Fünfter Auftritt.

[14] Grobian und die Vorigen.


GROBIAN. Gehorsamer Diener, gehorsamer Knecht, mein wehrtgeschätzter Herr! Sind sie nicht der Herr Ehrenwehrt aus Leipzig? Mein Sohn hat mir erst vor einer halben Stunde gesagt, daß sie hier kommen würden, sonst hätte meine Frau ein und andere Anstalten zu ihrer Bewirthung machen sollen. Sie läßt sich auch entschuldigen, daß das Haus nicht rein ist. Sie hat mit der Wäsche zu thun.

EHRENWEHRT. Ich bin von Herzen erfreuet, den Vater desjenigen kennen zu lernen, den ich über alle Freunde in der Welt schätze.

GROBIAN. Ja, ja, er ists auch wehrt, er ist ein guter Junge. Er hätte aber noch besser werden sollen, wenn ich ihn selbst erzogen hätte. Zum Sittenreich. Was ist das für ein Mensch, das der Herr bey sich hat?

CAROLINA zum Ehrenwehrt. Ein Mensch, lieber Bruder!

GROBIAN. Was ists, was ists?

SITTENREICH zur Carolina. Sie zürnen nicht, schönstes Kind, mein Vater ist niemals in Obersachsen gewesen. Er nimmt das Wort im guten Verstande. Zum Grobian. Herr Vater, das Wort Mensch bedeutet in Obersachsen gar etwas Böses.[14]

GROBIAN. Und was denn?

SITTENREICH. Es bedeutet so viel als eine liederliche Weibsperson, oder mit einem Worte, eine Hure.

GROBIAN. Je nun, kann ich den Leuten ansehen was sie sind? Eine Hure ist ein Mensch, und eine Jungfer ist auch ein Mensch, und damit ist es aus. Sage mir nur, wer sie ist.

SITTENREICH. Es ist des Herrn Ehrenwehrts Jungfer Schwester.

GROBIAN. Meine liebe Jungfer, ich will nicht hoffen, daß sie böse geworden sind. Es wäre fürwahr närrisch, denn ich versichere ihnen, daß ich nicht gewust habe, und auch diese Stunde nicht glaube, daß in ihrem Lande das Wort: Mensch, eine Hure bedeutet, zum Teufel, wir sind ja alle Menschen.

CAROLINA. Unwissend sündiget man nicht. Ich bitte zu verzeihen, daß wir ihnen so frey zugesprochen.

GROBIAN. O, daran haben sie wohl gethan. Zum Sittenreich leise. Das ist ein gutes Mädgen vor dich. Zum Ehrenwehrt. Aber sagen sie mir doch, mein Herr, aus was Ursache haben sie eine so weite Reise angetreten?


Sittenreich und Carolina sprechen besonders.


EHRENWEHRT. Die Reise ist ja so groß nicht.

GROBIAN. Von Leipzig bis hier sollen doch über hundert Meil Weges seyn.

EHRENWEHRT. O, nein, es sind nur einige vierzig.

GROBIAN. Ich habe mich mein Tage nicht um die Wege bekümmert, denn ich bin nicht Willens gewesen zu reisen. Hamburg ist ja doch der größte und beste Ort in der ganzen Welt.

EHRENWEHRT. Um Vergebung, mein Herr, Paris und London sind weit grösser, anderer zu geschweigen.

GROBIAN. Ey was Paris, was London. Ich habe einen Vetter, der ist in Paris und London gewesen. Dieser hat mir so viel toll Zeug von diesen Oertern gesagt, daß ich da mich nicht todt wünschen möchte. Zum Exempel: In Paris hat er vor Geld keine Eyermonden kriegen[15] können. In London haben sie nicht gewust, was Krullkuchen vor Dinge sind. Sie haben nicht einmal ein Federbett daselbst gehabt. Der Wein ist dort sechsmal so theuer als hier; so, daß man sich zum Bettler saufen möchte, und was das merkwürdigste; unter hundert Personen ist manchmal kaum einer gewesen, der deutsch verstanden. Kann man das grosse Oerter nennen?

EHRENWEHRT. In Paris und London haben sie dagegen hunderterley Sachen, die uns in Deutschland fehlen und unbekannt sind. Unter hundert von unsern Landsleuten wird auch kaum einer englisch oder französisch verstehen.

GROBIAN. Ey, wozu ist das nöthig. Nach meinem Willen sollte die ganze Welt deutsch reden. Was Teufel, die deutsche Sprache kostet ja nichts. Die andern muß man vor Geld und mit grossem Kopfbrechen lernen, und alsdenn klingts, als wenn Hunde und Katzen heulen. Kein Mensch verstehts.

EHRENWEHRT. Eine jede Nation verstehet ihre Sprache so gut, als wir Deutsche die unsere. In London kostet den Einwohnern, das Englische zu lernen, so viel, als uns Deutschen, das Deutsche, und so ists in Paris mit dem Französischen.

GROBIAN. Reden sie denn in Paris und London nicht einerley Sprache? Nach meiner Meinung liegt Paris und London so bey einander, als Hamburg und Altona.

EHRENWEHRT. Nein, mein Herr, sie liegen 70. Meilen von einander. London ist die Hauptstadt in Engelland, und Paris die Hauptstadt in Frankreich. Beyde aber sind die Residenzen der Könige.

GROBIAN. Das ist mir zu weitläuftig und der Schnickschnack bringt nichts ein. Um einer halben Stunde werden wir speisen, und will der Herr die Ehre haben, und mein Gast seyn, und nebst seiner Jungfer Schwester mit uns vorlieb nehmen; so soll er willkommen seyn. Was wir über der Tafel reden werden, soll vielleicht mehr einbringen.[16]

EHRENWEHRT. Wir werden nicht so unhöflich seyn, gleich das erstemal Ungelegenheit zu verursachen.

GROBIAN. Ey, was Ungelegenheit! Machen sie nur keine unnöthige Complimenten. Ein Schelm, der ihrentwegen Umstände macht.

EHRENWEHRT. Das wollen wir uns denn von ihnen ausbitten.

GROBIAN. O, so was gebrauche ich nicht. Wenn der Pabst oder der Türkische Kayser, oder der Teufel und seine Großmutter auf den Stutz zu mir kämen, und hätten die Ehre, daß ich sie zum Essen bäte; so müßten sie mit mir vorlieb nehmen.

EHRENWEHRT. Das ist auch billig, wenn mans so gut hat als der Wirth selber, so muß man zufrieden seyn.

GROBIAN. Der Herr ist mein Mann, ich höre es schon. Ich habe das Sprichwort: Wer das nicht essen will, was ich esse, der fresse das, wobey es gekocht ist. Ich will ihnen wohl vorher sagen, was wir speisen werden. Laß sehen, es ist heute Montag, Dienstag, Mittwochen ... Rocken Warmbier und Plücktefinken. Wir essen, Jahr aus Jahr ein, einerley.

EHRENWEHRT. Die Gerichte sind mir unbekannt; jedoch es sey was es wolle, gute Gesellschaft ist immer mein bestes Gericht.

GROBIAN. Ey, ey, ich mag doch gerne was Leckers fressen, wenn es nur nicht so viel kostete. Ich wollte daß der Herr gestern gekommen wäre, so hätte ich ihm einen vortreflichen Bunkenknochen vorsetzen wollen. Vielleicht ist noch ein kleiner Rest übrig, daß wir die Probe davon kriegen. Zum Sittenreich. Du, führe den Herrn Ehrenwehrt und seine Jungfer Schwester ins Zimmer, und verkürze ihnen die Zeit. Ich will bald wieder bey euch seyn.


Sittenreich, Ehrenwehrt und Carolina gehen ab.


GROBIAN. Es kostet mir Mühe von Staats-Affairen zu reden. Ich bin nicht dabey hergekommen und gleichwol konnte ich nicht das erstemal sagen: Herr, wollet ihr meine Tochter haben? Der Narr hätte auch nur[17] gleich das Maul aufthun können. Mein Sohn wird es ihm doch wohl gesagt haben, daß ich es schon weiß. Ueber Tische werde ich nicht lange hinter dem Berge halten, und wenn mir der Kerl lange um den Brey herum gehen will, so werde ich ihm ins Facit sagen: daß er ein Narr ist.


Quelle:
Hinrich Borkenstein: Der Bookesbeutel. Leipzig 1896, S. 14-18.
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