I.

[51] Eduard Rother befand sich in einer räthselhaften Stimmung, als er von München abfuhr. Mehrere Monate lang war er dort stillvergnügt durch die Bierkneipen umhergebummelt, vom Hofbräu ins Löwenbräu, vom Achaz in die Scholastika, vom Orlando di Lasso in den Rathskeller. Seine Collegen von der edlen Malerzunft hatten wenig Weltschmerz an ihm bemerken können; nur ab und zu war ein Ausdruck mißvergnügter Unruhe über seine Züge gehuscht. Dann zuckte seine Lippe, seine Augen zwinkerten und er hob unbewußt die Hand nach der Schläfe, wie um etwas fortzuscheuchen, das ihn mit grauen Fledermausflügeln umflatterte. Auch wollten ihm Verschiedene angesehen haben, wenn ein Seufzer es unwillkürlich verrieth, daß er irgend eine unglückliche Liebe oder eine verrückte Leidenschaft mit sich herumschleppe. Denn Gewissensbisse konnte man doch kaum vermuthen.

Ein großer Genremaler erinnerte sich noch, daß Rother nervös und verlegen geworden sei, als man ihn gefragt habe, woher der famose Studienkopf stamme, den[51] ein Illustrirtes Blatt kürzlich von ihm veröffentlichte; ob dies Prachtexemplar des weiblichen Kraftadels, »Motiv aus Karl Stielers Hochlandsliedern« einem lebenden Modell abgelauscht sei.

Einem andern Collegen, mit welchem er an den Ufern des Starnberger Sees entlang gepirscht und weiterhin zu einer Sennhütte emporgeklommen war, hatte er einmal, als sie so hoch über allem Thälerqualm im Angesicht der Felskuppen und der Abendröthe den Wein ihrer Feldflaschen schlürften, in weinerlicher Wehmuth zugerufen: »Sollte man nicht denken, daß hier Alles, Alles unter Einem bergtief versunken wäre, was an kleinlichen Begierden und dummen Sentimentalitäten uns in der ungesunden Hitze und Hetze der Großstädte gequält hat! Aber nein – da! Das quält mich noch hier!« Damit hielt er seinem erstaunten Freunde eine Photographie unter die Nase, welche eine weibliche Gestalt in einfachem dunkelm Gewande darstellte.

»Sakra! Ist die aber hübsch! Gratulire zu Deinem Geschmack!«

Da Rother aber in seiner gewöhnlichen süffisanten Manier jeder hübschen Larve die Cour geschnitten und den Schwerenöther gespielt hatte, so war Niemandem auch nur der Gedanke gekommen, daß diesen lebenseifrigen burschikosen Kunstjüngling bei seinen altbairischen Volksstudien zu seinem neuen Bilde »Die Sendlinger Schlacht« ein innerer Ahasver begleite, der ihn nimmer losließ und all seine Gedanken nur einem einzigen Drehpunkte zuschob.

Nur sein intimster Münchener Freund, der geniale[52] Landschaftsmaler Knorrer, war in einer vertrauten Stunde dem Modellgeheimniß des weiblichen Studienkopfes nahegerückt. Und so hatte er ihm denn noch beim Abschied auf dem Bahnhof nachgerufen: »Du! Daß Du mir Deine Berliner Kaltblütigkeit behältst! Manchmal muß man rücksichtslos gegen Andere sein – sei's diesmal gegen Dich selbst! Willst? Daß Du mir Dein ›Motiv‹ nicht wieder aufsuchst! Ich rath's Dir! Such' ein andres Modell! Schäme Dich! Ein solcher Kerl und dies ewige Selbstgequäle! Laß fahren dahin! Sie war die erste nicht – und Du bist nicht der erste.« – –

Berlin! Das mächtige Räderwerk der heimathlichen Weltstadt sanfte und surrte wieder verwirrend um ihn her. Das unverdauliche Kümmelbrot, mit Schmalz beschmiert und mit Schinken belegt, das er eilig als Frühstück hinunterschlang, in der Kutscherkneipe des Anhalter Bahnhofs, die ihm am nächsten lag, weil seine Droschke dort grade hielt – muthete ihn so heimathlich berlinisch an! Billig und schlecht und nur märkischen Mägen verdaubar.

Kaum in seinem Atelier wieder eingebürgert – er bewohnte eine behaglich eingerichtete Junggesellen-Wohnung am Lützowplatz, wenn auch nur aus Atelier und Schlafzimmer bestehend, natürlich dritte Etage –, fühlte Rother den dämonischen Zwang, unverzüglich seiner Schwäche nachzugeben und erröthend den Spuren seiner Liebe zu folgen. Ja, er mußte sich vor sich selber schämen, er war sich seiner Thorheit bewußt, und doch!

Von Erfolgen begünstigt, in äußerlich befriedigenden[53] Verhältnissen, fühlte er sich rastlos von der rasenden Leidenschaft verzehrt, die in ihm gährte und gegen die er vergeblich anzukämpfen suchte. Er mußte sie wiedersehn. Ja, sie, das Modell seines neuen Bildes. Oh dies neue Bild! Er musterte es nochmals. In München auf der Reise war es vollendet. Halb scheu, halb entzückt betrachtete er jetzt sein Werk, als er die Leinwand aus der Verkappung enthülst und auf die Staffelei gestellt hatte. Es stellte eine Baierische Bäuerin im halben Naturzustande vor; soeben hat sie ihr Mieder abgeworfen und blickt schwerathmend zum halboffenen Fenster hinaus, als ob sie etwas erwarte. Und sieh', dort ragt auch schon ein männlicher Kopf über das Fensterbrett empor – gleich wird ihr Liebster nächtlicherweile in ihre Arme fliegen. Dieser männliche Kopf trug die Züge Rothers selbst. Die Bäuerin aber, ein üppigschönes junges Weib mit klassischen Zügen – – er verglich jene Photographie mit ihr, die er stets auf dem Herzen mit sich trug: Ja, sie war erschreckend ähnlich!

Aus dem bairischen Hochland auf der Reise hatte er an sie geschrieben und ihr versichert: Wenn die ganze Welt sie verleumde und ihr 'was nachsage, er glaube fest an sie. Darauf hatte sie ihm sofort in einem reizenden Brief geantwortet, aus welchen er ihr unverzüglich nochmals geschrieben und ihr seine Münchener Adresse angegeben.

Kaum dort angelangt, fand er bereits einen neuen Brief von ihr vor. Sie hatte also ihren Maler nicht vergessen, der sie zuerst als Modell aufgespürt, als sie,[54] eben nach Berlin gelangt, einige Wochen als Buffetière eines Wiener Cafés fungirt hatte. Zuerst hatte sie diesen neuen Beruf mit Eifer erfaßt. Freilich »saß« sie nur zu Kopf und Händen. Gegen alle und jede »Aktstudien« wehrte sie sich energisch. Und endlich erklärte sie, daß das Modellstehen zwar einträglich, aber nicht anständig sei, weil sie ewig von den Herrn Malern, ob jung ob alt, mit zudringlichen Anträgen bestürmt werde. Da ziehe sie es denn doch vor, wieder als Zahlkellnerin in einem Wiener Café ihr Brot zu verdienen, wo sie vor derlei sicher sei. Kurz vor Rothers Abreise hatte sie diesen Vorsatz auch ausgeführt und in einem belebten Lokal dieser Art in der Nähe des Alexanderplatzes ihre neue Stelle angetreten, wo sich auch alsbald ihre auffallende Schönheit als eine Zugkraft bewies. Rother, ihr platonischer Anbeter – angeblich besaß sie keine andern – war also mit der Wunde im Herzen abgedampft. Und nun quälte ihn der Gedanke, was sie wohl von seinem compromittirenden Bilde sagen werde, da sie doch niemals Alt gestanden und ihr Körper von ihm gleichwohl mit so realistischer Deutlichkeit gezeichnet schien, – so daß, was bei ihm verliebte Inspiration, als Indiscretion aufgefaßt werden konnte.

Sie hatte ihn nach München benachrichtigt, daß sie nach Treptow den Sommer hinausgekommen sei, da ihr Wirth dort eine Filiale für die dortigen Sommerfrischler übernommen habe, wobei aber nur die Lieferung des Kaffees u.s.w. ihm oblag, während der dortige Wirth Garten und Lokal als Besitzer weiterführte. – –[55]

Es vergingen keine achtundvierzig Stunden, daß nicht Rother plötzlich in dem alten Café wieder auftauchte. Der Wirth empfing ihn sehr höflich und fragte, ob »Herr Professor« wisse, daß Kathi in Treptow sei. Rother stellte sich unwissend, merkte aber, daß der Wirth recht wohl wußte, daß Kathi mit ihm correspondirt hatte. Am andern Vormittag ging's also nach Treptow. Er suchte und fand das Lokal.

Als er eintrat – es ging durch einen offenen gallerieartigen Vorbau in den geräumigen Garten hinaus – und sich rasch umblickte, sah er Kathi in schwarzem Kleid mit einem Kellner an einem Tisch sitzen. Er blickte sie blitzschnell an – und über sie weg und schritt rasch in den Garten hinaus. Sie war feuerroth geworden und stierte ihn sprachlos an, als sei er eine Geistererscheinung. Es war auch ein überraschender Ueberfall, wahrhaftig. – Er placirte sich an einem Tisch und befahl eine Zeitung, ohne nach ihr hinzuschielen. Sie ließ sich jedoch nicht blicken.

Endlich riß ihm die Geduld und er kritzelte ein paar Worte auf ein Blatt Papier, sie möge mal herauskommen. Der Kellner, dem er die Besorgung aufgetragen, sagte ihm, Frl. Kreutzner sei in ihre Stube gegangen. Da dürfe er nicht hinein, wenn sie sich umziehe. Doch werde er ihr das Schreiben übergeben.

Rother überlegte etwas, dann empfahl er sich, nachdem er noch rasch gespeist, mit dem Bemerken, er werde in ein paar Stunden wiederkommen, und pilgerte lange Zeit im nahen Park umher. Ihm war trotz alledem wohl[56] zu Muth, da die Aufregung sein Blut schneller rollen ließ und er auf das Wiedersehen gespannt war. Alle Vögel zwitscherten von brünstiger Sehnsucht, der heiße duftige Sommernachmittag ließ alle Fibern seines Innern wollüstig erzittern. – –

»Ja, die ist soeben nach Berlin gefahren,« meldete der Oberkellner trocken.

»Was?« Eduard wurde bleich vor Zorn.

»Nach dem Arzt, wie sie sagte. Sie ist krank. Den Zettel habe ich ihr aber gegeben.«

Eduard verkannte nicht, daß sie bei ihrer Kränklichkeit, von der sie ja stets gemunkelt hatte – auch der Kellner versicherte ernsthaft, sie sei schon lange leidend und erst eben von Bettlägerigkeit aufgestanden – wohl des Arztes bedürfen mochte. Gleichwohl schien es doch auffallend, daß sie so gleichsam vor ihm davon rannte.

Er verlangte Schreibzeug und schrieb einen langen Brief, welchen er dann nicht dem Kellner, sondern dem Postkasten anvertraute. Dieser war sehr energisch und bestimmt gehalten: sie möge ihm sagen, was dies Benehmen zu bedeuten habe. Sie solle nun erklären, ob sie wirklich Interesse für ihn habe, wie man nach ihren Briefen vermuthen mußte. Und dergleichen mehr. Er erwarte von ihr binnen wenigen Tagen Antwort.

Eduard wartete. Aber die Antwort kam nicht. So entschloß er sich denn, nach vier Tagen nochmals dorthin zu schreiben. Er werde drei Tage darauf um zwölf Uhr am Eingang des Parkes auf sie warten. Wenn sie dann nicht komme, seien sie für immer geschieden.[57]

In heftiger Aufregung erschien er zur festgesetzten Zeit an jenem Orte. Es war sengend heiß. In jeder Vorübergehenden glaubte er sie nahen zu sehn. Aber sie kam nicht. Endlich wähnte er, sie habe einen andern Eingang gewählt, und rannte im Parke hin und her. Er fand junge Backfische der Sommerwohnungs-Hautevolée, die sich in einen Leihbibliothekschmöker vertieften und auf den vorübereilenden eleganten Fremden schmachtende Blicke warfen.

Aber sie, die er suchte, fand er nicht. Es wurde spät und später. Endlich, nachdem er nochmals den halben Park von einem Eingang zum andern durchkreist, gab er es auf und eilte in den nächsten Biergarten. Dort schrieb er einen Zettel, worin er in barschem Tone anfragte, ob sie verhindert gewesen sei, und sandte den Kegeljungen damit in das Lokal. Nach einer Weile kam derselbe mit der Botschaft zurück: Die sei gar nicht mehr da!

Eduard war zu Muthe, als ob die Erde unter ihm einstürze. Nicht mehr da! So peinlich es ihm war, er mußte sich vergewissern, ging also selbst hinüber. Der Oberkellner, ihn mit zweifelhaften Blicken messend, bekräftigte trocken, daß »Kathi« seit vorigen Dienstag – also seit genau acht Tagen – »ausgerückt« sei und sich ihre Sachen habe nachschicken lassen.

Ein gewisses Mißtrauen sprach sich in Worten und Blicken aus und Eduard fühlte, daß man sein damaliges meteorgleiches Auftauchen mit Kathis Verschwinden in Verbindung setzte. Seine Blässe und Bestürzung trotz seiner scheinbaren Ruhe schien Jenen jedoch auf andre[58] Gedanken zu bringen, und es wurde ihm durch den herzugeeilten Koch sogar die Wohnung »Fräulein Kreutzners« angegeben: In der Gerichtsstraße. Dorthin hatte ein Dienstmann die Sachen abgeholt und ihre Wohnung verrathen; dorthin war auch ein Brief, der vor acht Tagen angelangt, befördert.

Eduard biß sich auf die Lippen, als der Mann ihn forschend ansah: Augenscheinlich war sein Brief gemeint.

Draußen auf der Pferdebahn erkundigte er sich, wie er am nächsten nach der Gerichtsstraße komme. Eine Stadtbahnstation lag in der Nähe und er fuhr denn dorthin.

Seltsame Gedanken quirlten durch sein Hirn. Was bedeutete das Alles? An demselben Tage, wo er erschien, verließ sie den Ort? Und zog sich ganz privat zurück? Was bedeutet das! Ist das Fliehen vor der Liebe? Instinktiv oder beabsichtigt? – Oder hatte vielleicht ein Andrer hierbei die Hand im Spiele?

Station Wedding. – Die Gerichtsstraße, bald erreicht, lag in der grauen Einförmigkeit ihrer Miethskasernen schläfrig da und dehnte sich ordentlich in der Mittagsgluth.

Es war erstickend heiß. In Schweiß gebadet, trat er unter den kalten Hofthorweg eines Hauses mit einer Reihe von Hintergebäuden. Es trug die angegebene Nummer. Einen Portier gab es nicht. Da er annahm, daß sie allein wohne, hoffte er ihren Namen an einer Thür zu finden, als er die engen schmutzigen Treppen hinaufstieg. Doch täuschte er sich. Nur eine Thür, drei Treppen rechts, trug gar keine Namensaufschrift, und obschon er dreimal klingelte, öffnete Niemand Er[59] irrte noch lange im Hofe umher, fragte bei drei verschiedenen Portiers und Vicewirthen, endlich bei dem Hauptwirth, der auf die Frage: ob hier ein Fräulein Kreutzner wohne, eine kalt verneinende Antwort gab. Offenbar hinterließ er mit seinem eleganten Rock einen sonderbaren Eindruck bei den schmutzigen Kinderscharen auf Treppen und Höfen, die ihm verwundert nachgafften.

Die Hitze drückte auf sein Hirn. Asphalt- und Holzpflaster in der Friedrichstadt schienen zu schwitzen, selbst die Steine erweicht zu stöhnen. Was machen! Ah, da blieb nur eins: er fuhr direkt in das Wiener Café. Als er dort erschien und seinen Schoppen Pilsener bestellt hatte, fragte er den dortigen Kellner kurz, ohne weiteres Herumgerede: »Seit wann ist denn die Kathi nicht mehr hier?«

»O schon seit vorigen Dienstag nicht« grölte dieser. »Seit sie der Kerl da herausgenommen hat.«

»Wer?« Eduard fühlte sein Blut erstarren.

»Ach, davon wissen Sie nichts? Nun, der Eberhart.«

»Wer ist denn das? Was weiß denn ich davon?«

»Nun, der hier immer um Kathi herum war. Ach, Sie kennen ihn ja! So Einer mit Bart-Cotelettes, verstehn sie. Der war ja immer auch da, wenn Sie da waren.«

»Jaja, ich erinnere mich,« murmelte Eduard dumpf. »Also der!«

»Er war auch draußen in Treptow und hat sie da besucht. Na, nun hat sie ja, was sie wollte.«

Plötzlich erschien der Wirth des Cafés, Herr Bammer,[60] elegant geschniegelt, wie gewöhnlich. Derselbe schimpfte mit aller Kraft auf die pflichtvergessene »raffinirte Person«, die ihn höchst unangenehm hineingelegt. Der ganze Hergang war folgender gewesen.

An jenem Dienstag vor acht Tagen war Kathi plötzlich erschienen und hatte erklärt, daß sie nie mehr nach Treptow hinausgehe. Der Alte dort sei immer hinter ihr her, und wenn sie der zu Frieden lasse, komme der Junge. – Er, Bammer, habe das für faule Fische erklärt. Nachdem sich dann daraus ein Zank entwickelt, sei sie still geworden und habe sich für krank ausgegeben. Sie müsse zu ihrem Arzte gehn. Dann sei sie um fünf Uhr weggegangen und seitdem nicht wieder gekommen. Eine nähere Nachforschung ergab jedoch, daß sie einen Dienstmann an Herrn Eberhart gesandt. Dieser Mann war ein reicher Holzhändler, ließ sich aber consequent »Herr Hauptmann« anreden, weil er zufällig in diesem Range der Reserve angehörte. Ein boshafter Zufall hatte gewollt, daß der Buchhalter Bammers in der Reichensberger Straße wohnte, und dieser hatte Kathi in aller Frühe dort aus dem Hause Eberharts kommen sehn.

In wortlosem bleichem Grimm erhob sich Rother, nachdem er erfolglos versucht den Gleichgültigen zu spielen, und wanderte heim. Erdrückend schwül lastete sein Leben auf ihm, öde und leer gähnte ihn ein Vacuum von Langeweile und Ekel an. Er hatte innerlich seine ganze Leidenschaft und sein ganzes Gefühl auf eine Karte gesetzt, und diese mit einem einzigen Va-Banque verloren. Wozu dies Leben! Die Befriedigung der Eitelkeit, die man[61] etwa »Ruhm« nennen könnte, dieser erbärmliche Erfolg, den der Künstler erstrebt, widerte ihn an. Die Natur, je mehr er sich in sie versenkte, blieb ihm immer mehr eine steinerne Maske. So klammerte er sich denn mit letzter Kraft an dies erotische Gefühl. Hier lag die geheime Truhe seines Innern, wo er all seine Schätze aufgespeichert. Und nun hatte ein Dieb ihm Alles über Nacht geraubt.

Nein, nicht ein Dieb. Was war der einzelne Mensch, der einzelne Fall! Was galt das ihm! Prüfte er seine Gefühle und sondirte seine Motive, so mußte er sich gestehen, daß er weder jenen großen Unbekannten haßte noch das Weib selber, sondern daß ihm wiederum wie von je das erstickende Bewußtsein mit neidischer Wuth die Brust beklemmte, wie ohnmächtig der arme Künstler mit seinem Anspruch auf Genuß der Welt gegenüberstehe.

Der nichtigste Geselle, der Lieutenant mit der glatten Taille und der Assessor mit dem Wirbelscheitel – von dem parfümduftenden Ladenschwengel und dem goldklimpernden Banquier ganz zu schweigen – spielt in der Welt eine bessere Figur, als der Künstler, der Federheld, der Musikus. Und gar erst beim Weibe! Beim Weibe? Ja gewiß giebt es weiblicher Wesen genug, die für das Romantische schwärmen, die sich von der Verehrung eines Musensohnes geblendet und geschmeichelt fühlen – aber das Praktische siegt im letzten Augenblick ja doch auch hier. Und wäre es auch nicht so, den Künstler zwingt ja nun einmal sein Kultus schöner Sinnlichkeit, das sinnlich Schöne zu begehren – selbst wenn es sich in Gestalt[62] einer Dirne darstellt. Und hier fühlte er sich durch ein räthselhaft Zwingendes dämonisch an dies Mädchen geleitet, das nicht nur seine Sinne, sondern auch sein Herz bis zum letzten Blutstropfen erglühen ließ.

Jetzt war diese Rose also verwelkt und gebrochen, der Wurm hatte sich in sie hineingebohrt. Alles war aus. Eine tiefe Verzweiflung über die Nichtigkeit all seines Strebens und Lebens verdunkelte ihm die klare Vernunft. Sein Groll mußte sich in schmähenden groben Worten Luft machen. Und so ließ er sich denn dazu fortreißen, in einem Café Feder und Tinte fordernd, folgenden Brief nach der Gerichtsstraße zu richten – denn sie wohnte in der That dort, wie er erfuhr; er hatte nur nicht den Namen der Wirthin, Frau Lämmers, gewußt.


»Liebe Kathi!

Mit Vergnügen habe ich erfahren, daß Sie eine ganz gemeine Dirne geworden sind. Nun kann ich ja machen, was ich will. Ich ersuche Sie aber, mir unverzüglich meine Briefe zurückzustellen, deren ich mich natürlich schäme; sonst werde ich mich an Ihren Aushälter halten müssen. Wenn Sie übrigens mal zwanzig Mark brauchen – die will ich schon für Sie daran wenden.«


Aber als er nach Hause in sein einsames Atelier zurückgekehrt war, empfand er tief die Würdelosigkeit dieses Benehmens und sandte einge kurze Zeilen, in edelem Ton gehalten. Sie schlossen: »Es rächt sich Alles auf Erden.«

Er war wie wahnsinnig. Indem seine Phantasie[63] sich geil und lüstern ausmalte, wie das prächtige Weib sich von jenem höheren Stallknecht ihre intimsten Bedürfnisse besorgen lasse, ergriff ihn selbst eine verzehrende Begier.

Nachdem er in schlafloser Nacht seine gramvolle Leidenschaft hin- und hergewälzt, machte er sich am andern Morgen auf. Theils seine Leidenschaft theils seine Eitelkeit, die einen Eklat fürchtete, trieben ihn an, sie nicht loszulassen, sondern auf ihrer Spur zu bleiben. Diesmal benutzte er die Pferdebahn von der Weidendammer Brücke aus. Welch ein endloser Weg, die Chausseestraße und die endlose Müllerstraße entlang! Aber er fand richtig das Haus, und als er drei Treppen rechts im Vordergebäude klingelte – ihm zitterten die Kniee vor Erwartung, als er die schmutzig steile Treppe hinanstieg – öffnete ihm diesmal eine anständig aussehende Frau und bat ihn einzutreten, als er nach Fräulein Kreutzner fragte. Die Dame sei ausgegangen, um eine Stelle zu suchen. »Sind Sie nicht der Herr Agent, den sie erwartete?« Rother brummte etwas Ausweichendes vor sich hin und bat um Schreibzeug. Dann hinterließ er Kathi einen Brief, er werde um fünf Uhr bei ihr vorsprechen. Er beschwöre sie, auf ihn zu hören. Ihr Schicksal liege in ihrer Hand; dies sei sein letztes Wort.

Er fuhr direkt in das Café Bammer zurück und schlürfte mit unbefangenster Miene seinen Eierpunsch, während er aufmerksam horchte. Es erschien nämlich nunmehr eine Gestalt auf der Bildfläche, die von besonderer Wichtigkeit für den Fall sein konnte. Herr Wursteler, ein stets elegant gekleideter, schwarzhaariger und wohlaussehender[64] Dreißiger, wohnte bei seinem Freunde Bammer. Beide waren Spießgesellen aus frühen Jugendtagen und hatten von einander Mancherlei zu verschweigen. Wursteler fröhnte einem kavaliermäßigen Müssiggang, obschon er sich unter dem vieldeutigen Namen »Agent« herumtrieb. Er besaß eine Gattin, welche ziemlich häßlich, aber an ständig aussah und, wegen eines kleinen Batzen Geldes von dem flotten Schwerenöther geehelicht, nun an chronischer Eifersucht leiden mußte. Hinter Kathi war er immer anbetend hergeschlichen, wie Bammer einmal Rother lachend erzählte, und pflegte ihr zärtlich Morgens aufzulauern, wenn sie aus ihrer Stube ins Lokal hinunterkam, wofür er »a sakrische Watschen« schon mehrmals geerntet hatte. – Nun ergab sich aber, daß jene neue Wirthin Kathis durch Wurstelers dieser empfohlen war und daß Wurstelers, wie jetzt herauskam und gestanden wurde, auf Kathis Kosten mit dieser die erste Nacht im Grand Hotel zugebracht hatten, ehe sie zu der Wirthin Frau Lämmers, die ihre Wohnung in der Gerichtsstraße eben erst gemiethet hatte, einzog. Ueber alles Weitere fehlte hingegen auch Wurstelers jede Nachricht; sie brach hier ab.

Auch tauchte jetzt die schwarze Emmy hinterm Buffettisch auf, wo einst Kathi gethront, ihre holde Rivalin. Man sagte ihr nach, daß sie Herrn Bammers stille Schäferstündchen theile und ihr Kammer-Riegel für ihn nicht schließe. Es war, wie sie Rother einmal geklagt hatte, die bekannte Verleumdung der Welt. Sie begrüßte ihn nunmehr mit einem vielsagenden meckernden Kichern – sie lachte immer gezwungen, wie mit dem Magen –,[65] was Rother jedoch absichtlich nicht verstand. Er that natürlich, als ob ihn das sehr lebhafte Gespräch über Kathis Schandthaten nichts angehe. Betreffs des Getroffenwerdens in der Reichensbergerstraße hatte sie nämlich behauptet, in einem scharfen Brief an die Wurstelers, daß sie einfach ihre Wirthin, die ihre Schwester zum Görlitzer Bahnhof brachte, begleitet habe.

»Die Sache ist auch noch nicht aufgeklärt,« bemerkte Wursteler mit Emphase, »dahinter steckt auch noch etwas. Sie hat da irgend ein Verhältniß.«

»Ja,« fiel Frau Wursteler ein, »er hat ihr letzthin mehrmals Briefe geschrieben. Er ist ja wohl in München.« Rother horchte hochauf und bewegte sich unruhig hin und her.

»Ja, jetzt soll er aber wieder hier sein,« machte Wursteler, indem er möglichst unbefangen aussah; Rother, der ihn beobachtete, vermochte durchaus keinen lauernden Seitenblick aufzufangen. »Neulich als sie von Treptow hereinkam, sagte sie so etwas im Allgemeinen: ›Ich denke, er ist verreist und da ist er wieder hier!‹«

»So?« fragte Rother mit etwas heiserer Stimme; er spürte eine gewisse Trockenheit im Halse, als ob er sich in sengender Hitze durch Sandwüsten halb verschmachtet hinschleppe. »Hat sie denn nie gesagt, wer das ist?«

»Nein,« fiel die schwarze Emmy geschwätzig plappernd ein. »Nur etwas war da, so'n Anzeichen. Sie hatte da so'ne Broche, mit einer Schlange drauf – die trug sie immer allein von all ihren Schmucksachen.«

»Ja richtig.« Frau Wursteler warf ihr einen bedeutungsvollen[66] Blick zu. »Sie sagte immer: ›Jajaja, das ist ganz 'was anders. Das trag' ich, weil es mich an Jemand erinnert.‹« Rother räusperte sich verlegen; Bammer aber, der sich eine Zeitlang entfernt hatte und jetzt hinzukommend die letzten Worte hörte, fuhr dazwischen:

»Larifari! Das ist Alles nur Verstellung. He, wie, sie leugnet gar nicht, daß sie sich mit dem Eberhard genossen hat?«

»Ne,« sagte der Kellner, der damals Rother zuerst aufgeklärt hatte. »Traf vorgestern den Eberhart an der Weidendammer Brücke, wie er zu ihr hinausfuhr. Er hielt ein paar Rosen, die sie ihm geschenkt hatte.«

Rother fühlte, wie eine dunkle Blutwelle ihm rothsiedend zum Hirne drang. Er biß sich auf die Lippen und schwieg. Die schwarze Emmy beobachtete ihn, die Andern empfahlen sich aus irgend einem Grunde. Wursteler aber ließ im Vorübergehen an Rother halblaut die Worte fallen: »Glauben Sie nur ja nicht Alles, was hier gered't wird.« Damit entfernte er sich hastig. Rother versank in Nachdenken. Langsam glitten alle vergangenen Vorfälle vor ihm vorüber. Die Thatsache ihres Fliehens vor ihm in Treptow, dann wieder die Mittheilungen der Wurstelers – hier lag irgend ein Geheimniß vor. Er grübelte und grübelte – darüber wurde es halbfünf. In zitternder Haft und unbeschreiblicher Gemüthsverwirrung machte er sich auf den Weg.

»Nun?« fragte er in der Gerichtsstraße an der schon wohlbekannten Thür. Die Wirthin schüttelte den Kopf, er sei immer noch nicht gekommen. Und so stieg er[67] denn schweren Herzens wieder hinab. Er fühlte sich so müde, daß er beim zweiten Treppenabsatz sich athemschöpfend ans Geländer lehnte.

Da plötzlich knarrte die Treppe von einem emporklimmenden Schritt: Wie von einem elektrischen Schlag durchzuckt, fühlte Eduard: Sie war es! Sie, sein Traumbild in einsamen Nächten!

Ja, sie war es! Ihre prachtvolle Gestalt knapp von einem schwarzen einfachen Gewand umschlossen. Als sie ihn erblickte, blieb sie einen Augenblick, zusammenschreckend, stehn. Dann stieg sie etwas schwerfällig die Stufen bis zu ihm empor. Er wartete, bis sie neben ihm stand, auffallend bleich, mit einem finsteren harten Ausdruck der schönen Züge.

»Haben Sie mir nichts zu sagen?«

Sie gab keine Antwort und schritt an ihm vorbei, schweigend, mit erhobenem Haupte. Ihm war buchstäblich, als ob ihn ein schneidendes Schwert durchschnitte. Mark und Bein erzitterten ihm. Und mit zitternder Stimme fragte er nochmals, halb stammelnd und doch bemüht, einen sicheren Befehlton festzuhalten: »Nochmals, haben Sie mir nichts zu sagen? Es ist mein letztes Wort.«

Aber ohne zu antworten stieg sie höher und höher, und ohne sich umzusehen, stieg er hinab, ohne ein weiteres Wort zu verlieren. In seinem Innern gährte und schäumte Unaussprechliches durcheinander. Er traf am Abend einige jüngere Künstler, die ihm docirten, die Liebe sei etwas Unreifes, was unter die Füße getreten werden müsse. Doch mit finsterem Humor vertrat er dagegen[68] die Ansicht, nur durch erotische Leidenschaft werde Außerordentliches zu Tage gefördert. Er selbst docirte dabei ebenso weise als erfahrener Mann, wie die andern Jünglinge mit der misogynischen Weisheitswürde. Aber eine Ahnung von der Lächerlichkeit all dieser reifen Theorieen dämmerte ihm heimlich.

Und siehe da, am andern Morgen erhielt er einen Brief, dessen Adresse-Handschrift ihn schon erbleichen machte:


»Daß ich Ihnen auf der Treppe keine Antwort gegeben, darf Sie wohl nicht wundern. Doch weil ich nicht herzlos sein kann, sende ich Ihnen diese wenigen Zeilen. Was ich diese Tage gelitten, weiß nur ein guter Gott, vor dem allein ich mich zu verantworten habe. Ich wünsche Ihnen nur, daß Sie solche Stunden nie kennen lernen, denn dann könnten Sie die einzig richtige Bedeutung des Wortes Verzweiflung fühlen. Vergessen werde ich die Beleidigungen nie und Gott gebe, daß Ihnen in diesem Falle nicht Ihre eigenen Worte zur Wahrheit werden (es rächt sich Alles auf Erden) und wenn sich nie in Ihrem Leben Jemand mehr über Sie lustig macht als ich es gethan, dann sind Sie der unbehelligste Mensch, den es überhaupt giebt. Nur bitte, lassen Sie mich aus dem Spiele, es sind dies die letzten Zeilen, die Sie von mir je bekommen, ich bin froh, wenn ich meine Ruhe habe.«


Rother war es, als gingen ihm Dolchstiche durch und durch, da er diese einfachen Zeilen leidenschaftlicher Beredsamkeit durchlas. Ja, dachte er, ob die Heerde Dich verbannte, Einer blieb Dir, wundes Reh. Ich, ich allein[69] erkannte dein besseres Ich und wenn Du zu bereuen hast, so wollen wir selbander die Reue tragen. Aller Schmutz in deiner Seele zerstiebt vor meines Geistes Hauch.. Dies Geheimniß deiner Seele soll kein Anderer verstehn.

Da erblühte ihm noch eine seltsame Ueberraschung. Sein Dienstmädchen meldete ihm Herrn Schneidemühl. Dieser Herr führte eine ebenso merkwürdige als fragwürdige Existenz. Seines Zeichens Bildhauer, ernährte er sich von Stukkaturarbeiten, die er fabrikmäßig betrieb, nebenbei aber nahm er mit Vorliebe die Börsen seiner guten Freunde in Anspruch. So ahnte denn Rother nichts Gutes, als sein Freund Schneidemühl ihn freudig »wieder zurück in Berlin« bewillkommete. Seine Erwartungen wurden aber übertroffen; denn, nachdem Schneidemühl seinen Schnurbart verlegen gestrichen, eröffnete er, daß Kathi gestern bei ihm gewesen sei und erschrecklich lamentirt habe. Es ergab sich, daß der geniale Bayer (er war ein Landsmann Kathis) wieder mal umsonst den heiligen Pumpus von Perusia, seinen Schutzpatron, um freigebige Huld ersucht hatte. Auch der würdige Caféwirth Bammer, den er täglich frequentirte, litt in dieser Beziehung an Schwerhörigkeit. Aber Eine war nicht taub geblieben: das war Kathi, die ihm schweren Herzens vierzig Mark geborgt hatte. Nun in ihrer Noth – sie wußte nicht wovon leben – forderte sie die Summe zurück und Schneidemühl fand keinen anderen Ausweg, als Rother darum zu ersuchen. Dieser, natürlich tief ergriffen von diesem neuen Beweis für Kathis edle Gesinnung und von Schneidemühls Schilderung, wie sie vor Schluchzen nicht[70] habe reden können, sandte sofort die Summe per Post an ihre Adresse mit einigen Zeilen voll warmer Hingebung, worin er sich nochmals vertheidigte. – Ein unaufschiebbares Geschäft zwang ihn, am selben Abend nach Dresden zu reisen, wo er mit einem Kunsthändler ein Geschäft zu verhandeln hatte. Aber er wandelte dort wie im Traum umher. Als er rein zufällig in ein schlechtes Haus gerieth, war es ihm unmöglich, auch nur einen Augenblick dort zu verweilen; er empfahl sich den fidelen Genossen, die ihn dorthin gelockt, unter einem Vorwand. Ununterbrochen schwebte ihr Antlitz vor seinen Augen, bleich und in Thränen gebadet. Selbst die Venus von Milo hätte er in diesem Zustand nicht berührt, wenn sich die Göttin selbst ihm zu Füßen geworfen. Seine Venus saß in einem einsamen Kämmerlein im Wedding und weinte sich die Augen blind. Seine Reisetasche schnüren, auf die Bahn stürzen und um Mitternacht zurückdampfen, war ihm das Werk eines willenlosen Instinkts. – –


»Diesmal muß ich meinem Entschluß untreu werden, indem ich Ihnen wieder schreibe und wenn ich Sie nicht kennen würde und nicht wüßte, daß Sie wankelmuthiger sind als ein Schilfrohr, würde ich Ihnen sicher nicht mehr geschrieben haben. Vor allem meinen besten Dank für Ihre Freundlichkeit in Betreff des Herrn Schneidemühl. Böse bin ich Ihnen trotz Ihrer mir unvergeßlichen Beleidigung nicht mehr und verzeihen thue ich es Ihnen aus ganzen Herzen, ich müßte nicht menschlich fühlen können, wenn mir Ihre Zeilen gleichsinnig waren, aber Jemandes Freund oder besser Meiner[71] können Sie nicht sein, denn ich weiß genau, wenn heute Je mand zu Ihnen kommen würde und Ihnen sagte, ich hätte Dies oder Jenes gemacht, wären Sie zu neuen Beleidigungen fähig. Wenn ich Jemand gut bin, man könnte mir über die betreffende Person alles Menschenmögliche sagen, mein eigenes Fühlen und Denken steht mir immer höher, ich würde mir nie in dieser Beziehung eine Blöße geben, für das erste schon deshalb nicht, um Anderen nicht zu zeigen, daß man darunter leidet, und zweitens, schlecht gemacht ist bald Jemand, aber gut machen das geht ja sehr schwer, manchmal auch gar nicht. Trösten Sie sich über mein Schicksal es wird wohl wieder anders werden mit Gottes Hilfe. Herr Bammer hat mich zu schwer beleidigt, aber der ist auch kein Mensch. Gefühle giebt es bei ihm nicht und wenn, dann nur thierische. Ich war bei ihm, was Sie schon wissen, und da hat Er mir selbst gesagt, er hat beim Caffee Verluste gehabt, das heißt sie brauchten in Treptow nicht mehr soviel als wie ich dort war und Bammer mußte ihnen nun die Hälfte Bier abnehmen und da sagte Herr Bammer mit diesen Worten ich wollte mich rächen. Dies ist allerdings eine sehr edle Rache. Glauben Sie mir wohl Herr Rother wenn ich schlecht wäre, dann wäre ich es allerdings so, daß Bammer von seiner Person aus mir was sagen könnte. Denn Jemand Schlechten schont man nicht und Bammer ist nicht der Mann, der dann Rücksicht kennen würde. Aber fragen Sie ihn, ob Er mir was sagen kann, weil aber dies nicht der Fall war, mußte Er es auf[72] solche Art thun. Doch genug davon. Alles rächt sich selbst. Ich wollte erst aus Berlin, nun aber thue ich es gerade nicht, weil es B. gerne haben möchte. Zu fürchten brauche ich mich nicht, aber wie schwer Er mir es macht in Berlin Stelle zu bekommen, mußte ich schon manchesmal empfinden. Aber ich trotze doch, endlich wird mir das Geschick doch wieder freundlicher sein, nach jedem Regen wirds wiederum schön. Also keine Feindschaft mehr zwischen uns Beiden! Leben Sie wohl.

K.K.«


So las er am Morgen bei seiner Rückkunft nach Berlin.

Dieser Brief mit dem Ausdruck echten weiblichen Stolzes, naiver Offenheit und rührender Einfalt trotz einer gewissen Klugheit, Würde und Originalität, die ihr auch in dem confusen und ungebildeten Stil mit den rhetorischen angelernten Wendungen darin noch eigen blieb, brachte Rother zum Entschluß – zu einem Entschluß, der lange genug in ihm herumrumort hatte.

Er schrieb ihr in festem ruhigem Ton, daß er nicht wankelmüthig sei und ihr einen äußersten Beweis davon geben wolle. Ein so makelloses Mädchen, wie sie sich mache, sei sie zwar auch nicht, obschon natürlich die Verleumdungen von ihm nicht mehr geglaubt würden. Jetzt aber wolle er ihr sagen, was er sagen müsse, da sonst sein ganzes Benehmen lächerlich sein würde. Er liebe sie, liebe nicht ihre Schönheit, sondern ihr ganzes eigentliches Wesen. Auch möge sie nicht glauben, daß er sich bei ihr ein Ideal zurecht mache. Aber grade so, wie[73] sie sei, sei sie nun einmal sein Ideal. In ihrer Art müsse er sie ein ganz geniales Weib nennen; denn des Mannes Genie stecke im Kopf, das des Weibes im Herzen. Nur sie könne ihn glücklich machen. Die Mängel ihrer Bildung würden sich schon ausgleichen; und wenn sie ihn liebe, würde ihr das ganz leicht fallen. Jedenfalls aber könne nur sie ihn verstehen, wie nur er ihr Wesen verstände, wo so viel Romantisch-Poetisches sich mit so viel praktischer Klugheit mische.

Kurz denn und rund heraus, er wolle sie heirathen, wenn sie noch etwas warten wolle. Er glaube fest an seinen Stern und er glaube an sie.

In drei Tagen wolle er sich ihre Antwort holen. Bis dahin sei er ihr aufrichtiger und getreuer E.R. –

Die Tage verstrichen ihm wirr und wüst in steter Erregung. Der Tag kam; leider hatte er am Abend eine Verabredung, zu welcher er sich einfinden mußte.

Er mußte die Stadtbahn benutzen, welche über Moabit im Kreise läuft. Wie öde und traurig erschien ihm die Natur, trotz ihres Juli-Grüns – die ersten Vorboten des Herbstes zeigten sich mitten im Sommer, eine tiefmelancholische Stimmung lag über die Hügel und Haiden der märkischen Sand-Umgegend Berlins ausgegossen. Mitten im Sonnenschein fröstelte ihn. Ein krankhaftes Gefühl durchzitterte seinen nervösen Organismus, als sei er ein Stück verrostetes Eisen, das man auf den Schutt werfen müsse. Jeder andre Gedanke, jedes andre erstrebenswerthe Ziel war völlig aus seinem Hirn wie weggebrannt. An der Schürze eines schönen Weibes hing[74] ihm das All. Wie ein Traum im Traum, spann es sich um ihn her. Seine Sinne wirbelten; ihm schwindelte; seinen Magen und seine Eingeweide durchzog eine seltsame Beklemmung, wie nahende Seekrankheit beim Schwanken eines Schiffes. Denn so schien das Schiff des Lebens mit ihm zu schwanken.

Station Wedding!.. Die Station, der lange Bretterzaun, der von ihr entlang führte, die Gerichtsstraße mit ihrem holprigen Pflaster – alles das schien ihm, in der schwülen Beleuchtung des Sommerabends, in seltsame Lichtreflexe getaucht, wie ein wildfremdes symbolisches Etwas. Jeder Stein schien ihn mit lebendigen Augen altklug anzustarren, als besäße er den wahren Schlüssel zu dieser menschlichen Seelenpein; als stände er in geheimnißvoller Beziehung zu dem Schicksal dieser liebeskranken Menschenpflanze, die dem festen Boden entrissen, vom Wind entführt, ziellos, zwecklos, kraftlos, hinzusiechen verdammt.

Ihm war, als ob er umsinken sollte; seine Kniee bebten, als er die schmutzige steile Treppe hinanstieg. Aber er klingelte gefaßten Muthes.

»Ist Fräulein Kreutzner zu Hause?«

»Gewiß,« sagte die Wirthin höflich. »Bitte, treten Sie um hier ein. Ich werde sie rufen; sie ist mal runtergegangen.«

Er saß am Fenster und starrte hinaus. Nach einiger Zeit öffnete sich lautlos die Thür und sie trat ein. Sie ging langsam bis in die Mitte des Zimmers, ohne die Augen aufzuschliessen, beide standen sich einen Augenblick stumm gegenüber.[75]

»Nun, was haben Sie nur zu antworten?« fragte er ruhig.

»Ja, Herr Rother,« sagte sie zögernd. »Das geht nicht so schnell.«

»Ja, bei mir muß aber Alles schnell gehn.«

»Ja, ich.. aber bitte, bleiben Sie doch sitzen!« Er saß; sie stand. Ihr Gesicht war geröthet, ihr Ausdruck sehr ernst.

»Ist denn das wirklich Ihr Ernst? Ich habe nichts.«

Er sprang unwillig auf. »Wenn Sie mir so kommen! Daß Sie nichts haben, weiß ich doch selber.«

»Aber Sie müssen mich doch aushören!« sagte sie mit verlegenem Lächeln. »Nun, warten wir ein Jahr, und wenn Sie dann nicht anderen Sinns geworden sind – nun, dann können wir uns heirathen ... Nun, was sagen Sie dazu?«

»Wozu?« fragte er absichtlich, als hätte er nicht recht hingehört.

»Zu dem, was ich gesagt habe.«

»Ich bin's zufrieden.« Beide sahen sich an.

»Nun.. aber Sie haben ja kein Feuer.« Sie eilte rasch, ihm ein Zündholz für seine ausgegangene Cigarre zu reichen.

Beide schwiegen eine Zeitlang. Plötzlich entfuhr es ihr wie unwillkürlich:

»So hängt das Alles zusammen? Aber so was!« Sie lehnte sich über den Stuhl und sah nachdenklich vor sich nieder.[76]

»Nun bitt' ich Sie aber,« sagte er rasch, »was haben Sie Herrn Wursteler, von mir gesagt?«

»Ich? Nichts, daß ich wüßte!«

»Nun, ich würde mir eher die Hand abreißen, eh ich das sonst erzählte. Sie haben gesagt, ich ... doch nein, sagen Sie, was meinten Sie denn damit, was Sie sagten, als Sie von draußen hereinkamen?«

»Was denn? Ich hab nur gefragt: War Rother schon hier?«

»Sie haben meinen Namen genannt?«

»Ja wohl.«

»So so!« machte er enttäuscht. »Dann ist's 'was Anderes. Eigentlich hab ich nur daraufhin Ihnen das geschrieben, was ich schrieb. Dann freilich fällt das fort.«

»Was fällt fort?«

»Nun, wenn das wahr war,« Rother unterdrückte jede weitere Anspielung, »so wäre es nicht recht von Ihnen gewesen, mit dem Eberhart zusammen zu kommen. Und das thaten Sie doch?«

»Ja,« sagte sie verlegen, mit ernstem Ausdruck.

»So haben Sie für den eine Neigung?«

»Nicht die Spur!« erwiderte sie halblachend. »Ich hab mir nur gedacht, er wäre unter all den Andern noch mir der Anständigste. Und darum schrieb ich an ihn.«

»Gut, ich kann verstehn, daß Sie ihn einmal sahen. Siehe das zweitemal, nachdem Sie meinen Brief erhielten, nun, das war gemein.«

»Ja, ich hatte doch eigentlich keine Verpflichtung.« Er lag vor sich nieder.[77]

»Gewiß nicht. Aber nach meinem Briefe mußten Sie wissen, wie es mit mir steht. Und daraufhin.. Zudem, warum sind Sie damals nicht nach Treptow hinausgekommen?«

»Ich fürchtete mich. Anfangs wollt ich durchaus gehn; aber dann dacht ich immer wieder, Sie spielten mit Bammer unter einer Decke zusammen.«

»Ich! Wie konnten Sie so was denken!«

»Ja, ich glaubt' es eben.«

»Na, das war hübsch, wie ich da draußen umhergestiefelt bin,« lachte er. Sie lachte melodisch mit. Dann sagte sie aber ernst:

»Wie konnten Sie mir nur solch einen ordinären Brief schreiben!«

»Nu, war denn der so schlimm?«

»Ach so abscheulich!« Sie schlug die Hände über dem Kopf zusammen und schauderte ordentlich.

»So, wo ist er denn?«

»O ich habe ihn gleich verbrannt.«

Eine kurze Pause trat ein.

»Ueberhaupt,« sagte sie plötzlich, »auch Ihr letzter Brief.. daß Einer so was von mir denken kann, daß ich nach Männern angle und aufs Geheirathetwerden spekulire! Ich bin gar nicht heirathslustig, nein durchaus nicht. Noch vor ein paar Wochen war ein Agent bei mir, der nur das anbot. Ich sollt einen Kammerdiener heirathen mit 50,000 Thaler. Der hatte mein Bild gesehn und so ... Aber ich hab's gleich abgeschlagen. Was soll ich denn mit so 'nem Alten!«[78]

Ein eifersüchtiger Groll ergriff Rother schon bei diesem Gedanken. Also gab es wirklich solche!

»Wollen Sie mein letztes Bild sehen?« fragte sie und machte ihr Album auf. – Sie stand da, einen Champagnerkelch in der Hand, einen Herrn neben sich, einen andern vor ihr am Boden knieend. Sie sah zwar verlockend üppig und pikant aus mit dem sinnlichen Ausdruck ihrer Züge, aber so gemein, daß Rother erschrak.

»Puh!« sagte er »das reine bayrische Biermensch! In die hätt ich mich nie verliebt.« Und in der That war zwischen diesem Bild und dem ernsten melancholischen Mädchen, das vor ihm stand, kaum eine Aehnlichkeit zu entdecken.

»Ja, das Bild darf nicht gezeigt werden. Die Herrn – es sind ein paar Lieutenants – haben ihr Wort darauf geben müssen; eher that ich's nicht. Bammer zwang mich dazu.«

»So. Auch die andern Bilder da im Costüm sind nicht ähnlich. Sieh, der österreichische Offizier da.. wer ist das?«

Sie schwieg und lächelte verlegen.

»Aha, ist das der große Unbekannte, der erste Amoroso?«

Nach einer Pause stieß sie hastig, aber mit augenscheinlicher Gleichgültigkeit hervor:

»Ja, den hab ich einst sehr gern gehabt.«

»Herr Gott, dies stupide Gesicht!« brummte er in sich und kopfschüttelnd. »Halt, wer ist dies Dämchen da gegenüber?« Sie antwortete nicht. »Ein interessanter Kopf.«[79]

»Aber das bin ich ja!«

»Sie?« Er maß sie befremdet – keine Spur von Aehnlichkeit zwischen diesen leidenden schmachtenden Zügen und dem üppig blühenden Weibe vor ihm. »Da waren Sie wohl noch sehr jung.«

»I bewahre, die Photographie ist aufgenommen, grad als ich nach Berlin kam. Ich sah sehr angegriffen aus.«

»So, weshalb?« Sie gab keine Antwort. – Er ergriff Hut und Stock. »Ich muß fort zu einer Verabredung. Also gut, adieu. Wenn der Eberhart Sie besucht ...«

»Mich? Hier? Niemals. Ich hab es ihm untersagt. Und jetzt schreib' ich ihm, daß er für mich eintreten soll gegen Bammer – nun, wir werden ja das Weitere sehn.«

»Schon gut. Ich sehe, daß ich bei dem Allen nur eine lächerliche Rolle spiele. Ich hätte Ihnen nicht meinen Antrag gemacht, wenn nicht Wursteler mir gesagt hätte.. doch, wenn's auch nicht wahr ist: was ich schrieb, bleibt bestehen. Aber ebenso, was Sie von dem ›Jahr warten‹ gesagt haben. – Geben Sie mir Feuer!«

Er hatte kurz, befehlend gesprochen. Sie eilte unterwürfig heran und brachte es ihm, wie eine zärtliche Sklavin.

»Also wann wollen wir uns wieder sprechen?«

»Ich werde Ihnen schreiben, weil jetzt natürlich in der ersten Zeit ich möglichst vermeiden muß, mit Jemand zusammenzukommen. Aber mit Ihnen darf ich natürlich jetzt eine Ausnahme machen.«

»Mündliche Abmachung ist besser.«[80]

»Nein, es, macht mir Vergnügen, Ihnen zu schreiben. Sie haben ja so viel geschrieben; da kann ich doch auch schreiben,« sagte sie freundlich.

»Schön. Also adieu.«

Er wandte sich elegant auf den Hacken um, nachdem er sich kalt verbeugt.

»Aber so geben Sie mir doch die Hand!« klagte sie vorwurfsvoll.

Er gab ihr nur die Fingerspitzen. Sie gab ihm bis zum Treppenabsatz das Geleit und sah ihm nach. – –

Mehrere Tage verstrichen, welche Rother in dem denkbar krankhaftesten Zustand verbrachte. Er konnte kaum einen klaren Gedanken fassen oder vielmehr, all seine Gedanken drehten sich unablässig um den Punkt des einen großen Dilemmas:

Wird sie über mein Bild in Wuth gerathen und mich compromittiren? Würden wir Beide wirklich es durchsetzen, als Paar der Welt zu trotzen?

Ich habe ihr gewissermaßen falsche Vorspiegelungen gemacht oder besser, die falschen Vorstellungen, die sie und alle Andern nähren, nicht zerstört. Sie hält mich für vermögend genug, um ihr ein comfortables Heim zu bieten. Glaubt doch auch die Welt, daß der Ruhm eines Künstlers seinen Einkünften entspreche, während grade hier meist das Verdienst und der Verdienst nicht im Einklange stehen. Rother erbte allerdings einst von einem alten Erbonkel etwas Vermögen, aber das stand noch in weiter Zukunft.

Den Rest jenes Abends, als er von ihr zurückkehrte, hatte er in großem Collegenkreis verbracht, wobei er am[81] Abend in einem Café verschiedene langerwartete Zeichnungen von sich in illustrirten Blättern, mit großen Lobeserhebungen verbrämt, vorfand. Das wäre ihm früher wichtig und werthvoll gewesen, jetzt ließ es ihn völlig kalt. Die Sachen gewannen für ihn höchstens Werth, wenn sie ihr Auge darauf warf, sodaß er bei ihr an Ansehen wuchs. Wären sie nur etwas früher erschienen – aber jetzt waren Zeichnungen und Ruhmposaunen für ihn ohne alle Bedeutung. Als er an jenem Abend heimkehrte, fand er abschlägigen Bescheid betreffs einer akademischen Lehrstelle, um die er sich beworben. Das allein hätte ihn aufgeheitert: Er bedurfte eines festen Postens und Einkommens, um ihretwillen. Seine Kunst mochte darunter leiden, ja zum Teufel gehn, er selbst diese Bürde als schwere Mühsal auf den freien Künstlernacken laden – wenn sie nur glücklich, nur gerettet wurde! Er wollte gern entbehren, wenn er ihr nur seidene Kleider stiften konnte. Ein Kuß von ihr schien mit hundert Dornenstichen nicht zu hoch bezahlt.

Nach ein paar Tagen erhielt er folgendes Billett:


»Herr Rother! Es thut mir leid daß ich Ihrem Wunsche uns irgendwo zu sprechen nicht nachkommen kann aus dem Grunde Sie würden sich nur selbst compromitiren. Denn Herr Bammer hat eine neue Gemeinheit gegen mich ins Werk gesetzt. Diesen Morgen kam ein – – Kriminalbeamter! und fragte nach mir. Er zeigte mir einen anonymen Brief worin stand die Polizei möchte ein wachsames Auge auf mich haben ich wäre bis 1. Juli in dem Café in Stellung gewesen,[82] wäre ohne Grund fort und es sei zweifelhaft wovon ich lebe – – – – es sind einige Sachen in den Brief, die nur Bammer allein wissen kann, und ich kann schwören, daß es die Schrift seines Buchhalters war. Ich hatte per Zufall ein Stückchen Papier mit der Schrift des letztgenannten. Wir verglichen die Schrift und der Beamte war nun auch meiner Meinung: ich wußte wohl, daß es rachsüchtige Leute giebt, aber daß solche existiren, die nicht ruhen bis sie ihr Opfer vollends zu Grunde gerichtet haben, das glaubte ich nie und dies kann ja wohl noch geschehen. Was liegt mir an meinem Leben. Nahe daran war ich schon einmal. Heute bereue ich es daß ich so feig war.

Nun zur Sache: geweint hatte ich heute nicht, denn ich habe es allzu oft in letzter Zeit gethan, aber der Beamte mag wohl ohne Thränen mein tiefes Leid erkannt haben und hatte Mitleid mit mir. Er tröstete mich und meinte die Sache bleibt ganz still, ein Ehrenmann kann frei auftreten und braucht keine anonymen Briefe zu schreiben und übrigens traut er meinem ehrlichen Gesicht. Ich hatte ihm dann auch noch den deutlichsten Beweis wovon ich es gezeigt (es schmerzt mich zu sagen), einige Versatzungen. Nun Herr Rother wissen Sie mein neuestes Erlebniß – und nun bitte ich Sie dringend überlassen Sie mich gegenwärtig meinem Schicksal. Wenn es Gottes Wille ist, werden wir uns wohl wiedersehen, vermuthlich in besserer Zeit. Kränken Sie sich meinetwegen nicht, ich habe viel zu ertragen gelernt. Nun seien sie einstweilen bestens gegrüßt von Kathi K.«
[83]

Rother schrieb ihr auf diesen rührenden Klageruf unverzüglich, daß dies ja allen alleinstehenden Mädchen in Berlin passire, da die Polizei in dieser Beziehung unumschränkte Befugnisse hat. Sprechen müsse er sie in jedem Fall. Sie möchten sich also zufällig auf der Stadtbahn sprechen, im Coupé selbst, um jede Möglichkeit des Aufsehens zu vermeiden. In einem Nachsatz theilte er ihr mit, daß der Zahlkellner wieder allen Gästen erzählt habe, die »Schöne Kathi« mache mit dem reichen Mühlenfabrikanten Eberhart ihre Hochzeitreise. Neulich sei sie großspurig in einer Droschke I. Classe vorübergefahren. Was bedeute das? Nun »besser betrogen werden als betrügen!«


Sofort erhielt er folgende Epistel:


»Ihr Schreiben erhalten. Zürnen Sie mir nicht. Ich kann und will in meiner jetzigen Lage Niemand sehen. Klatsch ist genug schon. Ich will nicht noch mehr haben und übrigens habe ich mich jetzt an den betreffenden Herrn gewendet. Der wird mir schon Ruhe verschaffen. Möglicherweise wird auch Bammers Mund gestopft. Was das ausfahren betrifft, kann am besten meine Wirthin Auskunft geben. Denn ich gehe höchst selten ohne sie fort. Betreffs Stellung habe ich mich auch schon bemüht genug, jede Stunde ist mir die liebere, wo ich wieder zu thun habe, nun bitte ich Sie nochmals, sorgen Sie nicht um mich und vor allen Dingen lassen Sie sich nicht wieder in einen Klatsch verwickeln und glauben Sie an mir, ich werde Sie nie hintergehen.[84]

Auch suchen Sie kein Wiedersehen. Ueberlassen wir dies der Zeit.

Mit freundlichem Gruß

Kathi Kreutzner.«


Er beruhigte sich damit. Freilich konnte er sich bei psychologischer Beobachtung sagen, daß diese Zeilen zwar die entschlossene Festigkeit des tapferen Mädchens athmeten, aber die innige Gesinnung der früheren Briefe etwas erkaltet zeigten. Doch nahm er dies Alles gelassen hin und tröstete sich mit der Zukunft. Nachdem er aufs heftigste gearbeitet fühlte er eines Tages das Bedürfniß, wieder in dem Café Bammer aufzutauchen. Bammer selbst pflanzte sich mit übertriebener Liebenswürdigkeit alsbald neben ihn hin, und während der Künstler, scheinbar nur oberflächlich hinbotend, ein Frühstück hinterschlang, begann Bammer sich nach allen Dimensionen über die Verlogenheit Kathis zu unterrichten. Sie habe seinem Buchhalter einen so ungemeinen Brief geschrieben, daß der alte Mann sich schämte, ihm zu zeigen, so schmutzig sei der Inhalt gewesen.

»So was Unweibliches!« Bammer schüttelte mit großer Entrüstung das Haupt. Dann lenkte er auf das andere Gespräch zurück.

Sie konnte sich nicht weißbrennen. In der Gegend war kein Bahnhof und was habe sie in so früher Morgenstunde dort zu suchen gehabt!

Rother meinte trocken, er glaube nicht daran. Aber der andere begann mit solcher Emphase weiter zu stochern, als wenn die Gefühle eines auf den Rost Gelegten rauskämen.[85]

Wäre es möglich, daß er dennoch betrogen! Wie dieser nagende Zweifel ihn aus allen Himmeln stürzte!

Er hatte sich stolz gefühlt, so lieben zu können. Das war der einzige Stolz, der ihm nicht eitel und nichtig erschien. Und dies Geheimniß seiner Seele sollte Niemand kennen. Nur sie Beide sollten von sich wissen, eng verbunden bleibend, heimlich versteckt vor der Welt. Und so hatte er sie dereinst zu sich emporheben wollen. Was das schwache Herz geschworen, sollte halten der starke Geist. Ihre Seele, die unverstandene, sollte die seinige verstehen lernen, bis beide Seelen nur ein einziges gemeinsames Geheimniß der Liebe bargen.

Und nun, all seine hochherzigen Absichten heroischer Selbstverleugnung vergeudet – an eine Schuldige, die ein falsches Spiel mit seinem Vertrauen trieb?

Er beschloß der Sache sofort auf den Grund zu gehn. Wirklich machte er sich sofort auf den Weg; traf er auch wahrscheinlich sie selber nicht bei so früher Tageszeit – es war drei Uhr –, so fand er doch sicher die Wirthin.

Er grübelte sich immer mehr in heftige Erregung hinein. Mit zorngerötheten Wangen und hastigen Schritten stürzte er den langen Bretterzaun entlang, der von der Stadtbahnstation zur Gerichtsstraße hinführt. Bald hatte er das breite, hohe Haus gefunden und klomm die steile Treppe hinan, auf welcher einige winselnde schmutzige Kinder sich balgten. Wird er sie zu Hause finden! Wirklich, der Zufall schien ihm günstig. Höflich bat ihn die Wirthin einzutreten.[86]

»Aber ich weiß nicht, ob sie abkommen kann. Sie hilft mir beim Waschen und ist nicht angezogen.«

»Sagen Sie ihr, ich hätte ihr etwas Wichtiges zu sagen.«

»Nun gut, ich werde sie rufen.«

Er verbeugte sich stumm und nahm am Fenster Platz, nachdem er mit einem kurzen Blick auf den Spiegel constatirt, wie blaß er aussah. Nach einiger Zeit trat sie ein mit heiterem Ausdruck und fröhlichem Lächeln. Sie hatte sich offenbar rasch umgezogen, trug ein elegantes Kleid, blau mit Rosablumen gemustert. »Guten Tag!« sagte sie freundlich, indem sie heftig erröthete.

»Guten Tag,« erwiderte er trocken. Sie schrak auf und sah ihn an. »Ja,« fuhr er unsicher fort, »es ist mir peinlich genug gewesen, hierherzukommen. Aber es muß sein. Ich wollte Sie bitten, mir zurückzugeben, was Sie schriftlich von mir haben.«

Sie blickte ihn einen Augenblick sprachlos an. Dann sprach sie los: »Ah, daher bläst der Wind! So war's gesagt. O ja, gut, hier, sofort, nehmen's Alles.« Sie kniete zu ihrem Koffer hin, riß ihn auf, kramte darin herum und häufte einen Brief auf den anderen. Ihre Stimme gewann dabei einen eigenartigen Reiz in der unwollenden Ironie des schmelzenden Tonfalles; der Zorn gab ihr eine verschönernde Würde des Ausdrucks.

Rother stutzte und schwankte in einer gewissen Begeisterung. »Mein Gott.« rief er, »wenn man Sie hört! Was soll ich glauben! Der Buchhalter hat Sie doch daheim gesternmorgens gesehn.. und am Görlitzer Bahnhof haben doch gar nichts zu suchen.«[87]

»Ich habe doch meine Wirthin begleitet.«

»Ach, wer das glaubt!«

»So? Natürlich!« Sie riß die Thür auf: »Frau Lämmers!«

»Nun?« machte diese, die in einer durch den Flur getrennten gegenüberliegenden Stube bei der Nähmaschine saß.

»Ach, kommen's doch mal einen Augenblick herein!« Die Wirthin erhob sich und erschien wirklich. Eine längliche, magere Person mit einem ziemlich unschönen bebrillten Gesicht, dessen Ausdruck aber sofort Vertrauen einflößte. Ihre Haltung entbehrte nicht einer gewissen gesetzten Würde. – »Bitte, Frau Lämmers, sagen's doch dem Herrn, ob ich nicht mit Ihnen an jenem Morgen ausging.« Die Wirthin nickte ernsthaft und bestätigte es mit kurzen klaren Worten. Daß ihre Aussage ehrlich war, las man auf ihrem Gesicht.

»Wir danken Ihnen.« Rother verbeugte sich höflich, worauf die Frau sich sogleich wieder diskret zurückzog. – »Aber aus dem Haus Eberharts hat man Sie doch so in der Frühe herauskommen sehn?«

»Aber ich bitte, Sie, das war doch natürlich. Ich komme gerade vorbei an der Wohnung von dem und habe so viel von seinem Anwesen gehört. Da dacht ich: ›Ich will doch mal einen Blick hineinwerfen. Das Hofthor stand offen – – ich bin auch gleich wieder zurückgekommen.‹« All das klang allerdings wahrhaft. Sie ging hastig auf und ab und rief wie verzweifelt: »Nein nein, wie sind die Menschen doch schlecht! Sie wollen mich[88] partout ins Unglück bringen, ob ich schuldig bin oder nicht. Sehen Sie nur diese Gemeinheit!« Sie riß eine Cassette auf und zeigte ihm mehrere anonyme Briefe, worin ihr zu ihrer bevorstehenden Niederkunft Glück gewünscht würde. Das sei also die berühmte Tugend der Kathi!

»Aber der Schlimmste von Allen waren doch Sie!« fuhr Sie mit echt weiblicher Taktik fort, indem sie aus der Defensivstellung eiligst in die Offensive überging. »Herrgott, die Gemeinheit! Und das von Ihnen! O das that weh! Als ich Ihren Brief bekam, den abscheulichen; da glaubte ich, ich müßte vor Scham sterben. Meine Wirthin kann Ihnen sagen, ich habe den ganzen Tag in einem fort mich in Thränen gewälzt.« (Kathi liebte solche rhetorisch schmückenden Redeblumen.) »Als ich Sie da auf der Treppe sah, war mir, als müßt' ich auf der Stelle sterben. Meine Füße trugen mich kaum hinauf und oben fiel ich ohnmächtig aufs Sopha. O, o!«

»Wo ist denn der garstige Brief?« fragte Rother verlegen.

»Das fragen's noch! Sofort verbrannt. – Ach, was ich gelitten habe! Ja, das vergeß ich nie!«

»Sei'n Sie doch nicht grausam,« flüsterte er mit grobem Vorwurf. »Wie wir jetzt mit einander stehn und was ich nachher gethan habe..«

»Ja, das war sehr schön von Ihnen,« sagte sie eifrig, schüttelte aber mit echtweiblicher Halsstarrigkeit den Kopf. »Sehn sie, vergessen kann ich das nicht.«

»Nun, das werden Sie doch wohl müssen,« sagte er in[89] halb humoristischem Ton. »Als meine Frau..« Beide schwiegen. Sie setzte sich ihm gegenüber und pöselte an einer Standuhr herum.

»Ja,« schmollte sie halblaut, »gewiß, das war sehr brav und edel und schön, und ich werd Ihnen das auch nie vergessen. Aber.. aber das fühl ich: Aus der Sache zwischen uns wird doch nichts.«

»Warum nicht?«

»I weiß nicht. Man hat so ein Vorgefühl.«

»Närrchen!« sagte er freundlich und strich ihr über die Stirnlocken. Sie lachte wie ein Kind, sprang auf, zupfte ihn am Ohr und tanzte auf einmal in der Stube mit ihm herum. Dann warf Sie sich wieder auf den Stuhl und kicherte ausgelassen.

Als er sich nach dem Stand ihrer Kasse dringend erkundigte, versicherte sie mit Nachdruck, daß der Erlös aus dem Leihamt völlig für sie genüge und daß sie unter keinen Umständen Geld annähme. Uebrigens habe sie wahrscheinlich eine Stellung; ein Herr aus Hamburg sei dagewesen, der sie als Buffetdame in einem großartigen Café engagiren wolle.

»So, also weggehn von hier?« fuhr er auf.

»Ja,« sagte sie ernst. »So schwer mir's wird, scheint mir das doch ganz gut.. auch für uns Beide,« setzte sie nach einer Pause hinzu.

»Wieso?«

»Nun, durch die Trennung merkt man erst, ob es wirklich.. ob es das Richtige ist.« Sie sah ihn fest an.

»Ich verstehe. Du hast recht.« Er ging gedankenvoll[90] ein paar mal auf und ab und griff dann plötzlich zu Hut und Stock.

»Schon?« fragte sie, halb neckisch, halb mit aufrichtigem Bedauern.

»Nun und die Briefe? Die behalt ich, gelt?«

»Hm.« Er hatte die Briefe schon vorher vor sich abgetheilt und steckte einen Theil davon ein. »Das kann hierbleiben. Aber da fehlen ja einige, z.B. der letzte da..«

»Die letzten hab ich alle verbrannt,« sagte sie rasch.

»Aber laß mir den einen aus München – mit dem Liedel dabei. Der war zu süß. Ja, Herr Rother, Ihr Schreiben versteh ich immer besser als Ihre Worte. Da ist auch nicht einer Ihrer Briefe, den ich nicht mindestens zehnmal gelesen hätte – ach, das reicht nicht.«

»Hm,« machte er mit sanftem Lächeln. »Und dann willst Du mir noch ableugnen, Kathi, daß Du für mich ein leidlich tiefes Interesse hast?«

Sie erröthete, verzog schmollend den Mund, blitzte ihn fast zärtlich mit ihren großen Augen an und stülpte ihm plötzlich den Hut auf: »Nu aber raus!« –

In diesem Augenblick steckte die Wirthin den Kopf durch die Thür und rief:

»Fräulein, wir müssen aber jetzt an die Arbeit!«

Er empfahl sich den Damen cordial und ging von dannen, froher als er gekommen. Es war verabredet worden, daß er Beide einmal in der Woche ins Theater führen solle. Kathi sträubte sich zwar bei den obwaltenden Zuständen dagegen, überhaupt auszugehn – in ein bekanntes Garten-Etablissement am Weddingplatz, wo sie[91] sich die beiden Male mit Eberhart eine Stunde getroffen, wollte sie begreiflicherweise nicht mehr gehn und kein andres anständiges Restaurant war in der Nähe. Doch mit Rother sollte natürlich eine Ausnahme gemacht werden.


Als der Liebeskranke, der sich, wie ein Verdächtiger zum Ort der That, zum Café Bammer immer wieder hingezogen fühlte, daselbst eines Nachmittags vorsprach, empfing ihn wieder eine neue Mordsgeschichte. Der Hamburger Wirth war dort aufgetaucht, hatte sich viel nach Kathi erkundigt und wurde in den lächerlichsten Farben geschildert. Auch schimpften einige frühere Anbeter Kathi's – darunter ein studentischer Jüngling von achtzehn Jahren der eines »Baron«-Titels genoß – gewaltig auf die verschlagene Jungfrau und malten ihre Falschheit in gräulichen Farben. Rother sagte kein Wort. Am andern Tage lud er verabredetermaßen die »Damen« zu einer Première am Bellealliance-Theater ein, erhielt aber die umgehende Antwort:


»Ihr Schreiben erhalten, doch leider kann ich Ihre freundliche Einladung für Freitag nicht annehmen, weil ich mit meinem zukünftigen Prinzipal, welcher Sonnabend abreist, noch was zu besprechen habe und behufs dessen Obiger Frau Lämmers und mich eingeladen hat zu einem Abschiedsschoppen. Es grüßt bestens Kathi K.«


Dagegen war nun nichts zu sagen. Dennoch fühlte sich Rother bewogen, gleich am Sonnabend Abend das[92] Nähere über den neuaufgetauchten Herrn – »Kohlrausch« war sein werther Name – zu erfahren.

»Wer ist da?« fragte eine sanfte melodische Stimme mit süß girrendem Tone, – als ob sie etwas Liebes erwarte.

»Ich!« erwiderte er mit tiefer Stimme. – Er hörte einen unverständlichen Laut, dann öffnete sie und lud ihn ernsthaft ein, zu ihr hineinzutreten. Die Wirthin sei ausgegangen. Sie trug einen geblümten bunten Schlafrock.

»Ich dachte, Sie wären schon auf und davon?« sagte er kalten Tones.

»O nein, erst am fünfzehnten nächsten Monats.«

»Und was treiben sie hier?«

»Ich lebe in Verzweiflung,« erwiderte sie achselzuckend.

»Brauchen Sie Geld?«

»Nein, ich danke.« –

Sie setzte sich ans Fenster, eine Näharbeit in Händen. Er schritt in der Stube auf und ab, sich ab und zu neben ihr stellend. Sie plauderten wohl eine Stunde lang von allen möglichen Dingen, wobei er ihr viel von seinem Künstlerruhm vorprahlte. Sie hörte aufmerksam und schweigend zu, kluge Bemerkungen dazwischenflechtend. – Nach einer kurzen Pause der Unterhaltung bemerkte er, sie beobachtend, daß ihr Ausdruck umwölkt und finster schien. Er deutete darauf hin.

»Ach, ich habe mich wieder furchtbar ärgern müssen,« gab sie zur Antwort. »Da war so'n Kerl – Einer von denen die immer um mich herumgekrochen sind, – der von meiner Wohnung erfahren von dem Zahlkellner bei Hause. Kommt der Mensch heut hier herauf und[93] schwindelt meiner Wirthin vor, er sei Agent und wolle mir eine fette Stelle verschaffen. Kaum ist er bei mir, holt er ein Etui mit einem goldenen Armband hervor und will mir das umlegen. Quatscht von seiner Liebe und will mich gleich um die Mitte nehmen. Na, dem hab' ich heimgeleuchtet!« Sie lachte bitter in der Erinnerung.

»Was ist denn der?« fragte Rother stirnrunzelnd.

»Ach natürlich so Einer, der nichts zu thun hat, der von seinem Gelde lebt! – Ja, ebenso wie der Andre –« Sie brach ab.

»Welcher Andre?«

»Ich weiß nicht, ob ich Ihnen das sagen soll. Nun, doch! Da ist so'n ekelhafter reicher Jude, einer von der Maklerbörse – der verfolgt mich schon lange mit seinen Anträgen. Saß immer im Café am Buffet. Endlich hat er herausgebracht, wo ich stecke, und nun bestürmt er mich jeden Tag mit Briefen. Gestern hat er da geschrieben..« Sie zögerte, holte dann ein parfümduftendes Billet hervor und verlas eine reizende Schlangenlockung zum Apfel der Erkenntniß, worin ihr goldene Berge versprochen, wenn sie sich von Herrn Mayer aushalten lasse. Die eleganteste Wohnung stehe schon bereit zu ihrer Verfügung. »Ich will jeden Ihrer Wünsche erfüllen, denn ich bin ein reicher Mann!« schloß das interessante Schriftstück. »Geniren Sie sich nicht, liebes Kind, und kommen Sie in die Arme Ihres Sie brünstig liebenden Mayer.« Kathi schwankte zwischen Lachen und Wuth, indem sie ausdrucksvoll die schwungvolle Werbung vortrug; die Flügel ihrer klassisch geschnittenen Nase bebten nervös.[94]

»Nun und was hast Du ihm geantwortet?«

»O, ich sage Dir.. na, den Brief wird er nicht hinter den Spiegel stecken.«

Es war so dunkel geworden, daß sie mittlerweile die Lampe anzünden mußte. »Ich hab' Durst,« sagte sie »der Hunger vergeht mir vor Ärger. Ich laß mir von unten ein Seidel holen – willst auch eins haben? Ja, thu mir den Gefallen, kannst mal bei mir zu Gast sein.«

So saßen sie gemüthlich noch eine halbe Stunde und stießen auf treue Kameradschaft an. Aber während er auf sie einredete, versank sie in tiefe Gedanken. Grade so kam ihre außergewöhnliche Schönheit zur besten Geltung. Aber als er plötzlich sagte: »Wie edel und gut Du jetzt aussiehst!« da lachte sie auf und es war kein schönes Lachen. – Man verabredete sich am nächsten Freitag zu treffen. Er wollte absichtlich eine so lange Zeit verstreichen lassen bis zum nächsten Wiedersehn. Der Contrakt mit dem Hamburger Wirth war wirklich abgeschlossen; er lief auch bis zum 1. Januar; sie hatte ihm den Contrakt vorgelesen, ihm auch gleich die Hamburger Adresse aufgeschrieben. Am 1. September sollte sie die Stelle antreten. Es war ihm ja aus verschiedenen Gründen nur zu recht. Rother konnte bis dahin die erste Oeffentlichkeit passirt haben, während sie fern blieb.

Als er nach Hause wanderte, fiel ihm wieder die Unveränderlichkeit des ganzen Verhältnisses centnerschwer zu Herz. Nun, sie wollte es ja nicht anders; bei den Umständen gegen sie war ihre zeitweilige Entfernung auch nöthig und für Rother selbst so angenehm;[95] auch dir Probezeit für die gegenseitige Neigung schien vernunftgemäß. Und doch! Warum durfte er nicht offen sie an sein Herz drücken, der ganzen Erde trotzend! Konnte er denn überhaupt sofort heirathen? Was für verfahrene Verhältnisse, was für unheilschwangere Widersprüche!


Als er am Freitag dorthin fuhr, kaufte er unterwegs ein Rosenbouquet. Es war ihm doch immer etwas beklemmend, in diese, so ganz der westlichen Cultur entrückten Stadttheile den Zug nach dem Osten anzutreten. Um so unerfreulicher wirkte es natürlich, als die Wirthin ihm ein Billet Kathis einhändigte:


»Herr Rother, leider kann ich Sie heute nicht sprechen, weil ich Nachricht bekomme, betreffs einer Stelle welche ich während der drei Wochen wahrscheinlich noch annehme. Näheres nächstens. Mit Gruß

Kathi Kreutzner.«


Eduard wunderte sich ein wenig, dachte sich aber nichts Arges dabei, und ließ seinen Rosenstrauß in ihrem Wasserglase stehn. Angenehm war es ihm natürlich nicht, den weiten Weg aus dem Vorstadtviertel zurückmachen zu müssen. Dabei gerieth er halb zufällig in die Nähe des Café Bammer und trank dort seine Mélange, indem er eine heitere zufriedene Miene zur Schau trug. Ziemlich spät erschien plötzlich der elegante Wirth und indem er »Herrn Professor« höflich grüßte, warf er lachend hin:

»Wollen Sie die Kathi sehn? Die sitzt im Sedan-Panorama mit dem Kerl da aus Hamburg zusammen.«[96]

»Ach was?« machte Jener gleichmütig, aber er wurde bleich wie der Tod. Bammer fuhr fort:

»Ich schlendre da ganz zufällig hinein. Und wen find ich? Meine Kathi! Zärtlich umschlungen sitzt sie in einer Nische mit dem da zusammen. Sie erschrak mörderlich, als sie mich sah; wollte sich noch ihr Haar in die Stirne streichen, um sich unkenntlich zu machen. Aber ich lachte laut auf und ging an Beiden vorbei.«

»Nu, was wird da sein!« Rother ermannte sich zu vertrauensvoller Selbstüberwindung. »Das ist ja wohl ihr neuer Prinzipal. Dahinter braucht noch nichts Schlimmes zu stecken.«

»Ach natürlich! Herrgott, und wie verwüstet sie aussah!« Der Wirth lachte laut auf und das Gespräch über, Kathi gerieth wieder ins gewöhnliche Fahrwasser. – Ihm war, als ob der Sommerabend eisigen Tod verhauche, als ob öde Finsternisse langsam herniederwuchteten.

Der so unerwartet Getäuschte schlief die Nacht nicht. Gerade durch den Zweifel der Untreue erregt, waren all seine Sinne aufgestachelt und des schönen Weibes Besitz setzte ihn in brennenden Farben vor. So faßte er nun den Entschluß, der Sache auf den Grund zu gehen und sofort am andern Morgen sie zu überführen. Er fuhr dorthin. Frau Lämmers war nicht wenig erstaunt, ihn so unerwartet erscheinen zu sehn. Doch klärte er sie gleich auf. Sie gab zu, daß Kathi spät nach Hause gekommen sei.

»Aha, sie hat wieder eine furchtbare Dummheit gemacht,« sagte Rother stirnrunzelnd hin. Sie war noch nicht[97] aufgestanden. Als die Wirthin klopfte und ihr ankündigte, Rother wolle sie um jeden Preis sprechen, – verrieth ihre antwortende Stimme Aerger und Furcht. Nach kurzem Parlamentiren wurde ausgemacht, daß er in einer halben Stunde wiederkommen solle, bis sie sich angezogen habe.

Er verbrachte die Zwischenzeit in einem nebenan liegenden Budikerkeller. Die Leute dort, Arbeiter und kleine Handwerker beim Frühschoppen und Morgenimbiß, starrten ihn fragend und verwundert an, wie er einen »Bittern« nach dem Andern hinuntergoß. Er besah sich im Spiegel; wie bleich er war! Er fühlte Beklemmung im Herzen oder vielmehr in der Magenhöhle – man verwechselt ja so oft die innigsten Gefühle ... »Was wollen Sie denn so früh?« fragte sie mit einer Stimme, in der zugleich Zorn und etwas wie Furcht sich mischten. Da er sie nur fest anschaute – sie hielt die Thür in der Hand –, fuhr sie höchst ungnädig fort: »Ist dies eine Zeit, Besuche zu machen?« Er zuckte mit den Achseln und trat ruhig ein, indem er sie stets noch fest fixirte. Sie trug einen losen Schlafrock und um den bloßen Hals hatte sie ein schwarzes Tuch geschlungen. Die Haut des Halses erschien gelblich und nicht fest genug. Seltsam, daß Rothers Künstlerauge dies in einem solchen Augenblick bemerkte. Sie sah überhaupt sehr schlecht aus und hatte – »Sieh da, es ist also richtig!« sagte Rother laut, indem er sie fest betrachtete.

»Was?« fuhr sie unwirsch auf, »hören Sie nicht auf, mich zu quälen?«

»Blaue Ränder um die Angen!« fuhr er finster fort, »das stimmt.«[98]

»So, hab i blaue Ränder?« Es zuckte humoristisch um ihre Lippen. »Jo, dafür kann i nix. Da müssen's dem lieben Gott bestellen, er soll's anders einrichten.«

»Wie?« machte er zurückfahrend, »wollen Sie damit sagen –«

»Nun, was haben's denn eigentlich wieder?«

»Gestern im Sedan-Panorama, nicht wahr?« herrschte er sie an. Sie stutzte und sagte ernst:

»Ja, da war ich. Aber das konnt' ich doch nicht abschlagen. Wissen's, das war mein Prinzipal. Er traf mich auf der Straße und drang so in mich – ich mußt' mitkommen.«

»So und da hast Du zärtlich umarmt mit ihm gesessen?« Sie fuhr entrüstet auf, mit bebenden Lippen.

»So, sieh einmal diese Gemeinheit! Am Buffet hab ich mit ihm gesessen, die Buffetdame kann's Ihnen bezeugen, ganz offen; und nachher kam sein Freund, der Horether Buchsing, dazu und dessen Frau. Ach, es ist empörend, diese Verleumdungen! Als ob alle Welt nur mich zu beobachten hätte.«

»So ist das wirklich..« stammelte er unschlüssig.

»I geb Ihn' mein heiliges Ehrenwort!« rief sie, indem sie mit der abwärts gekehrten Handfläche eine bezaubernde Bewegung machte, die ihr eigenthümlich war. Übrigens, glauben's auch nicht, wenn Sie wollen. I weiß was wahr ist, und das genügt mir.«

»Es ist ja möglich, daß Sie wahr reden. Aber ich will mich doch von Ihnen trennen. Und darum bitt ich Sie, geben Sie mir zurück, was Sie brieflich von mir haben.«[99]

»Ich hab nichts mehr,« sagte sie störrig, indem sie sein Auge vermied.

»Das haben Sie damals auch gesagt. – Ich will es,« betonte er, indem er sie stirnrunzelnd maß. Ueber ihr Gesicht ging es wie eine convulsivische Zuckung. Dann öffnete sie ihren Koffer und kramte darin: »Hier! Da! Nehmen Sie Alles! Weiter nichts mehr da. Hab Alles verbrannt!« Sie, öffnete einen Parfümeriekasten aus Alfenidesilber.

Und siehe da, er fand dort einige Zeichnungen, die er vor seiner Abreise ihr hinterlassen, hingesudelte Kritzeleien, die sie aber doch sorgfältig bewahrt hatte, und einige Zeilen von seiner Hand aus früherer Zeit. Die Papiere, ganz von Parfümgeruch durchsättigt – ohne eine Wort zu sagen, nahm er Alles an sich. Sie stand dabei mit gekreuzten Armen, ohne sich zu rühren, den starren Blick auf den Kasten geheftet.

»O mein Gott!« rief er plötzlich aus. »Ahnen Sie denn gar nicht, was ich leide? Um Sie leide?«

»Nun, was leiden's denn?« fragte sie schnippisch, indem ein bitteres Lächeln ihre Lippen schürzte.

»Was, ja was! Ich habe nie so etwas gefühlt, nie. Das kennen Sie eben nicht, das ist die Liebe. Weiß Gott, wenn Sie da draußen in Lumpen auf der Straße umherirrten oder Ihr Gesicht von Pocken zerrissen würde, ich liebte Sie noch grade so. Ach ich rede so hin – das läßt sich nur fühlen!«

Sie sah starr ins Weite und war sehr blaß. Ihr Auge brannte wie von unvergossenen Thränen, mit einem trüben Glanz.[100]

»Haben Sie denn nun die Stellung?« fragte er nach einer Pause. Sie bestätigte ihm trocken, daß sie in ein Café an der Jannowitzbrücke bis zum ersten September eintreten werde, dessen Besitzer sie schon lange bestürmt habe, zu ihm zu kommen. »Und soll ich Sie dort besuchen?«

»Wie Sie belieben,« erwiderte sie ernsthaft nach einer Pause. »Ich fordere Sie nicht dazu auf. Es kann ja doch nur Schlimmes..« Sie wandte sich ab. Er betrachtete sie noch einmal fest und schüttelte den Kopf.

»Ja ja, die blauen Ränder um die Augen, Woher kommt das?« Sie zuckte ungeduldig die Achseln.

»Die Scham verbietet..« Unwillkürlich fiel sein Auge auf die Waschschüssel, – es lag ja noch Alles unaufgeräumt umher – die er bisher noch nicht bemerkt hatte. Da war ihm mit einmal Alles klar und mit einem gewissen »Ach so!« nahm er Abschied. Beide nickten sehr schweigend zu.

Wie hat die Natur das Weib doch übervorgetrieben. Zu wie falschen Schlüssen giebt ihr physischer Zustand Veranlassung! Der Mann ist oft aus Unbewußtheit ungerecht. Was ist überhaupt Wahrheit! – Wenn Jemand mit der Reinheit und Treue eines Weibes spielt, so kann man achselzuckend zweifeln. Und wenn man ein Weib der Untreue bezüchtigt, ganz ebenso. Nicht nur die Beweise sind immer strikt überzeugend, seien sie auch handgreiflich.

So schoß es Rother durch den Kopf, als er heimkehrte. Er fing an, ein Lebensphilosoph zu werden –[101] wenigstens war er auf dem rechten Weg dazu. Wie alle wahren Weisen, wenn sie Andern vorwerfen, sie ärgerten sich noch zu viel über Thorheit und Gemeinheit der Welt, bewahrte er natürlich die gleiche Nervosität nichtsdestoweniger. Ein Windstoß plötzlicher Erregung konnte das Kartenhaus seiner neuerworbenen Fassung zusammenblasen.

Er wartete volle acht Tage, während welcher Zeit er mit rasenden Eifer arbeitete. Endlich ließ es ihm keine Ruhe mehr. – Das Erscheinen des Stahlstichs nach dem Bilde war immer noch von ihm verzögert worden. Dennoch schienen durch jenes unvorsichtige Versehen einzelne Abzüge in den Handel gekommen. Ihn quälte die Ungewißheit, ob Kathi von einem ihrer zahlreichen Verehrer vielleicht darüber au fait gesetzt sei. – Am achten Tage ließ es ihm keine Ruhe mehr. Er nahm ein Bad, das in der Zerstreuung ein heißes wurde, trotzdem nur kalte Bäder seinem gereizten Nervensystem nützen konnten, und setzte sich auf die Stadtbahn via Jannowitzbrücke. Als er das betreffende Lokal gefunden, zu seiner lebhaften Verwunderung von Kathi keine Spur! Auch die Kellner wußten absolut nichts von ihr zu melden. Er eilte in umliegende Lokale – nichts, aufs nächste Polizeiamt – keine Ahnung. Er fuhr wieder zurück nach dem Café Bammer. Auch dort wußte Niemand von irgend etwas. Nur wurde erzählt, sie sei schon in Hamburg und der Kohlrausch sei überall mit ihr gesehen worden. »Einige sagen,« bemerkte der grienende Kellner, »er habe sie gleich als Frau mit 'rüber genommen.«

»Als Frau? Sie meinen, daß er sie heirathen wolle?«[102]

Der Kellner fiel vor Erstaunen bald um. »Heirathen? Wer heirathet denn solch communes Mensch?« Rother biß sich auf die Lippen und erbleichte. Wenigstens ich jetzt die Wahrheit erfahren, dachte er. Wahrscheinlich ist sie setzt auf und davon. Jedenfalls muß ich die Wirthin sprechen.

Er hatte ein Schnitzel heruntergeschlungen. Ein galliger Geschmack stieg ihm im Munde auf. Der zehrende Stimm erstickte ihn beinah. Es war unerträglich heiß; sein eleganter Anzug wurde mit Staub berieselt von heftigen Windstößen, die hier und da über den Boden fegten. Hitze mit schneidendem Wind – ein Bild seiner eignen Gemüthsstimmungen ...

Zu seinem Erstaunen rief die Wirthin, sobald sie seiner ansichtig wurde, mit ernstem Gesicht »Ich werde sie rufen. Bitte, treten Sie ein!«

»Wie, ist sie noch hier?« fragte er unsicher und zögernd.

»Ja gewiß. Gedulden Sie sich ein wenig, ja?«

So saß er wieder auf der alten Stelle. Auf dem Tische lagen wieder die Bücher umher, die sie mit dem Geschmack einer Salondame arrangirt hatte. Der »Trompeter von Säkkingen«, Karl Stielers Hochlandslieder, die »Lurlei« von Julius Wolff, daneben ein »Modemagazin« das stark nach Parfüm duftete. Auf der Kommode stak im Wasserglase ein Rosenstrauß: Als sein Auge darauf fiel, erkannte er den seinen, den er vor acht Tagen gebracht. Noch immer war sie hier! Was trieb sie denn!

Ein fester rascher Schritt näherte sich. Sie trat[103] ein, indem sie einen Korb Wäsche unter dem Arme trug. Ihre Wangen waren geröthet, ihre Stirn gerunzelt. Sie sah ihn nicht an und fragte mit einer Stimme, die sicher und barsch klingen sollte, aber vor Erregung zitterte: »Was steht zu Ihren Diensten?«

»Ich dachte, Sie hätten uns schon lange verlassen,« sagte er ruhig.

»Ja, ich geh auch jetzt bald,« erwiderte sie rasch. »Am ersten

»Und warum sind Sie denn nicht in die Stellung gegangen?«

»Warum? Weil mir's nicht paßte. Weil« – Sie sah in die Luft und zuckte leicht die Achseln.

»Nun, weil –?«

»Weil ich, so lange ich hier bin, lieber verhungern will, als in solcher Stellung noch mal hier auftreten – damit der Skandal wieder von vorne angeht.«

»Nun gut. Ich bin einfach deswegen gekommen: Es fiel mir auf, daß Sie mir neulich sonst Alles wiedergaben, aber meine eigentlich compromittirenden Briefe nicht. Wie kommt das?«

»Ich hab' sie nicht mehr.«

»Können Sie mir das schriftlich geben?«

»Ja, das fehlte noch! Wenn Ihnen mein Wort nicht genügt!«

Eine kleine Pause trat ein. Sie legte fortwährend ihre Wäsche zurecht, was auf ihn einen eigenen einheimelnden Reiz ausübte. »Ach, Du bist ja verrückt,« sagte er plötzlich halb ärgerlich.[104]

»So?« gab sie resolut zur Antwort. »Wenn ich verrückt bin (kann schon sein), dann sind Sie wenigstens mit mir verrückt. Das ist ein Trost.«

»Sie haben selbst gesagt, daß Sie bösartig sind,« hob er wieder an. »Deswegen will ich mich eben schützen. Ich fürchte mich vor Ihnen.«

»Sie – vor mir?« – Sie lachte leise auf. »Vor mir haben Sie Ruhe; da mögen's sicher sein.« Sie trat ans Fenster und sah hinaus. »O ich bin jetzt ganz ruhig. Wenn Sie nur so glücklich wären wie ich! Bisher war ich gut, nun will ich recht schlecht werden.«

»Schämen Sie sich nicht –« fuhr er auf.

»O wenn Sie mich beschimpfen wollen, da laß' ich Sie allein. Ich geh' gleich weg.« Aber sie rührte sich nicht vom Fleck.

»Ich fühle durchaus nicht das Bedürfniß dazu. – Was wird nicht wieder Alles über Sie zusammengeredet! Sie sind schon nach Hamburg avisirt als Geliebte des ... Der hat das auch überall ausgesprengt.«

Sie sah ihn gleichgültig an und zuckte wieder ungeduldig die Achseln.

»Nun, wenn er das selber glaubt, ist's ja gut.«

»Pah, das ist auch der richtige Hahurei,« brummte er in den Bart.

»Was ist er?« fragte sie aufmerksam.

»O ich meine, wenn Sie den heirathen würden, könnten Sie nur gleich mit einem Andern durchgehn.«

Er gab ihm hastig Feuer, als er sich eine Cigarette ansteckte. Dann sagte sie gedankenvoll:[105]

»Nun, mir soll künftig Keiner zu nahe kommen, das sag ich Ihnen.«

»Welche Dummheit haben Sie doch gemacht!« rief er aus. »Dort können Sie doch nicht bleiben. Da ist's ja viel zu langweilig. Und hier – welch ein Renommee haben Sie nun hier! Ich bin ja doch der Einzige, der an Sie glaubt.«

Plötzlich wandte sie sich um: »Sagen Sie, war Ihnen denn das wirklich Ernst, daß Sie mich heirathen wollten?«

»Ja,« sagte er fest.

»Und ist es noch?«

»Ja,« wiederholte er bestimmt.

»Nun gut denn. Ich gehe jetzt nach Hamburg. So will ich sehn, ob es mir dort gefällt. Und dann werde ich Ihnen schreiben.«

»Aber seien Sie aufrichtig.«

»Ja, ich werde sehr aufrichtig sein.«

»Nun, und dann?«

»Ja, dann können wir uns heirathen ... Aber das sag ich Ihnen, wenn Sie mir kommen und sagen, was man über mich gesagt hat, dann krieg' ich Sie am Cravatl.«

»Oho! Versuch das doch mal.«

»Ach Du!« Sie sah ihn schelmisch an. »Du wirst ohnehin der rechte Pantoffelheld. – Ja, machen's nur noch so große Augen! Ich weiß das.«

»Man sieht, wie wenig Du mich kennst,« sagte er gemessen. »Versuch's doch mal, mich am Kragen zu fassen, he? Nein, zanken werd ich nicht mit Dir; aber machst[106] Du mir Geschichten, so schieß ich Dich einfach todt und mich nachher ... Ueberhaupt – was ich mir hier sagen lassen muß! Hätte mir eine Andre den hundertsten Theil davon gesagt! Und wenn Du wüßtest, wie verwöhnt ich bin!« Er fühlte wieder das Bedürfniß, sich vor ihr ein mystisches Air zu geben.

»Ja, Du mußt sehr verwöhnt sein!« lächelte sie, »denn Du hast etwas an Dir, als ob Du auf den Köpfen der Menschen spazieren gingest.«

»Ach, Du begreifst ja noch gar nicht, wer ich bin,« blähte er sich auf.

»Nun, was bist denn?« koste sie. »Sag mir's doch!«

Unwillkürlich fiel ihm die Sage von Merlin ein, dem die Nixe das eine bannende Wort ablocken will. »O ich meine nur so im Allgemeinen,« brummte er halblaut.

»Nun muß ich aber arbeiten. Du weißt nicht, wieviel ich zu thun hab'«, sagte sie rasch. »Jetzt laß mich allein.«

»Gut denn, ich geh schon. Wann sehn wir uns also wieder, bevor Du fortgehst?«

»Am nächsten Montag um fünf Uhr. Und nun sag noch meiner Wirthin Adieu.« Er that es. »Ach sieh, ich bin größer wie Du,« lachte sie, indem sie an der Thürschwelle sich auf ihren hohen Stiefel-Hacken erhob, welche alle weiblichen Wesen der unteren Schichten für das untrüglichste Zeichen ladyliker Eleganz halten.

»Noch was, Du mit Deinem Cothurn!« Kindisch wie sie (wie er denn unwillkürlich von diesem wundersamen neuen Umgangskreis in seiner ganzen Lebensauffassung angesteckt wurde), maß er mit der Hand die Höhenfläche[107] ab, indem seine Augenbrauenhöhe mit ihrer Stirnhöhe auf gleicher Linie lag.

»Schad't nichts. Wenn das Alles wahr ist, was für ein großer Künstlehr« (sie sprach das Wort mit altberlinischem Accent) »Du bist, so hätt'st Du doch wenigstens etwas in die Breite wachsen sollen. So kommt mir's vor, als ob ich gar keinen ordentlichen Mann neben mir habe.«

»Oho, das glaubst Du doch selber nicht! Jeder Zoll ein Mann!« Dabei gab er ihr einen Kuß und drückte sie an sich.

»Ja, ich glaub's schon. Bist doch ein schneidiger Kerl,« näselte sie drollig, »wie ein Dragoner in Civil.«

»Alter Puselkopp!« Damit klopfte er sie über die Stirn und streichelte ihre Haare. Dann schüttelten sich Beide herzhaft die Hand und sie rief ihm übers Geländer nach: »Alter Puselkopp, auf frohes Wiedersehn!«

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

In gehobener Stimmung kehrte er heim und arbeitete mit zäher Entschlossenheit mehrere Tage lang ununterbrochen an seinem Bilde. Am Freitag aber hatte er sich mit dem Componisten Henry Francis Annesley, einem jüngeren Freunde, verabredet, in einer Weinkneipe zusammenzutreffen.

Annesley spielte sich als ein Bewunderer von Rothers originaler Künstlerschaft auf und lauschte daher andächtig, als dieser ihm feierlich docirte, wie er ein Bild »Jesus und die Ehebrecherin« untermalt habe, wobei er tiefsinnig über das Wesen des Christenthums sich äußerte.

»Wer sich rein fühlt, der werfe den ersten Stein auf sie,« dieser Spruch des Heilands, in welchem die letzten Schranken durchbrochen werden, hatte Eduard natürlich[108] besonders imponirt. Und wie bequem läßt sich der Sinn des leicht mißzuverstehenden Spruches zurechtstutzen: »Ihr sei viel vergeben, denn sie hat viel geliebt«!!

Nachdem sie also in erhabenen Gefühlen geschwelgt, endeten sie logisch und naturgemäß mit dem schönen Triebe, einige Maria Magdalenen zu trösten. Eine blaue Laterne, als sie ziellos über die Straße schlenderten und sich in dem übelriechenden Gehege der weiblichen Asphaltblumen fortschoben, leuchtete ihnen freundlich zur gastlichen Herberge.

Das »Café Calcutta« strahlte in seiner ganzen Pracht. An den Decken der Wein-Stuben tanzten indische Bajaderen in schreiend grellen Farben und beträchtlicher. »Märchen«-Nacktheit. Vorn in der Hauptschenkstube hingen zwo herrliche Gemälde: »Nena Sahib der große Nabob« und »Lord Clive, Eroberer von Indien«.

Der Wirth, eine pikante Persönlichkeit mit aufgedunsenem Gesicht, gierigen Augen, lüsternen Lippen, schnüffelnder Fuchsnase, »aber immer elejant« mit Kneifer, schwarzem Leibrock und tadelloser Blondin-Frisur – der berühmte Anekdotenerzähler Herr Strieseke, bot mit freundlichem Grinsen seine Schnupftabacksdose den Ankömmlingen dar indem er zugleich mit würdevollem Bückling den Herren die Weinstuben empfahl.

Die weibliche Bedienung, welche angeblich französisch, englisch, russisch, magyarisch, chinesisch, ostafrikanisch und – indisch sprach, erschien auf der Bildfläche in bengalischer Beleuchtung und Bekleidung. Letztere etwas kärglich zugeschnitten. Doch wenn sie auch unten und oben[109] ausreichender Gewandung entbehrten, so schien dieses Armuthszeichen doch auf ihre sonstige Ernährung nicht von Einfluß gewesen zu sein. Ihr offenbar ergiebiger Futterkorb hatte sie meist so dickgemästet, wie eine deutsche Schriftstellerin in ausgeschnittener Schriftstellertag-Tournüre.

Spanische Seidenmantillen und Spitzenschleier sowie rothe Fez mit blauer Troddel auf dem Chignon sollten augenscheinlich das indische Lokalkolorit veranschaulichen.

Annesley schnitt eine dämonische Grimasse, strich genialisch einen Haarbüschel in die Stirn und pflanzte sich in einer malerischen Pose auf, als wolle er eine Arie singen. Offenbar erwartete er, daß sämmtliche Weiber sofort bei seinem Anblick auf den Rücken fallen würden, mit dem schmachtenden Aufschrei: »Dieses blasse Gesicht ist mein Schicksal!« Da jedoch nichts Aehnliches eintrat und sein pantomimisches Ballet nur mit der zarten Aufforderung belohnt wurde: »Na, Blondchen, setze Dir man! Ist Dir unwohl?«, warf er sich mißmuthig auf ein Kanapee, nachdem er seinen Schlapphut in die Luft geschleudert und wieder aufgefangen. »Ich werde mir ein Weib erkiesen,« meinte er großartig. – »Um Gotteswillen nicht hier! Denken Sie doch, noch neulich der Heilgehülfe –« »Was geht das Sie an?« Das Zukunftsgenie bäumte sich auf, in seinen heiligsten Gefühlen gekränkt. »Uebrigens pumpen Sie mir bis übermorgen 10 Mark. Ich habe mein Portemonaie vergessen.«

Das Lokal duftete nach abgestandener Lüderlichkeit und Eau de mille fleurs, wie gewöhnlich. Die Schenkheben – verkommen, aber nicht zu sehr – producirten alsbald die[110] berüchtigten Porterflaschen à 1 Mark, woran der Wirth 90 Pfennige zu verdienen beliebt.

»Darf ich mir auch eins holen?« Diese stereotype Frage hatte Eduard als ausgepichter Mann der Erfahrung mit einem abwehrenden Grunzen beantwortet. Da fiel sein Blick auf eine Jungfrau am Nebentische, die mit einem Kneifer auf der Nase, einen keck überlegenen Ausdruck im Gesicht, ihn anstierte.

»Die da soll herkommen!« – Mit einer graziösen Verengung huschte sie heran, jedoch an Henry Francis Annesleys Seite, der sie gleichgültig musterte. Nachdem sie erst Annesleys, dann Eduards Hut aufgestülpt und sich in allerlei niedlichen Koketterieen geübt hatte, eröffnete der nachlässig hintenüber lehnende Maler in schläfrigem Ton ein Wortgeplänkel. Annesley hatte sich mit der ihm eigenen nervösen Unruhe in das Nebenzimmer geflüchtet, wo er plötzlich dem üblichen Klavierspieler eine seiner Lieder-Compositionen mit Stentorstimme vortrug.

Als sie nun zum Aufbruch rüsteten und Eduard in einer Auswallung ungesunder Generosität eine Mark Trinkgeld spendirte, fühlte sich Fräulein Mary – so nannte sich die Kneiferbehaftete – innig zu ihm hingezogen und bat ihn mit ihren holdesten Schmeicheltönen, eine Flasche Wein mit ihr zu trinken. Halb zog sie ihn, halb sank er hin. Annesley wünschte gute Verrichtung. Eine Collegin band Eduardo die Mary dringend auf die Seele, da diese gerade kein »Verhältniß« habe, und die zärtlichste Schwärmerei à 16 Mark (Zwei Flaschen Gift à 6 Mark 50 Pfennige und drei Portionen Oelsardinen, welche die[111] »gute Freundin« so gerne aß, à 1 Mark) entwickelte sich. Was thut man nicht, um in diesen distinguirten Kreisen populär zu werden!

Als Eduard sein Portemonnaie musterte, fand er leider nur 15 Mark darin und wollte doch wenigstens 5 Mark für weitere Auslagen behalten. Also deponirte er, 10 Mark zahlend, die Uhr. Fräulein Mary erschien, nachdem er eine Viertelstunde in gräulichem Zug vor der Hausthür gewartet, mit einem wundersamen Strohhut, dessen Krempe phantastische Blumen garnirten.

Seltsame Menschennatur! Trotz seiner alles beherrschenden Liebe für Kathi wußte ihn Mary derartig durch ihre stille Gluth zu bezaubern, daß er in ihren Armen sein Liebesweh gerne vergaß. Sie erzählte ihm eilig ihr ganzes Leben (die übliche Wahrheit und Dichtung) und betete ihn augenscheinlich an, wie dies bei dem ersten Eindruck gegenseitiger Neigung so häufig ein freundlicher Selbstbetrug gestattet. Als sie ihm eine Rührgeschichte von ihren Augen erzählte, wie sie am Staar erblindet gewesen und dabei von dem Mitleid eines Biedermannes unterstützt worden sei, der auch in der Blindheit ihr treuer Freund blieb – da trug sie das Alles so reizend vor, daß Eduard nicht umhin konnte, sie auf die süßen verkniffenen Augen zu küssen und sie mitleidig ans Herz zu drücken. Nachdem er sie aber dann zärtlich »Mein Bräutchen« genannt und sie mit niedlichem Schmollen »Ach, das sagst Du jetzt schon!« gelispelt hatte, packte er sie in eine Droschke, statt mit ihr nach Hause zu wandeln, wobei sie ihn noch aus dem Wagenschlag wie[112] wahnsinnig küßte und ihn beschwor, sie morgen wieder durch sein Erscheinen zu beglücken.

Er lachte bitter in sich hinein, als er sich selbst in eine Nachtdroschke warf und mit starkem Cigarrenqualme die Dünste des vergifteten Weines zu verwischen suchte.

Das ist der Mann! Während sie, die Eine, vielleicht ernsthaft an ihn dachte, während die gebüldete Kneifer-Jungfrau mit Eros Pfeil behaftet in ihr Bett schlüpfte, gähnte er verdrossen und mürrisch in die Nachtnebel hinein. Aber einen komischen Gewissensbiß spürte dieser schwächliche Halb-Idealist denn doch. Der Instinkt brachte ihm das dem Menschen eingeborene Gefühl zur Geltung, daß eine Doppeliebe nebeneinander unmöglich sei. Jede Verletzung monogamischer Treue wird als ein Abfall vom natürlichen Ideal empfunden.

Am andern Tage – Witterungswechsel war eingetreten, die ermüdeten Nerven wie der erhitze Magen hatten in der eisigen Nacht eine ungesunde Abkühlung erfahren – räkelte er auf seinem Sopha, die Zeichnungen zu Kuglers »Friedrich der Große« von Menzel durchblätternd und versäumte eine Entrüstungs-Conferenz mit Collegen in Sachen einiger Bildabweisungen durch die Jury der letzten Kunstausstellung. Wäre er aber rechtzeitig gegangen, so hätte er den Brief nicht mehr erhalten, der ihn auch den Abend zu bleiben bestimmte. Auf seine Frage, ob sie mit ihm in Sardon's »Theodora« gehn wolle, hatte sie wieder zögernd erwidert: es ginge nicht, nachdem sie so lange nirgendwohin ausgegangen. Dennoch wollte er hinaus fahren und sie bestimmen, mit ihm[113] öffentlich zu erscheinen, obschon Beide sich wohl über dies Wagestück klar sein mochten. Sie schrieb ihm aber jetzt:


»Dürfte ich Sie bitten, statt Montag schon morgen Sonntag um vier zu mir zu kommen, da ich mit Ihnen noch über eine Angelegenheit reden möchte. Mit herzlichem Gruß Ihre K.K.«


Rother ging nun allein ins Residenztheater, um das byzantinische Ensemble auf seine Kostüm-Echtheit zu prüfen. Sein gewöhnliches Steckenpferd. – Dies Bild einer Dirne, die sich bis zur Weltherrscherin emporringt, an der Seite eines vom Karrenschieber zum Cäsar aufgestiegenen Justinian, rief ihm so recht die originelle Urweib-Erscheinung Kathis in ihrer unheimlichen Voll-Kraft vor Augen. Die Scene, wo Andreas seiner Verführerin flucht und Liebe und Haß bei ihm auf- und abwogen, erschütterte ihn tief.

Er dachte an seine eigene »Theodora«. Sollte auch er ihr einst fluchen? Sollte übermächtiger Haß die Liebe besiegen? Nein, nein, sie war gut, sie war edel. Er hatte es beim letzten Mal so recht erkannt.

Warum mußte ihm durch Vererbung so viel sinnliche Leidenschaft und zugleich so viel reine aufopfernde Liebessehnsucht ins Herz gepflanzt sein! Was hilft die geistige Begabung oder Charaktergaben in der Geschlechtsliebe, welche doch die Spiralfeder aller Handlungen und das wichtigste Element des Lebens bildet? Absolut nichts – beim Weibe wenigstens.

Schönheit und Kraft gilt beim Weibe natürlich viel: sie nennt das »gern haben«, wenn ihre physischen Begierden erregt. Rang und Reichthum gilt noch höher. Einem[114] Titel wiedersteht man schwer und einem vollen Goldsäckel, der die Vision des Luxus hervorzaubert, zu widerstehn, scheint kaum möglich. Ruhm – schon viel weniger verlockend. Was ist Ruhm! Höchstens kann er sich in gesellschaftliche Stellung umsetzen. Und gar der geistige Werth ohne Ruhm – ein Nullwerth! Güte des Charakters? Taugt hochstens dazu, mit einer Art herablassendem Mitleid in Fällen der Noth ausgenutzt zu werden.

Der Schönste, Kräftigste, Reichste und Vornehmste – der hat ja doch alleine Chancen in der Welt wie in der Liebe, der Weise und Beste nie.

Was ist also Liebe eigentlich? Ein Ding, das für die Weisen und Guten nicht paßt, also ihrer unwürdig. Und doch leiden oft gerade sie am tiefsten unter dieser Folter.

Warum muß das Gefühl der Liebe sich grade an ein Geschöpf wie das Weib knüpfen? Wie viel glücklicher scheint das Weib in dieser Hinsicht, da sie wirklich das intellectuell und moralisch hoher stehende Element im Manne lieben kann!

Aber was helfen die Betrachtungen! Aendern die etwas an der Leidenschaft selbst? Die bleibt, allen philosophischen Reflexionen zum Trotz. Die Liebe, wenn zur wirklichen verzehrenden Leidenschaft entflammt, gehorcht immer nur der Sinnlichkeit.

Wäre das schöne Weib minder begehrenswerth gewesen, so hätte Rother sicher nicht bis zu solch selbstvernichtender Hingebung sich herabgelassen. Die Liebe gleicht[115] einer Furie selbstsüchtiger Selbstvernichtung, welche ihre höchste Wollust im Zerfleischen der Ichsucht findet.

Er stellte sich vor, ihr Gesicht werde von Runzeln zerfressen, ihr Busen schrumpfe ein und sie huste schwindsüchtig. Auch dann noch glaubte er ihr dieselbe, ja vielleicht eine noch tiefere Neigung bewahren zu können.

Vielleicht keine Selbsttäuschung. Um so schlimmer für ihn, daß er diese Betrachtung über das Wesen der Liebe wagte. Liebe wird erst dann mörderisch, wenn sie die Sinnlichkeit überwunden zu haben glaubt: Dann ist sie in alle Adern wie ein Giftstoff übergegangen. –

Eduard arbeitete tapfer den ganzen Tag darauf los, seine peinigende Ungeduld bezwingend bis ihn die Stunde rief.

Das erste Mal, daß er an einem Sonntag die alte liebe Fährte ging. Die ganze Friedrichs- und Chausseestraße hinauf wogte es in buntem Gewühl.

Die Sonne schien hell; ihm war schwül und beklommen zu Muth, als die Arbeiterbevölkerung des Weddings in Sonntagsröcken an ihm vorbeiströmte. Als er wieder das alte rumpelige Haus betrat, schlug es Vier.

Er kam also just zur Zeit. Gleichwohl bat ihn die Wirthin, sich zu gedulden; Kathi käme gleich.

Wieder saß er am Fenster und blickte auf die Straße hinab. Wie ihm das Herz schlug! Die Erinnerung so mancher unseliger Stunden der Vergangenheit, die trübe verrauscht oder thöricht genossen, stieg, wie dampfender Nebel aus dem Moore, wie eine bleiche Erynnienschaar, aus der Tiefe auf und huschte über das[116] grell beleuchtete Trottoir der Straße da unten hinweg. Sein Herz lauschte düster den Stimmen aus dem Abgrund und tauschte mit ihnen schwermüthige Grüße.

Die Wirthin trat einmal ein und holte etwas, indem sie still vor sich hinlächelte. – Endlich ging die Thür leise auf und sie trat ein. Sie trug den geblümten Schlafrock, der ihre Gestalt so prächtig hervorhob. Schweigend ging sie wie gewöhnlich, ohne ihn anzusehn, bis in die Mitte des Zimmers.

»Danke, daß Sie gekommen sind,« sagte sie sanft mit einem ernsten schönen Blick.

»Nun, in welcher Angelegenheit haben Sie mich zu sprechen?«

»O in gar keiner. Ich wollte Sie nur noch mal wiedersehn. Vielleicht reis' ich schon morgen. Und da wollt' ich doch den letzten Abend noch mit Ihnen zusammen sein.«

»Gut. Da hab ich Ihnen auch noch ein Rosenbouqet mitgebracht.« Er nestelte es aus dem Ueberzieher heraus und warf es auf die Kommode.

»Besten Dank!« Sie stellte es in ein Glas Wasser und setzte lächelnd hinzu:

»Wer weiß, für wen das in Wahrheit gewesen ist! Das war am Ende gar nicht für mich!«

»O doch, mein Engel. Und hier ist auch meine Photographie.«

Sie klatschte vor Vergnügen in die Hände. »Ach, das ist schön! Dafür sag' ich Ihnen doppelt Dank. –[117] Sehn Sie, auf dem Bilde sind Sie sehr hübsch. Ja, so sehn Sie gut aus.«

»Und bekomm ich kein Bild von Dir?«

»Ja, Sie sollen eins haben,« sagte sie energisch und wühlte in ihrem Album. »Im Kostüm wollen's keins?«

»O, um Gottes Willen nicht. Da die eine mit dem Buch!«

»Ich hab zwar nur die eine und geb' sie sehr ungern. Aber Sie sollen sie haben.«

»Und was schreiben Sie darauf?«

»Aber Sie dürfen nicht zusehn.«

»Nein doch!« Er ging ans Fenster.

Sie beugte sich über die Photographie und kritzelte darauf. Wie wunderbar schön sie war! Ihre Gesichtsfarbe hatte sich rosig gefrischt und ihre braunblonden Haare leuchteten in einem undefinirbaren sauberen Glanze.

»Schreibe: Meinem Freunde,« sagte er mit Nachdruck. »Denn das bin ich gewesen und das werde ich stets sein.« Sie schrieb drauf los. »Ach,« fuhr er fort »Ich kenne die Welt: In drei Wochen hab ich Dich ganz vergessen. Und ich habe so viel Abziehungen. Das kennt man ja. Vielleicht werden wir uns nie wiedersehn.«

»Aber was hab ich denn da geschrieben!« fuhr es ihr plötzlich heraus, indem sie mit einem humoristisch erstaunten Blick und reizendem Schmollen von der Photographie aufschaute und ihn ansah.

»Nun, was denn?«

»Nein, das dürfen's nicht sehn!« Wie der Wind war sie zur Thür hinaus und kam mit einem Messer wieder, mit dem sie alsbald auf der Rückseite radirte.[118]

»Was mag denn das wohl gewesen sein?«

»O ich will's Dir sagen. Ich hatte geschrieben: ›Meinem lieben Quälgeist‹. Nun schrieb ich Das.« Sie reichte ihm das Bild auf der Rückseite hin. »Meinem liebsten Freunde zum Abschied gewidmet.« Sie sagte es so ernst. Ein leichtes Stirnrunzeln fältete ihre Stirn und schien sich gleichsam in der zarten Rammsnase fortzusetzen, die sich eigenthümlich rümpfte.

»Das hast Du gut gemacht. Ja, Dein Freund bin ich und werde es bleiben.«

Eine Pause entstand, wo sich Beide stumm Auge in Auge maßen.

»Sagen's,« sagte sie rasch, »Ist Dein Bild, wovon Du sprachst, schon ausgestellt?«

»Ja. Da! Ich hab zufällig ausgeschnitten bei mir, was drüber geschrieben ist.« Er zog ein Zeitungspapier aus der Brieftasche. Sie las:


»Eine so meisterhafte Pinselführung ist geeignet, jede Kritik zu entwaffnen. Der grandiose Realismus des Ganzen verblüfft gradezu. Dies Werk wird einen Markstein in der Geschichte der Berliner Kunst bilden und weithin Sensation machen.«


Sie wiederholte nachdenklich und nachdrücklich den letzten Satz, gleichsam mit ernstem Stolz, als ob sie an dem Erfolg theilhabe und Mitarbeiterin sei. Eduard fand das entzückend. »O, es haben's aber auch Andere verrissen!« warf er hin.

»Dies thut nix,« urtheilte sie rasch. »Was sehr gelobt wird, wird auch sehr getadelt. Nun, haben's auch mal wieder auf mich Gedichte gemacht, wie? Da steckt was Weißes,« kicherte sie mit reizender Schalkhaftigkeit,[119] indem sie in sein Notizbuch griff. Er litt nämlich stark an Dichteritis, die ihn wie eine geistige Cholerine besonders im Sommer heimzusuchen pflegte. Es sprudelte jedoch etwas Spontanes in diesen kunstlos ungequälten Ergüssen und sie wären eines echten Lyrikers, à la Professor Gräf, nicht unwürdig erschienen.

»Ja. Ich war wüthend und ärgerlich. Darum schrieb ich das.« Er las mit Emphase folgenden Erguß verkniffenen Größenwahns:


»Ein feiger Narr der Leidenschaft,

Verblendet taumelte ich hin.

Nun hat sich endlich aufgerafft

Mein wundzerriebener Mannessinn.


Du könntest mich vernichten, Weib?

Ich selber war's, der mich zerstört.

Dem Weib im parfümirten Leib

Kaum eine Seele angehört.


Dein seelenloser eitler Schwatz

Hat nie verdunkelt mein Gemüth.

Der Liebe Opferqual mein Schatz,

Hätt' mich auch ohne Dich durchglüht.


An eigner Seelenschönheit siech,

Hinfiebern wir in holdem Wahn,

Bis wir ein Herz in jedem Viech,

In jedem Kothe Perlen sahn.


Nun laß den Satan los in Dir,

Weil Einer Dich als Engel nahm!

Nur wisse eins, ich warne hier:

Der Löwe ist nicht immer zahm.
[120]

Und wisse jeder weise Wicht,

Den meine Narrheit tief entzückt:

Ein Schaf macht solche Streiche nicht,

Der Löwe nur ist oft verrückt.


Ich lache ob den abgeschmackten Laffen,

Die mich anglotzen mit den Bocksgesichtern.

Ich lache ob den Füchsen, die so nüchtern

Und hämisch mich beschnüffeln und begaffen.«


So, Heinrich Heine, klang Dein gelles Lachen,

Als Dich des Pöbels fader Hohn erniedert,

Als alberner Verderbniß Höllenrachen,

Der Dummheit Heuchelei, Dich angewidert.


Wer edel denkt, wird ewig unterliegen,

Wer Liebe sucht, der Selbstsucht Wollust finden.

Und doch wird nie das Böse ihn besiegen,

Weiß er den Thorenschmerz zu überwinden.


Nichts lebt, was würdig ist geliebt zu werden

Mit eines Künstlerherzens heiliger Reinheit.

Betrogen wird, wer je vertraut auf Erden

Dem Wahn, man ändere menschliche Gemeinheit.


Doch nicht das Lachen kann Dir Ruhe bringen.

Es stärke sich Dein Stolz durch Selbstbetrachtung!

Und jede Bosheit wirst Du niederringen

Durch Deines Mitleids göttliche Verachtung.


Sie hörte aufmerksam zu, indem sie die Hand an den Mund und brachte und leicht am Zeigefinger knabberte. Dabei sah sie ihn mehrmals strahlenden Auges an. »Durch Deines Mitleids göttliche Verachtung!« wiederholte sie halb für sich. »Spricht wie ein Heiliger. Sieh mal[121] hier!« sprang sie plötzlich auf und hüpfte an die Kommode, von der sie eine Schnur mit aneinandergereihten Georgsthalern nahm. »Gefallt Dir das?«

Er ließ sie sinnend durch die Hand gleiten. »St. Georg – glaubst Du an solche Heilige noch?«

»Jo,« sagte sie ernsthaft.

»Nein, mein Kind, die Heiligen helfen nichts.«

»Glaubst Du denn auch nicht an Christus?«

»O ja, Christus lebt noch immer in jedem seiner Jünger. Jeder, der gut ist und liebevoll, wird gekreuzigt als ein Stück Christus.«

»Muß denn Jeder dabei gekreuzigt werden, wenn er liebevoll ist?«

»Hm, ja. – Er kann aber trotzdem viel glücklicher sein, als die Andern. Denn Mitleid und Erbarmen machen glücklich. Damit kommt man über Vieles weg, wenn man statt zu verurtheilen sagt: ›Wer sich rein fühlt, werfe den ersten Stein auf sie.‹ Und das wirkt auch allein. Die Sünderin hat sicher nicht mehr gesündigt.«

»So, hm?« machte sie. »Man sagt doch aber, selbst die Gerechten fielen zehnmal an einem Tag.«

»Das ist anders zu verstehn. Den strengen Maßstab von Christus kann doch kein Mensch erfüllen. Er predigt: ›Wer die Ehe bricht, der soll des Todes sterben sagt das Gesetz‹. Ich aber sage euch, wer nur ein Weib fleischlich begehrt, der soll des Todes sterben. Und wenn das Gesetz den Todtschläger tödtet, so soll schon der des Todes sterben, der seinen Nächsten haßt. Wer sollte da nicht wohl zehnmal des Tages fallen!«[122]

»Oder sonst was gut's,« murmelte sie gedankenlos und kante an ihrem Finger, indem sie ihn verstohlen anschielte.

»Also heut zum letztenmal!« murmelte er.


»Nun wirst Du ruhn für immer,

Du müdes Herz. Hin ist der Wahn, der letzte,

Den ewig ich geglaubt.

Beruhige Dich! Laß diese

Verzweiflung sein die letzte! Kein Geschenk hat

Für uns das Schicksal als den Tod. Verachte

Die grenzenlose Nichtigkeit des Ganzen.«


Diese Leopardischen Verse, die er halblaut vor sich hin gesummt, schienen ihrer Stimmung besonders zuzusagen. Denn sie stürzte eiligst zu ihrem Koffer und entnahm demselben ein schwarzes Büchlein, worauf ›Poesie‹, zu lesen stund. »Ach bitte, schreib mir das ein!«

»Was, hier?« Er nahm das Büchlein und entfaltete es. Nur wenige Seiten beschrieben. Auf der ersten, die er aufschlug, fiel ihm ein kleines Lied entgegen, das er ihr einst gestiftet. Darunter: »Erinnerung an E.R.«

»Das hat mir zu gut gefallen,« erklärte sie mit lieblichem Erröthen. – Dann kam da ein Gedicht auf Passau »mit dem großen heiligen Dom« und dem rauschenden Inn. »Von wem ist denn das nun?«

»Von mir,« sagte sie lächelnd.

»Oho! Und was haben wir denn hier?
[123]

›Entfaltet gleichsam einer Rose,

Schaust Du aus lustigen Augen in die Welt hinein.

Ich rufe jetzt auf Wiedersehn,

Heut wo wir Zwei am Scheidewege stehn,

Ich schließe Dich in mein Herzkämmerlein.


Reimen thut sichs zwar nicht, aber 's ist wahr.‹

Donner und Doria, welch ein Poet! Der scheint ja eine fabelhafte Leidenschaft für Dich zu haben! Wer ist denn das nun wieder?«

»Herr Kohlrausch,« lispelte sie tieferröthend.

»So? Nun, da dank ich schön.« Rother stand auf, warf das Buch auf den Tisch und ging mit raschen Schritten auf und ab. »Also seid ihr schon einig?«

»Aber nein doch! Ich weiß nicht, wie Sie mir vorkommen!« rief sie ängstlich.

»Nun, das Zeug ist zu schlecht, als daß er's abgeschrieben hätte. Also hat er's selbst gemacht. Also ist er sterblich verliebt. Und daß Sie sich das einschreiben lassen, zeigt noch mehr. Und da bilden Sie sich ein, Eduard Rother wird sich neben dem Kerl da verewigen? Nein, meine Theure, das ist zu viel verlangt. Am Ende bin ich doch Eduard Rother.«

»Aber was Du doch immer gleich denkst!« sagte sie ruhig. »Wenn Dem so wäre und ich interessirte mich für ihn, so würde ich's Dir doch nicht gezeigt haben.«

»Das ist wahr,« gab er betroffen zu.[124]

»Das kam einfach so. Er besuchte mich mal, als ich nicht hier war, und sah meine Poesie-Sachen hier herumliegen, weil ich immer Ihre Sachen lese. Da hat er nun gehört, wie viel ich mir daraus mache, und hat mir darum solch ein ›Poesiebuch‹ geschenkt, und sich ganz ohne meinen Wunsch darin selbst zuerst eingeschrieben.«

»So,« sagte er befriedigt. »Meinethalben. Aber ich schreibe mich nicht hier ein.«

»Ja, ich muß nur machen, daß ich Ihre Photographie in Sicherheit bringe,« fuhr sie piquirt auf, »sonst nehmen's mir die auch noch weg. Bei Ihnen, Eduard, ist Alles möglich.«

Er klopfte sie auf die Wangen und lachte. Aber ein süßes wonniges Gefühl einer gewissen häuslichen Zusammengehörigkeit durchschauerte ihn bei diesem traurigen »Kohlen«.

Sie trat wieder ans Fenster und sah auf die Straße hinab. Ihr Busen hob und senkte sich von schweren Seufzern.

»Dies Berlin hat mir nur Kummer gebracht und doch ist mir, als ob ich sterben müßte, nun ich's verlasse. Ich weiß nicht warum..« sie stockte. Er schwieg. »Ach, was hab' ich Gott nur gethan, daß ich so viel leiden muß.«

»Daß Du ein Weib bist und, noch schlimmer, ein schönes Weib!« warf er achselzuckend hin. Sie überhörte das.

»Ach, ich habe stets gehört, daß es bitter ist, fremdes Brot zu essen. Aber, daß es so bitter ist, habe ich nicht gewußt. Wenig glückliche Tage habe ich in meinem ganzen Leben genossen. Ach, in meiner Jugend, da hatte ich[125] selber Dienstboten und quälte die halb todt mit meinen Launen. Und Eine hat mir auch mal gesagt: Sie wünsche, daß ich mal dasselbe durchzumachen hätte. Nun, das hab' ich durchgekostet.« Plötzlich fing sie an zu weinen: Zwei heiße Thränen rollten ihre schönen Wangen herab. Eduard wandte sich ab, um seine Erregung zu verbergen.

Es dämmerte sehr stark. Die Uhr schlug draußen: schon halb neun Uhr! Wie die Zeit rasch verflossen war! Die Wirthin klopfte an die Thür. Sie seufzte schwer auf.

»Meine Wirthin wird ungeduldig. Wir sollten zusammen noch einmal spazieren gehn in der Dunkelheit. Ich war den ganzen Tag nicht draußen.«

»Also soll ich gehn?«

»Ach nein, bleiben's noch ein bissel.«

Eine Pause trat ein. Sie versank in Gedanken, er ging langsam im Zimmer auf und ab.

»Nun gut,« sagte er endlich, »Etwas hat Sie ja doch aus Passau weggetrieben – damals als Sie ins Wasser gehn wollten, wie man mir drunten erzählte.«

»Ins Wasser? Nein, das ist nicht wahr.« Sie sah mit einer gewissen gelassenen Gleichgültigkeit in den dunkeln Himmel hinauf.

»Nun, wo ist denn Ihr Passauer Jüngling da geblieben?«

»Mein Passauer? Ich weiß nicht, wovon Sie reden.«

Er drehte sich ungeduldig um. »Nun, ich meine, Ihre große Liebe da..«

»Wer denn? Nein wirklich, ich weiß nicht, was Sie meinen. Ich hab nie einen Landsmann geliebt.«[126]

»Ich denke, einmal sollten Sie ja eine gute Parthie machen und Ihr Vater hat's nicht gelitten?«

»Ach Gott, was man da wieder geschwindelt hat! Nein, als ich nach Haus zurück mußte, da war Einer da, der mich heirathen wollte, ein Nachbar von uns, ein junger Mann, der ein großes Fleischergeschäft geerbt hatte. Der hielt um mich an, er war – kurz« – sie machte ein befriedigtes Gesicht – »er wollte mich haben. Aber ich mochte nicht.. und ein viertel Jahr drauf hat er eine Andre geheirathet.«

»Hm,« sagte er, »dann versteh ich nur das Alles nicht. Wer ist denn nun der geheimnißvolle große Unbekannte, der..«

Sie schwieg.

»Sagen Sie's mir! Ich sehe, daß Sie das quält. Nun, ich bin Dein einziger Freund. Einer Freundin sagt man so was nicht. So sag mir's!«

Seine ernste Stimme hatte für sie stets etwas dämonisch Zwingendes. Sie wandte sich und sah ihn an Ihr Gesicht flammte und eine Thräne blitzte an ihrer Wimper.

»Nun gut, so will ich Ihnen sagen, was noch nie Jemand gehört hat. Aber Sie werden es Niemanden sagen?«

»Nie, meine Hand darauf!«

Sie hob mit stockender Stimme an, aber erzählte ohne Befangenheit mit einer gewissen gleichgültigen Ruhe: »Ich war 17 Jahr alt, als ich nach Trient geschickt wurde, um dort in einem Hotel, das einem Verwandten[127] von uns gehörte, bei der Wirthschaft zu helfen. Und da war ein Offizier vom Genie, dem alle Mädel nachliefen. Ich glaube, das war's nur, was mich reizte.«

»Aha! Und woher?«

»Aus Ungarn.«

»Ach was Teufel! So, und der waral so Deine große Flamme?«

»Ach, ich weiß selbst nicht recht. Ich glaube gar nicht, daß ich ihm so gut war. Es war nur.. Eitelkeit.«

»Weil er Hauptmann von Genie war?« fragte er mit leichter Ironie.

»Nein, weil die Mädel ihm nachliefen. Ach, als die Geschichte 'rauskam und mein Vater davon hörte und mich nach Haus befahl, da hat er geweint, viel mehr wie ich – er, ein Mann und Offizier!« Ein etwas verächtlicher Beigeschmack lag bemerkbar in diesen Worten. Eduard mußte, instinktiv fühlen, daß sie eher mit Ekel und Geringschätzung an diese Jugendliebe zurückdachte. »Und dann.. aber Sie dürfen nie je zu Jemand ein Wort davon sagen, nicht wahr? Das wär abscheulich..« auf seine abwehrende Handbewegung fuhr sie rasch fort. »Als er nun fortversetzt wurde und ich fortmußte, da glaubte ich meine Schande nicht überleben zu können. Und nun that ich was ganz Verrücktes. Ich stand in der Nacht auf, nahm die Streichholzschachtel, schabte von allen Streichhölzern den Phosphor ab, und trank das mit Wasser. Aber meine Natur war kräftiger als das Gift. Ich bekam nur furchtbare Kopfschmerzen – das war Alles.«

»So und weiter kam nichts?« fragte er mit besonderer[128] Betonung. Sie erröthete leicht und schüttelte ernst den Kopf.

»Nicht das Geringste.« Wieder trat eine Pause ein. »Ach,« sagte sie plötzlich, »ich glaube, ich hab ihn doch furchtbar gern gehabt.«

»Und haben Sie weiter nichts von ihm gehört?«

»O ja. Er hat gesagt, daß er mich heirathen wolle, wenn er pensionirt ist – eher kann er's nicht.«

»So? Wie alt ist er denn?« fragte Eduard mit einer leisen Regung eifersüchtigen Mißtrauens.

»Dreiundreißig.«

»Ach Herrje! Da kann er ja noch lange lange nicht daran denken. Es wird ihm auch ohnehin nie einfallen.« Wieder klopfte draußen die Wirthin. Beide rührten sich noch immer nicht. Sie standen lautlos nebeneinander und blickten – sie auf die dunkle Straße, er auf ihrem schönen gramzuckenden Mund.

»Ach,« seufzte sie plötzlich, »Ich habe Den auch vergessen. Ich bin Niemandem gut, Niemandem.«

»Danke!« lächelte er und fuhr mit dem Finger ihre klassisch geschnittene Nase entlang.

»Ach, ich meine nicht so..« flüsterte sie verwirrt, »Nur nicht so wie damals..«

»Nun und der Kohlrausch?«

»Ach, das war nur Spaß. Es kann sein, daß ich hassen werde.« Sie nahm die Lampe, zündete sie langsam und stand, auf den Tisch gelehnt, nachdenklich da. »Wir müssen uns jetzt trennen. Meine Wirthin wird sonst bös.«[129]

»Soll ich mitkommen?« fragte er zum Scherz.

»O ja wohl,« lachte sie freundlich. »In der Zeit können Sie ja was zeichnen, wie?«

»Nein, nein. Ich muß fort. Ich muß auch meine Uhr einlösen.«

»Ihre Uhr?« fragte sie rasch mit einem eigenthümlichen Aufblitzen der Augen.

»Nun ja, ich war Dir vorgestern untreu, mein Schatz,« sagte er lächelnd. »Dabei mußt' ich meine Uhr lassen, weil ich zu viel Geld zum Fenster hinauswarf.« Sie schmollte, aber ohne bös zu werden. »Also gut denn, trennen wir uns. Morgen Abend geht's fort?«

»Ja. Ach, ich werde an diese Stube zurückdenken, so lange ich lebe,« seufzte sie. »Die thränenreichsten Stunden meines Lebens verbracht' ich hier. Und dennoch.. mir wird der Ort stets theuer sein.« Beide sahen sich ernsthaft an.

»Und unter welchen Umständen geh ich weg – ach Gott!« Sie sah wieder wie geistesabwesend in die Luft. »Nun,« murmelte sie halb vor sich hin. »Meine Wirthin geduldet sich ja..«

»Wie, brauchst Du Geld?« fragte er hastig.

»Es ist mir nur um die Uhr..« stammelte sie verwirrt.

»Wie, hast Du die noch nicht einlösen können? Sagen Sie, wieviel Sie dazu brauchen?«

»Ach, nur 42 Mark.«

»Hier sind sie.« Er legte zwei Goldstücke auf den Tisch.[130]

»O, besten Dank! Von keinem Andern würd ich einen Pfenning annehmen. Der Eberhart hat auch immer gefragt, ob ich Geld brauchte, und ich hab stets gesagt: Ich brauch nichts. Nur von Ihnen..«

»Nun, das versteht sich doch von selber.«

»Ich werd es auch sobald wie möglich zurücksenden.«

»Unsinn! Ich weiß, daß Sie das thun werden, obschon es gar nicht nöthig ist. – Da, steck's ein, damit es die Wirthin nicht sieht.« Sein nobler Sinn sträubte sich dagegen den Begriff des Darlehns zwischen so Nahestehenden überhaupt als vorhanden zu betrachten. Sie fühlte das instinktiv; ein schöner und sanfter Ausdruck veredelte ihre Züge, indem sie vor sich nieder auf die Tischecke blickte und fortwährend mit dem Bleistift an den Rand eines Modejournals kritzelte, der schon mit ähnlichen Hieroglyphen bedeckt war. – Schon wieder klopfte die Wirthin. Kathi sagte aber diesmal nichts und athmete schwer.

»Das Kurze und Lange von all unsrer Papelei ist also,« sagte er trocken, indem er seinen Ueberzieher anzog und sich seinen Stock gestützt hochaufrichtete, »was ich versprach, bleibt bestehen. Aber natürlich muß ja Jeder von uns sein Leben selber ordnen.« Er sprach noch so eine Weile, wobei er sich in Parenthesen einließ und das Satz-Ende nicht fand, bis er sich unterbrach: »Holla, wo ist denn mein Hut?« Er fand ihn und setzte ihn auf, indem er lachend murmelte »kann ohne ihn nicht weiterreden.« In Wahrheit wollte er sich im Hute besser ausnehmen, da er sein sonst lockiges Haar kurz vorher hatte scheeren lassen.[131]

Sie aber stand noch immer in sinnender lauschender Stellung über den Tisch gebeugt und lachte nur leicht über sein komisches Hut-Manöver. Er hatte damit auch die Beobachtung erzielt, daß sie ihn gern ruhig in einem Zuge zu Ende gehört hätte. So hob er denn wieder an: »Was hinter uns liegt, darunter mach' ich einen Strich. Die Vergangenheit ist für Beide aus und zu Ende. Aber Deine Zukunft gehört mir und natürlich, wenn da was vorfällt ... Wäre ich nur den hundertsten Theil gegen andere Frauenzimmer so gewesen wie gegen Dich, so würde Jede für mich die größte Zärtlichkeit bekommen haben.« Sie zuckte leicht auf und erröthete, sich über den Tisch beugend, indem ihr Busen sich hob. »Natürlich, was nun in Zukunft kommt ... wenn Du wirklich nicht so für mich fühlst, wie ich für Dich – dann, ja dann kann ich nicht mehr mitspielen. Meine Selbstverleugnung in materieller Hinsicht ist schon so groß, aber.. das kann ich nicht.«

»Was steht denn hier?« sagte sie plötzlich, groß und kindlich zu ihm aufblickend, indem sie wie verwirrt das Modejournal von sich schob. Der ganze Rand war mit dem Namen »Eduard R.« bekritzelt. Er sollte verstehen.

»Närrchen!« Er lächelte schwermüthig. »Hast Du Dich mal in Gedanken mit mir beschäftigt?« Sie schnitt ein reizendes Gesicht. Eduard war eine einfache Natur, aber er fühlte, daß sie ihm in diesem Moment um den Hals fallen wollte. Er aber übte tapfere Entsagung – theilweise aus Stolz und Berechnung, weil er wohl sah, daß seine Ruhe auf sie einen doppelt tiefen Eindruck[132] machen mußte, theils weil er sich überhaupt zu solcher Liebesscene nicht gestimmt fühlte, da ihn ein dringendes Bedürfniß quälte und er doch diesen Hochmoment nicht durch eine cynische Frage herabziehn durfte. (Kathi war mehrmals während der Zeit hinausgepilgert.) So mischt sich der reinsten Romantik die erbärmlichste Trivialität der physischen Natur. Platonische Entsagungsgröße aus hygienischer Rücksicht.

»Also endlich denn lebwohl! Wenn es auch zwischen uns nichts werden sollte, so wollen wir doch stets gute Freunde bleiben. Und darauf wollen wir uns die Hand gehen – als gute Kameraden.« Sie schüttelten sich die Hand, indem sie zaghafter, also liebevoller wie er, ihre breite Rechte in seine schmalen blutlosen Finger legte und vor sich niedersah. Das Weinen schien ihr nahe. Wieder machte sie ein Gesicht, als ob sie etwas erwarte – –. Aber er that es nicht. Mit einem Seufzer nahm sie die Lampe und öffnete ihm die Thür. »Bitte, nimm auch Abschied von meiner Wirthin!« bat sie. Diese saß im Nebenzimmer und nähte. Sie sah ärgerlich aus, weil der Abendspaziergang so verzögert wurde. Er lüftete den Hut und sie dankte etwas trocken. »Also adieu!« zögerte er auf der Schwelle. »Und Sie schreiben mir also dann gleich?«

»Nein, Sie wollen doch zuerst schreiben?«

»Ja wohl, gut. Aber erst nach einiger Zeit.«

»Ich – ich möcht' Ihnen noch gern ein Andenken mitgeben. Wenn ich nur wüßte, was!«

»Das ist hübsch von Dir. Halt.. laß mich noch[133] mal Dein ›Poesiebuch‹ sehn!« Sie trug die Lampe, welche ihr kräftiger Arm straff emporgehalten, wieder zurück und reichte ihm eiligst das Gewünschte. Er blätterte. Da stand noch ein Gedicht. »Von wem ist das?«

»Auch von mir,« sagte sie neckisch, mit funkelnden Augen.

»Pah, Unsinn.«

»Auf Wort! Willst Du's haben?« fragte sie hastig. »Reiß Dir's raus! Ich schenk' Dir's.« Er steckte es in sein Notizbuch. Die Wirthin hatte sich schon angezogen; er durfte nicht länger bleiben.

»Also nochmals adieu, adieu.« Sie drückten sich zärtlich die Hand. »Auf Wiedersehn!« Sie sagten es fast zugleich und mit derselben verhaltenen Innigkeit des Tons.

Er riß sich los und stürzte die Treppe hinunter.

Besonderen Seelenschmerz spürte er nicht. Eigentlich war er innerlich froh, für Monate seiner Leidenschaft entzogen zu sein, und doch schien ihm ein geheimnißvolles Weh durch alle Poren zu strömen.

Die Wolken droben wichen nicht, gewitterliches Dunkel brach herein. Und die Wolken im Herzen ballten sich zusammen in banger Schwere. Er sah nicht Wesen noch Dinge um sich her, nur einen leeren Raum, in dem seltsame Schatten huschten. Es durchrieselte ihn frostig, als ob der Mond über ihm auf öde Ginsterhaide strahle oder auf ein mattfarbiges Meer, wo er verschlagen in leckem Boot. Im Flüstern der Abendwinde vernahm er einen[134] unsagbaren Ton, der wie ein ferner Harfenton entfloh – eine seltsame Variation über die Melodie:


»Ich liebe Dich so tief, so tief, so tief!

Das stand im letzten Brief.« – –


Sein erster Gedanke nach diesem Trennungsschmerz von Scheiden und Meiden galt der Erledigung seines verhaltenen Bedürfnisses; sein zweiter, sobald er die Stadtbahn bestiegen, der nochmaligen Lectüre des Gedichtes.

Es lautete, als wäre es schlecht memorirt:


Erinnerung.

Erinnerung, sie ist die Blume,

Von Jeglichem wohl gern gehegt.

In unsers Herzen Heiligthume

Hat sie ein guter Gott gelegt.

Oh! pfleg sie warm Dein ganzes Leben

Denn nur im Licht und Sonnenglanz

Im Strahl der warmen Freundessonne

Erblüht die Blume voll und ganz.


Erinnerung blinkt am Lebenshimmel

Wohl Allen lieb als lichter Stern,

Sie bleibt bei uns, auch wenn wir einsam

Von Allem was wir lieben fern.

Weit über Ströme über Zeiten

In Leid und Lust in Wort und Lied

Schlägt sie die luftigen lichten Brücken,

Drauf der Gedanke weiterzieht.


»Sind Sie leidend, Herr Rother?« fragte der würdige Herr Bammer, als Eduard dort sein spätes Abendbrot verzehrte. »Nicht? Sehn so blaß aus. Gestern[135] Abend war einer von Ihren Freunden hier, der Herr Luckner. Wir haben lange geplaudert.«

»Was Sie sagen!« versetzte Rother kühl. Er konnte sich denken, daß auch über Kathi alle Mordsgeschichten ausgepackt waren. Luckner, der talentvolle Maler griechischer Interieurs à la Alma Tadema, schien der letzte, den er als Mitwisser dieser Affaire gewünscht hätte. Er empfahl sich bald und begab sich in das Sumpf-Café, wo seine Freundin Mary ihn mit Begeisterung empfing. Eine Rose, die sie ihm geschenkt, hatte er aus absichtlicher Koketterie ins Knopfloch gesteckt. Obwohl sie theure Weingäste hatte, ließ die von Eros' Pfeil Getroffene dieselben sitzen und schmiegte sich an den Verzehrer eines Glases Bier, der mittlerweile auch seine Uhr wieder eingelöst hatte. Als sie aber immer zudringlicher wurde, konnte er sich nicht verkneifen, aus einer halb braven halb frivolen Laune das Bild Kathis hervorzuziehn, was natürlich Marys komische, Eifersucht entflammte. »Meinem lieben Freunde,« las sie die Aufschrift. »Nun, wenn Du nur ihr Freund warst –!« Er zuckte die Achseln. »Ach Du willst mich ja nur foltern!« schluchzte sie beinah. Und indem sie ihn mit leidenschaftlicher Zärtlichkeit umschlang, flüsterte sie die Lieblings-Liebesphrase ihres Kellnerinnenjargons: »Bit Du meine Nauze?« Er ging mit ihr nach Hause.

Als er am andern Morgen heimkehrte, warf er noch in grauender Dämmerung eine Zeichnung Kathis aus der Erinnerung aufs Papier – sie aufwärts blickend, während eine Geniengestalt (mit ihm ähnlichen Zügen) herniederschwebend[136] einen Lorbeerkranz auf ihre Stirne drückt; hinterher ein Gedicht, um seine wechselnden Empfindungen abzulagern. Einen Augenblick bedachte er sich, dann packte er Beides in ein Couvert und schrieb ein paar glühende Liebesworte dazu, die »Theure Khati« anhoben und »Ich konnte mein Blut für Dich opfern« endeten. Er sagte darin, daß all seine Kräfte sich verdoppeln würden, wenn sie sein wäre, daß nur sie ihn von seiner Liederlichkeit durch seine reine Liebe für sie befreien könne und daß sie allein ihn glücklich machen könne, wie er sie sicher glücklich machen werde. Der Brief athmete reinste zarteste Liebe und nahm kein Recht irgendwie voraus. »Nur um eins beschwöre ich Sie: Werfen Sie sich nicht fort! Sie sind viel zu edel und vornehm angelegt, um sich einem Rausch der Leidenschaft hinzugeben?«

Es lag zwar eine gewisse Brutalität darin, ihr so unverhohlen mitzutheilen, daß er am Abend nach dem innigen Abschied von ihr, seiner wahren Liebe, einem so gewöhnlich sinnlichen Gelüst nachgegeben – aber doch auch eine rührende naive Aufrichtigkeit, die dem geliebten Wesen, der Freundin seiner Seele, auch nicht seine geheimsten Schwächen verbergen wollte.

Das seltsame Gedicht lautete mit seiner Mischung von sentimentaler Hingebung und Selbstherrlichkeit, die an Größenwahn streifte:


»Wie kalt Du heute bist!« sprach sie mit heißem Munde,

Der düftend stets an meinen Lippen hing.

Ja innen blutete geheim die alte Wunde:

Dein Bild durch meine Seele ging.
[137]

Dich hab ich nicht geküßt, als ich die Hand Dir drückte

Mein Lebewohl hat stumm Dich angeschaut.

Doch ewig bleibst, wohin das Schicksal Dich entrückte,

Du meiner Seele angetraut.


Ja, eine Liebe giebt's, die einmal nur geboren,

Wie eine Perle nur die Muschel giebt.

Und ob ich hundertmal auch Liebe zugeschworen,

Ich habe einmal nur geliebt.


Ja, jeder neue Kuß, den wild ich mit ihr tauschte,

Verschärfte einzig meiner Sehnsucht Pein.

Bei ihrer Liebesgluth, die gestern mich berauschte,

Durchfröstelt's kalt heut mein Gebein.


O Leben, schlechter Spaß! O wechselnd Rad der Liebe!

Sie fühlt für mich, was ich für Dich gefühlt.

Was hab ich wachgeküßt der Hoffnung eitle Triebe,

Indeß mein Herz von Qual zerwühlt?


»My darling!« seufzt sie leis, die Wimper lustbefeuchtet.

Jaja schon gut, mein interessantes Kind.

Den Dämon kenn ich wohl, der mir im Auge leuchtet

Und der Dein kluges Hirn umspinnt.


Nur Liebenswerthe sind's, die je mein Kuß gesegnet,

Kein fades Herz sich mir zu eigen giebt.

Die Liebenswertheste allein, die mir begegnet,

Die Eine hat mich nie geliebt.


Die kluge Thörin hat der Liebespfeil getroffen,

Der tiefer sich und immer tiefer bohrt.

Auf meine Küsse mag sie ruhig weiter hoffen,

Mein Herz bleibt ewig ihr umflort.
[138]

Was soll man eben thun! Man sucht sich zu betäuben

Und damit holla! Alles ist dahin.

Man muß die Motten frisch sich aus dem Aermel stäuben

Und – aus den Augen, aus dem Sinn!


Doch wo mein Name tönt in ferner Zukunft Tagen,

Umzittert unsichtbar ein stolz Geheimniß dich.

»Er war mein Freund,« so raunt Dein Herz mit höherem Schlagen.

»Geliebt hat er nur Eine – mich.«


– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –


»Nun, wie war der Abschied?« fragte die Wirthin an jenem Abend, als Kathi sinnend und tief ergriffen in der Stube auf und abging.

»O sehr, sehr nett,« versetzte diese hastig mit leidenschaftlich bewegter halb erstickter Stimme. »Er ist solch ein edler Mensch, das muß wahr sein. Und – und ich hab ihn von Herzen gern.« – –

Der edle Mensch saß mittlerweile am andern Nachmittag, als Kathi und die Wirthin letzte Einkäufe in der Stadt machten – Kathi noch immer in inniger bewegter Stimmung, – mit der edlen Mary in einem kleinen Wiener Café, wo er sich früher auch mit Kathi Rendevous gegeben hatte. Kneifer-Mary hatte ihre Wirthin als Schutzgarde mitgebracht, um sich als anständige junge Dame zu präsentiren, und sah sehr blühend und jugendlich aus. Sie stellte ihr »Verhältniß« vor – »Herr..«

»Mein Name ist Hase,« gab er mürrisch zurück. »Manchmal auch Meyer.« Er war äußerst einsilbig und trocken. Marys Anspielungen, daß sie spazieren fahren[139] möchte, fielen auf ganz unfruchtbaren Boden. In dem Glauben, daß nur die Anwesenheit der Wirthin ihn mißstimme, wußte sie dieselbe zu entfernen, nachdem diverse Chokoladen vertilgt waren. Die »Damen« hatten notabene eine halbe Stunde auf ihn warten müssen und er war auch nur erschienen wie er sagte, weil er es versprochen hatte. Mary's Andeutungen, daß sie nur für ihn so weit weg von ihrer Wohnung hierhergekommen sei und obendrein so lange gewartet habe – für keinen Andern – nahm Eduard ebenfalls mit gähnender Gleichgültigkeit entgegen. »Deine Gedanken sind weit weg,« seufzte sie.

»Jawohl,« brummte er finster.

»O ich weiß wohl wo – bei ihr?!« Er antwortete gar nicht. Stumm und zerstreut begleitete er sie bis vor ihr Lokal, kaum darauf achtend, daß verschiedene Vorübergehende auf der Friedrichstraße ihn erkannten und grüßten. Vornehm streifte er ihre Hand, lüftete den Hut und bemerkte gar nicht ihren vorwurfsvollen Blick, als er sich rasch von dannen trollte. Die Profanation dieser Amour nebenher schien ihm doch zum Bewußtsein gekommen.

Sie gefiel ihm und sie liebte ihn. Aber er liebte sie halt nicht.

Und dennoch, von Langeweile und Spleen geplagt kehrte er um neun Uhr Abends wieder in dem Sumpflokal ein, wo sein Erscheinen als »Verhältniß«, in das die närrische Mary verliebt war, Sensation erregte. Sie mußte viel von ihm erzählt haben. Aber nachdem er eine Stunde vergeudet, begab er sich, allen Bitten[140] seiner Verehrerin zum Trotz, nach Hause. – – Um die selbe Zeit nahm Kathi Abschied von ihrer Wirthin am Lehrter Bahnhof.

» ... Und ja, so wird es denn auch wohl am Ende kommen: Ich werde ihn heirathen. O wie schwer es mir wird, zu gehn, das wissen Sie nicht.«

»Brauchen Sie auch wirklich kein Geld mehr, Kathi?« fragte die gute Wirthin. »Sonst will ich's Ihnen leihen. Sagen Sie mir, ob Sie Geld haben!«

»O wie können Sie mich so beleidigen!« rief sie aus und wurde feuerroth. Es blieb charakteristisch für sie, daß sie es als gröbste Injurie empfand, wenn man sich nach ihren Geldverhältnissen erkundigte. – Kurz vorher hatte sie freilich ihre Wirthin in Verwunderung gesetzt durch eine höchst sonderbare plötzliche Forderung. Sie hatte dieser nämlich, da sie ihr doch die Miethe schuldig blieb, einen Pfandschein als Sicherheit übergeben, der eingelöst werden sollte, wenn sie das nöthige Geld aus Hamburg sende. Nun fing sie auf einmal an. »Ach wissen's, liebe Frau Lämmers, geben's mir lieber den Pfandschein wieder zurück!« Die tüchtige, ehrenfeste, aber welterfahrene Berlinerin rief natürlich stutzig: »Wie so, vertrauen Sie ihn mir nicht an?« Und als Kathi feuerroth fuhr sie heraus: »Nein nein, besser ist besser!«

Sofort begann Kathi vor Wuth zu weinen. »Also auch Sie! daß auch Sie mir mißtrauen!« so ging die Litanei fort, die aber versöhnlich endete.

Nun saß sie also endlich im Coupé. Sie war standhaft und ruhig. Erst als der Zug sich in Bewegung[141] setzte und sie ihr thränenüberströmtes Antlitz zum Fenster hinauswandte, bemerkte man: sie weinte bitterlich.

Was schmerzte sie denn so? Sie wurde ja ihre peinliche Existenz der letzten Zeit los! sie fuhr ja ihrem verführerischen Prinzipal entgegen. Welcher Abschied schmerzte sie denn so bitter?

Eine Stimme in ihrem Innern antwortete. – –

Quelle:
Karl Bleibtreu: Größenwahn. Band 1, Leipzig 1888, S. 51-142.
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