachten verstohlen.[39] Das Dichterthum des gräflichen Rittmeisters, welches durch Dorringtons wohlwollende Späße nun schon lange bekannt geworden, amüsirte sie.

Die lebhafte Irin hänselte ihn ein wenig. Bei Miß Alice aber mischte sich der Neugierde eine gewisse Verachtung. Wie vulgär! Wozu Verse schmieden! Damit macht man sich nur lächerlich und verräth eine selbstüber, hebende Einbildung. In deutschen Büchern (Alice cultivirte letzthin das Deutsche besonders eifrig, was ja auch ohnehin bei der englischen Gesellschaft in Mode kommt) fand sie dafür die Bezeichnung »Größenwahn«.

Kein Zweifel, der gute Graf litt etwas an Größenwahn.

Nach dem Ausflug kam man in einer kleinen Villa in Chelsea am Themse-Embankment zusammen, welche Dorringtons gehörte, die sie aber nur selten bewohnten, und nahm dort auf dem Balkon den Thee ein. Alice hatte ihren Diener, die O'Donnogan ihren Wagen dorthin bestellt, um sie abzuholen.

Der Abend, der mit purpurnen Fittichen umherfächelte, übergoß alle Wiesen und Bäume mit verschwenderischer Pracht.

»Eine rothe Weihrauchkerze auf dem Tabernakel der Schöpfung!« Krastinik freute sich seiner Gleichnißfindigkeit, eitel wie ein Poet von zwei Semestern. Der wohlwollende Lordunterließ nicht, die Damen auf den Tiefsinn der Krastinikschen Phrase aufmerksam zu machen, worauf auch Milady eine gehörige Erläuterung hinzufügte. Die sogenannte Poesie sollte als Mitgift-Kupplerin herhalten.[40]

Eine eigenthümlich schwermüthige Stimmung bemächtigte sich der kleinen Gesellschaft. Selbst Mrs. O'Donnogan blickte ernst vor sich nieder.

»Wenn man bedenkt, daß auf solchen Abend und auf jede Sonne die Nacht folgt!« sagte sie plötzlich.

»Ganz was ich eben dachte!« hauchte Miß Alice.

»Pah, wer weiß, ob die Nacht nicht der gesunde Schatten des Lichtes ist,« warf Lord Dorrington hin.

»So wie etwa der Tod den Schatten des Lebens bildet.«

»Oder auch umgekehrt,« seufzte die Lady halblaut.

»Sehr richtig, gnädige Tante,« meinte Krastinik.

»Vielleicht ist das Leben grade der leuchtende Schatten, den der Tod wirft. Denn der Tod ist ja doch das eigentliche Sein, zu dem Alles zurückkehrt. Unser Leben – mein Gott, was bedeutet denn das! Eine Art Traumbild zwischen Schlaf und Schlaf, ein kurzes Nachtwachen.«

Niemand antwortete. Nach einer Pause hob der alte Lord an, mit leicht zitternder Stimme: »Ja, das sagst Du wohl so, lieber Xaver. Aber Du bist eigentlich noch zu jung, um recht zu fühlen, wie wahr das ist, was Du sagst. Blickt man so auf sein Leben zurück – well, wir säen und werden doch wohl nimmer ernten. Dies ewige Säen bekommt man satt. Da dreht man sich ewig im selbstumgrenzten Kreis gemeiner Freuden und gemeiner Leiden. Und diese ganze Erde, die so strahlend vor uns liegt – nichts als der Spielball einer unbekannten Gewalt, durch den Abgrund der Ewigkeit hingeschleudert.«

Wieder antwortete Niemand. Nur Miß Egremont hob nach einer Weile ihre ernsthaften Augen zu dem[41] greisen Sprecher auf und lispelte: »Aber das Jenseits, Mylord!« Dies Wort rief gleichsam eine automatische Geistesschwingung in der galanten Irländerin wach und sie schmollte betrübt: »Ach gehn Sie, Sie Skeptiker! So muß man nicht denken, so soll man nicht denken.«

Dorrington zuckte ungeduldig die Achseln und starrte in die scheidende Sonne. Plötzlich sprach seine Gattin:

»Und das Alles, ist noch nicht das Schlimmste. Aber auch wir Menschen verstehn ja einander nicht. Mir ist, als ob keine Seele der anderen lehren könnte, was ihr gelehrt ward, als ob kein Mensch den andern sähe wie er wirklich ist, als ob kein Herz dem andern Herzen ganz bekannt wäre.«

Und die beiden alten Leute seufzten, verloren in allerlei Erinnerungen.

»Ja, man kann sich nie aussprechen,« Miß Alice sah den Grafen mit ihrem ruhigem Lächeln an. »Der Gedanke ist so viel tiefer als die Sprache.«

»Und das Gefühl so viel tiefer als der Gedanke,« hauchte die Irin. »Meinen Sie nicht auch, Graf?«

Die Abendsonne umspielte die schmalen Aeste und über den Stamm selbst lief der röthliche Schimmer fort, so daß sein blasses Braun eine fast zimmetähnliche Färbung erhielt. Das sah gespenstig aus inmitten des goldig durchrispelten grünen Laubwerks, durch das der Lichtball schläfrig blinzelte. Wie das Schuppengewand einer Boa, schillerte die Themse in ihren Windungen. Dann hob sich ein frischer Luftzug im Osten, der die[42] grünen Epheuranken, welche vom Gärtchen her den Balkon umspannen, spielend blähte.

»Ja, ich meine das auch,« erwiderte Krastinik ernst auf die bedeutungsvolle Frage. »Ein schattenhafter Vorhang liegt gleichsam zwischen uns und der übrigen Welt. Und unser tiefstes Vertrauen kann den Vorhang nicht entfernen.«

»So und doch streben wir alle nach Sympathie für einander?« warf Alice schüchtern ein. Krastinik hatte sich erhoben und blickte fest auf die Sprecherin nieder, ohne eine Antwort zu finden. Ueber das Antlitz des alten Lord glitt ein sanftes wohlwollendes Lächeln:

»Nun ja, wir sind wie Säulentrümmer eines zerstörten Tempels, der einst vereint war. Hoffen wir also, daß wir in unsern späten Nachkommen uns vielleicht einst wieder zusammenfügen werden. Aber wer weiß wo, wie und wann?«

Krastinik küßte seiner Tante die Hand und empfahl sich. – »Wir sind heut alle so fabelhaft geistreich gewesen,« lachte die lustige Irin beim Abschiednehmen auf.

»Ich bin ganz melancholisch. – Trifft man Sie nächste Woche auf dem Ball beim Unterstaatssecretär, Herr Graf?« Sie hatte schon ihr Füßchen auf das Trittbrett ihres Wagens gestellt, der auf sie wartete. Miß Egremonts Diener holte sie gleichfalls pünktlich ab.

»Wohl kaum. Ich habe keine Einladung dazu.«

»O! Soll ich – ich bin dort gut bekannt –«

»Zu gütig,« wehrte Jener kühl ab. »Ich dürste gar nicht darnach, mir jeden Abend die Beine in den Leib[43] zu stehen – pardon! Ihre englischen Routs sind doch gar zu ungemüthlich.«

Mrs. O'Donnogan grüßte etwas pikirt, und biß mit erzwungenen Lachen in den sauren Apfel des Refüs. Er hätte doch den Hochgenuß, sie dort zu finden, würdigen sollen! So sind die Männer.

Graf Xaver beschloß, den Weg nach Hause zu Fuß zurückzulegen, und schritt rüstig aus, indem er vor sich hinpfiff: »Ach, ich hab' – sie ja nur – auf die Schu – lter gekü – ßt.«

Der Mond rollte durch das dunkelblaue Himmelsgewölbe und versilberte den jungfräulichen Schnee der Wolkengebirge. Die Sterne tauchten in verschiedenen Gruppen auf und Nebelschlangen stiegen von der Stromseite her wie aus geheimnißvollen Abgründen empor, als hätten sie sich nur vor dem Auge des Tages versteckt gehalten.

Indem er den balsamischen Hauch der Nacht in tiefen Zügen einsog, fühlte Krastinik den Nerv der Erinnerung zuckend berührt. Er fühlte sich über Meer und Land fortgerissen in die heimathlichen Karpathen, wo ihn so oft noch reinerer Nächte Odem erfrischt.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Er dachte an das Panorama der amphitheatralischen Waldberge, mit den röthlichen Felsblöcken und dem Ahorngebüsch, röther bemalt vom Abendroth; mit den gelben Rinnen, welche reißende Wasser zurückgelassen, auf den dunkelblauen schluchtzerrissnen Bergzinnen. Die Silberfäden der Bergbäche verweben sich zu einem Schleier mit[44] den bläulichen Dunstwölkchen um des Berges Kuppe – gemahnend an den Schleier um Jehovas Haupt, so er mit Erdgeborenen auf seinem Sinai redet. O dort an rauhem Abend die Pässe zu durchstreifen, bis der Nachtfrost, von der Aluta aufqualmend, die Mähne des Rosses erstarren macht!

Und nun, wie von inneren Ampeln erleuchtet, röthet sich der Berge Dom. Schon hat der Sonnengott um die goldne Rüstung sein Purpurgewand geschlungen und der Goldzaum der Sonnenrosse, deren freurige Strahlenmähne den Himmel durchwogte und deren Nüster die Mittagsgluth versendete, ist lässig seiner Hand entfallen. Jetzt faltet er die Scharlachbanner seines goldfransigen Zeltes ein und die Lichtpfeile, die er vom Bogen des Horizontes nach allen Richtungen versendet, kehren von selbst, wie des Indianers Wurfgeschoß, in seine Hand zurück, die den Köcher der Dämmerung bereit hält. Jetzt erröthet die Braut seines Bogens, die lächende Erde, unter seinem flammenden Abschiedskuß. Sein leuchtender Fuß gleitet, einen schmalen Lichtstreifen hinfurchend, über den Kamm der Höhen, um jählings in den Schluchten zu verschwinden, deren strömedurstigen Schlund das greise Berghaupt wie einen Pokal an den kalten Schneemund setzt. – –

Welch ein Gemälde!

Ueberm düstern Buchenberg starrt die schroffe Spitze des Schuller, wie von Geisterhänden aus gefrorenem Schnee geballt. In hundertgrätiger Zerklüftung dehnt sich der furchtbare Königsstein. In der Mitte aber baut sich in gewaltiger Herrlichkeit das Riesengestein des Butschetsch[45] empor, über weiten Geviertraum seine steinernen Wurzeln breitend und zum ungeheuren Gebirgsstock sich thürmend in breiter Masse. Mit seinen tiefen Schneerinnen im dunkeln Gneis der Gebirgsschicht und mit der rundgewölbten Firn, scheint er ein Zauberdom mit silberner Kuppel und silbernen Säulenthoren, aus schwarzem Marmorrumpfe gefügt. In der weiteren Ferne aber zieht sich in erhabenem Umriß die Kette der Fogarascher Alpen, über denen erst rosig und glühendroth, dann schwefelgelb und violett die Sonne allmählich verglimmt.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Ja, dort oben in der Stille einsamer Berge fällt alles Kleinliche, Unfreie von der Seele ab, wie morsche Lumpen. Verjüngt und neugeboren, steht der Mensch dem All gegenüber. – Was sollte er hier, in dem Parfüm-Brodem des High Life? Eine reiche Parthie ergattern? Seine hochmüthig vornehme Natur empfand plötzlich einen Ekel an diesem ganzen nichtigen Treiben. Ein Dichter wollte er werden. Nun, das konnte ihm nur gelingen, wenn er sich rein badete von allem Wust und Schmutz des Alltäglichen – nicht hier, eingeklemmt im Pferch der Heerde. Wo hatten die großen englischen Dichter des Jahrhunderts, Scott und Byron, ihre Poesie gefunden? Droben auf den schottischen Haiden, wo Burns und Ossian erstanden. Dorthin zog es ihn wie mit magischer Gewalt. Ihm war, als ob ein Stern über seinem Haupte stehe, der ihn zu dem Betlehem der Dichtung geleiten wolle.

Als er die Treppe seiner Wohnung hinanstieg, hatte er bereits seinen Entschluß gefaßt. Solche plötzlichen unvorhergesehenen[46] Entschließungen waren ihm von Jugend an eigenthümlich, fast ein Bedürfniß gewesen.

Schon am andern Morgen packte er, ging zu dem Tiket Office der Dampferlinie nach Granton-Leith, erfuhr, daß gerade diesen Abend ein Steamer abfahre, und löste ein Retourbillet mit vierwöchentlicher Gültigkeit. Dann schrieb er an Lord Dorrington, um seinen plötzlichen Aufbruch zu entschuldigen, und bat, ihn besonders den Damen empfehlen zu wollen. Leichten Herzens warf er sich endlich in ein Cab und gelangte rechtzeitig nach St. Katharine Docks zu seinem Schiff.

Das weiße Hospital von Greenwich und die grüne Marschfläche von Gravesend, die in der Ferne fast den Wasserspiegel gleich einer schwimmenden Seekrautinsel zu berühren scheint, wichen hinter ihm eher zurück, als er sich seines kühnen Scenenwechsels recht bewußt schien.

Quelle:
Karl Bleibtreu: Größenwahn. Band 1, Leipzig 1888, S. 39-47.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Droste-Hülshoff, Annette von

Ledwina

Ledwina

Im Alter von 13 Jahren begann Annette von Droste-Hülshoff die Arbeit an dieser zarten, sinnlichen Novelle. Mit 28 legt sie sie zur Seite und lässt die Geschichte um Krankheit, Versehrung und Sterblichkeit unvollendet.

48 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon