Sechste Szene

[39] Josepha – Giesecke – dann Loidl.


GIESECKE aus dem Hotel. Na, det Jeschäft is richtig –! Zu Josepha. Wie Ihr Hotel im Bädeker zu dem Stern gekommen ist, das möchte ich auch wissen!

JOSEPHA. Ja, waren's denn nicht zufrieden mit Ihrem Zimmer?

GIESECKE. Das nennen Sie ein Zimmer – die kleine Kiste?

JOSEPHA. Ja, klein is' freilich – aber dafür die Aussicht aus dem Fenster, der schöne Laubwald!

GIESECKE. Mir ist Nadelwald lieber! Da ist es wenigstens ruhig! Aber gestern bei dem Wetter – das war ja ein Rauschen und ein Pfeifen da draußen! Wie soll denn der Mensch da schlafen? Und wie ich doch endlich eingenickt war, da schlägt plötzlich einer gegen die Tür wie verrückt und verlangt von mir mit aller Gewalt, ich soll auf den Dachstein! Um drei Uhr![39]

JOSEPHA lachend. Jesses, der Sepp! Da muß ich freilich um Entschuldigung bitten, das war ein Irrtum.

GIESECKE. Ich danke Ihnen! Und kaum war der Kerl weg, und ich hatte mich gerade wieder ein bißchen auf's Ohr gelegt – da fängt der Hahn an zu krähen ... So was von Stimme ist mir noch nicht vorgekommen! Und dann geht in den Bäumen ein Gezwitscher los – und ein Gepiepse, und die Vögel haben einen Radau gemacht ...

JOSEPHA. Nicht wahr, das ist lustig, das Konzert?

GIESECKE ärgerlich. Wenn ich ein Konzert hören will, dann gehe ich in die Philharmonie, aber nicht ins Salzkammergut!

JOSEPHA. Ja nachher, wann Sie der Wald net mehr g'freut und der Vogelsang auch net – nehmen's mir net übel, Herr von Giesecke – da möcht i wirklich wissen, warum's hierher gekommen sind!

GIESECKE. Das möcht' ich auch wissen!

JOSEPHA. Ihnen gefällt aber auch gar nix! Und an allem haben's was auszusetzen! Die Berge san Ihnen zu hoch, und der See zu tief; wann die Sonne scheint, ist's Ihnen zu warm – und wann der Schatten kommt, zu kalt!

GIESECKE. Ist es auch! Das ist doch nicht meine Schuld!

JOSEPHA. Gewiß san Sie schuld! Sie ganz alleinig! Sie lassen sich durch anen einzigen Mückenstich den ganzen Sommer verleiden – und durch ein paar kleine Ärgernisse das ganze Leben. Aber schaun's, grade wie's gegen die Mückenstiche nur ein Mittel gibt – sich nur net kratzen – so ist's auch mit dem Ärger – sich nur net ärgern!

GIESECKE. Na, erlauben Sie mal, freuen kann ich mir doch nicht d'rüber!

JOSEPHA. Wenn ich Sie nur in die Kur nehmen dürfte, ich würde Ihnen schon ein Rezepterl verschreiben! Zuerst müßten's mir jeden Tag um vier Uhr aufstehen –

GIESECKE. Nehm' ich mir schon einen anderen Doktor.

JOSEPHA. Und dann hinauf in die Berge und in den Wald hinein!

GIESECKE. Was soll ich denn da?

JOSEPHA. Das wird Ihnen der Wald schon selber sagen, müssen nur fein aufhorchen! Und wenn Sie dann zurückkommen, dann bring' ich Ihnen Ihr Frühstück – einen frischen Alpenhonig und oan guten Schinken![40]

GIESECKE. Der zweite Teil vom Rezept gefällt mir ganz gut!

JOSEPHA. Und dann machen wir ein großes Postpaket und stopfen alles hinein, was Sie hierher mitgebracht haben an schlechter Laune und zuwidrem Sinn.

GIESECKE. Das wird aber ein mächtiges Paket werden, da werde ich wohl Überfracht bezahlen müssen.

JOSEPHA. Und wenn's dann fortgehen, dann sagen Sie mir g'wiß beim Abschiednehmen: »Bei Ihnen is' mir's gut gangen – zu Ihna komm' i wieder – pfird Ihna Gott.«

GIESECKE. Und Sie glauben wirklich, die Kur würde bei mir anschlagen?

JOSEPHA ihm neckisch drohend. Nur net kratzen ... net kratzen! Und wenn das noch net hilft, so geb' ich ka Ruh' und singe Ihnen so lange Schnadahupferl vor, bis Sie gesund werden.


Loidl kommt von rechts mit seiner Zither.


GIESECKE. Was singen Sie mir? Schnadahupferl? Was sind denn das für Dinger?

JOSEPHA zum Loidl. Nun, spielen's doch eins! Also zum Beispiel: Singt nach der Melodie: »Wann's Mailüfterl weht«.

Wann einer so'n Gesicht macht

Und a jedem ist gram,

Dann läuft selbst im Kübel

Die Milli zusamm'!

Doch blickt wer in's Leben

Mit hellem Geschau,

Dann wird gleich der Himmel

Noch einmal so blau.

GIESECKE. Das ist ja reizend! Ach, singen Sie mir noch so ein »Hupferl«!

JOSEPHA singt.

Die Liab' ist wie die Diebe, –

Sie kommt über Nacht ...

Und das Herz ist gestohlen,

Wenn man morgens derwacht.

Und da hilft auch kein G'scheitsein, –

Was der Kopf dazu spricht:

Denn das Herz, das mußt' wissen,

Hat sein Köpferl für sich!


Josepha eilt ab.


Quelle:
Oskar Blumenthal und Gustav Kadelburg: Im weißen Rössl. Berlin 16[o.J.], S. 39-41.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Im weißen Rößl
Im weißen Rößl

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Das neue Lied und andere Erzählungen 1905-1909

Das neue Lied und andere Erzählungen 1905-1909

Die Sängerin Marie Ladenbauer erblindet nach einer Krankheit. Ihr Freund Karl Breiteneder scheitert mit dem Versuch einer Wiederannäherung nach ihrem ersten öffentlichen Auftritt seit der Erblindung. »Das neue Lied« und vier weitere Erzählungen aus den Jahren 1905 bis 1911. »Geschichte eines Genies«, »Der Tod des Junggesellen«, »Der tote Gabriel«, und »Das Tagebuch der Redegonda«.

48 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon