Zweite Geschichte

[481] Cisti, der Bäcker, bringt durch eine beißende Antwort Messer Geri Spina wegen eines unbescheidenen Begehrens zur Einsicht.


Die Mädchen und Jünglinge erteilten dem Einfall der Madonna Oretta großes Lob. Die Königin aber gebot Pampinea in gleicher Weise fortzufahren, worauf diese also begann:

Ich für mein Teil wüßte nicht zu entscheiden, ihr schönen Mädchen, wen von beiden größerer Tadel trifft, ob die Natur, wenn sie einer edlen Seele einen mißgestalteten Körper verleiht, oder Fortuna, wenn sie einem Körper, in dem eine edle Seele wohnt, ein niedriges Gewerbe zuweist, was wir an unserem Mitbürger Cisti und an manchen anderen haben wahrnehmen können. Obgleich nämlich Cisti mit einem hohen Sinne begabt war, hatte Fortuna ihn doch nur zum Bäcker gemacht. In der Tat verwünschte ich deshalb Natur und Fortuna zugleich, wüßte ich nicht, daß die Natur in allen Dingen verständig ist, und Fortuna, wenngleich die Törichten sie blind darzustellen pflegen, dennoch tausend Augen hat. So glaube ich denn, daß beide in jenem Falle sehr weise zu Werke gehen, wie selbst Sterbliche, wenn sie Ungewißheit der Zukunft ahnen und ihre[481] wertvollsten Dinge zu besserer Sicherheit an den unscheinbarsten Orten ihres Hauses als den unverdächtigsten vergraben, um sie bei dringendem Bedürfnis hervorzuholen – in welchem Fall jener verachtete Ort besser zur Verwahrung diente, als das schönste Gemach es getan hätte; ebenso verbergen die zwei Dienerinnen der Welt häufig ihre wertvollsten Gegenstände unter dem Schatten der wenig geachteten Gewerbe, damit ihr Glanz um so leuchtender erscheine, wenn jene sie im Notfall hervorholen. Wie Cisti, der Bäcker, dies in einer geringfügigen Sache dargetan und Herrn Geri Spina die Augen vernünftiger Einsicht eröffnet hat, gedenke ich euch in einem Geschichtchen zu erzählen, das mir bei dem eben über Madonna Oretta mitgeteilten in den Sinn kam, weil Madonna Oretta die Gemahlin jenes Geri war.

Ich sage also, daß Papst Bonifaz gewisser wichtiger Angelegenheiten wegen einige Edelleute als seine Gesandten nach Florenz geschickt hatte und diese im Hause des Messer Geri Spina, der beim Papst in sehr hohem Ansehen stand, abstiegen und mit ihm über die Geschäfte ihres Auftraggebers verhandelten. Dabei geschah es aus irgendeinem Grunde, daß Messer Geri und die Abgesandten des Papstes fast jeden Morgen zu Fuß an der Kirche Santa Maria Ughi vorüberkamen, neben der Cisti, der Bäcker, seine Backstube hatte und in eigener Person seinem Handwerk oblag.

Obgleich nun Fortuna diesem Manne ein gar bescheidenes Gewerbe beschieden hatte, war sie ihm doch gewogen gewesen, so daß er mehr als reich geworden war und deshalb, ohne sein Geschäft gegen irgendein anderes vertauschen zu wollen, mit ziemlichem Aufwand lebte. Besonders aber führte er neben andern guten Dingen stets die besten weißen und roten Weine, die in Florenz und Umgebung nur irgend zu finden waren.

Da nun Cisti jeden Morgen Messer Geri und die Gesandten des Papstes vor seiner Tür vorübergehen sah, meinte er, daß es bei der großen Hitze eine willkommene Aufmerksamkeit wäre, wenn er ihnen von seinem guten Weißwein zu trinken gäbe. Zugleich aber gedachte er des Unterschiedes zwischen seinem und des Messer Geri Stande, und so schien es ihm wieder nicht ziemlich, ihnen den Trunk anzubieten. Er ersann sich daher ein Mittel, das Messer Geri bewegen sollte, sich selbst einzuladen.[482]

Zu dem Ende setzte er sich jeden Morgen um die Stunde, zu welcher er Messer Geri mit den Gesandten glaubte erwarten zu können, mit einer schneeweißen Jacke und einer frischgewaschenen Schürze bekleidet, so daß er eher einem Müller als einem Bäcker ähnlich sah, vor seine Haustür und ließ einen neuen verzinnten Eimer voll frischen Wassers und ein kleines, gleichfalls neues Bologneser Krüglein seines guten weißen Weines nebst zwei Bechern, so blank, daß sie von Silber schienen, vor sich hinstellen. Wenn er sie dann kommen sah, spülte er sich ein- oder zweimal den Mund und begann darauf mit einem solchen Ausdruck des Behagens von seinem Wein zu trinken, daß er wohl selbst einem Toten Appetit darauf gemacht hätte. Nachdem dies Messer Geri den ersten und den zweiten Morgen mit angesehen hatte, sagte er am dritten: »Nun, Cisti, wie ist er? Ist er gut?« Cisti erhob sich sogleich und antwortete: »Herr, gut ist er. Wie gut aber, kann ich Euch nicht deutlich machen, wenn Ihr ihn nicht versuchen wollt.«

Sei es nun, daß die Beschaffenheit des Wetters in Messer Geri Durst erweckt hatte, oder daß eine mehr als gewöhnliche Anstrengung oder auch nur das behagliche Trinken Cistis die Ursache sein mochte, genug, er sagte, zu den Botschaftern gewendet, mit Lächeln: »Ihr Herren, es wird gut sein, daß wir den Wein dieses wackeren Mannes versuchen. Vielleicht finden wir ihn von einer Güte, daß wir es nicht zu bereuen haben.« Und somit gingen sie gemeinsam zu Cisti. Dieser aber ließ aus der Backstube eine saubere Bank herbeibringen und lud die Herren zum Sitzen. Zu ihren Dienern indes, die sich schon daran machen wollten, die Becher zu waschen, sagte er: »Freunde, bleibt mir davon weg und überlaßt es mir, diesen Dienst zu besorgen. Ich verstehe mich ebenso gut dar auf, Wein in die Becher zu schenken, wie Brot in den Ofen zu schieben. Und macht euch keine Hoffnung, einen Tropfen zu kosten.« Während er so sprach, schwenkte er selbst vier schöne und neue Becher aus, ließ ein Krüglein seines guten Weines bringen und schenkte Herrn Geri und seinen Gefährten fleißig zu trinken ein.

Alle erkannten den Wein für den besten, den sie seit langer Zeit getrunken, und lobten ihn aus vollem Halse, weshalb denn[483] auch Messer Geri, solange die Gesandten verweilten, fast jeden Morgen dorthin zum Trunke ging. Als aber diese ihre Geschäfte beendet hatten und wieder abreisen sollten, richtete Messer Geri noch ein glänzendes Festmahl her, zu dem er viele der angesehensten Bürger bat. Auch den Cisti hatte er laden lassen; doch wollte dieser auf keine Weise der Einladung folgen. Da hieß Messer Geri einen seiner Diener um eine Flasche jenes Weines zu Cisti gehen, so daß auf jeden Gast ein halbes Glas voll käme, das beim ersten Gericht gereicht werden sollte. Der Diener, den es vielleicht verdroß, daß er von dem Weine noch nie hatte zu trinken bekommen, nahm eine große Flasche mit auf den Weg. Als Cisti diese gewahr ward, sagte er: »Mein Sohn, Messer Geri schickt dich nicht zu mir.« Zwar versicherte der Diener wiederholt, daß es sich wirklich so verhalte; da er indes von Cisti keine andere Antwort erlangen konnte, kehrte er zu Messer Geri zurück und berichtete ihm Cistis Worte. Messer Geri erwiderte: »Gehe nur noch einmal hin und sage, daß ich allerdings dich schicke, und wenn er dir dann wieder so antwortet, so frage ihn, wohin denn sonst ich dich schicken möchte.« Zu Cisti zurückgekommen, sagte der Diener: »Gewiß doch, Cisti, Messer Geri schickt mich zu dir.« Hierauf antwortete Cisti: »Gewiß, mein Sohn, er tut es nicht.« »Nun«, sagte der Diener, »wohin schickt er mich denn sonst?« »Zum Arno«, entgegnete Cisti.

Der Diener berichtete diese Antwort dem Messer Geri, und sobald dieser sie vernahm, ging ihm ein Licht auf, und er sagte zum Diener: »Laß mich doch die Flasche sehen, die du hingetragen hast.« Als er sie gesehen hatte, fügte er hinzu: »Cisti spricht die Wahrheit.« Dann schalt er den Diener und ließ ihn eine angemessenere Flasche nehmen. Kaum erblickte Cisti diese, so sprach er: »Nun sehe ich wohl, daß er dich zu mir schickt«, und füllte sie ihm bereitwillig. Noch am selben Tage aber ließ er ein Fäßlein dieses Weines in der Stille dem Messer Geri ins Haus tragen. Bald darauf ging er dann selber zu ihm und sagte: »Herr, es wäre mir nicht lieb, daß Ihr glaubtet, die große Flasche von heute morgen hätte mich erschreckt. Es schien mir nur, als ob Ihr vergessen hättet, was ich Euch durch meine Krüglein früher angedeutet hatte, daß dies nämlich kein Gesindewein[484] sei, und darum wollte ich Euch heute früh daran erinnern. Weil ich aber nicht mehr der Wächter meines Weines zu sein gedenke, habe ich meinen ganzen Vorrat Euch zugeschickt; nun tut damit in Zukunft, was Euch beliebt.«

Messer Geri hielt das Geschenk des Cisti äußerst wert. Er dankte ihm so herzlich, wie es sich für eine solche Gabe ziemte, und achtete ihn von da an stets als einen Ehrenmann und Freund.

Quelle:
Boccaccio, Giovanni: Das Dekameron. München 1964, S. 481-485.
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