Fünfter Auftritt.

[62] Grobian und Gutherz.


GROBIAN. So geht mirs immer. Wenn ich meine, ich habe hundert Reichsthaler verdienet, so sind es nur neun und neunzig. Wenn ich eine Erbschaft von 20000 Reichsthaler kriege; so müssen wenigstens 300 Reichsthaler schlechte Schulden darunter seyn. Kein Wunder wäre es, wenn man sich zu nahe thäte. Da habe ich einen schönen Schmuck von Perlen und Juwelen, der bey mir versetzet ist; da gedachte ich fest, ich wollte ihn dem Eigner für das halbe Geld abdringen: so muß ich zu meinem Unglück hören, daß er morgen eingelöset werden soll; und bin also genöthiget, die Steine und Perlen, so zu meiner Kinder Hochzeitschmuck erfodert werden, für baares Geld zu kaufen. O, bin ich nicht der unglückseligste[62] Mensch von der Welt! ich kann doch nicht sagen, wie einem zu Muthe ist, der eine recht vergnügte Stunde hat. Siehe da, Herr Schwager, sind sie hier?

GUTHERZ. Ja, ich bins, und höre mit Verwunderung, wie sie sich über ihr Unglück beklagen.

GROBIAN. Habe ich nicht recht? gehet wohl eine Sache nach meinem Sinne? Es sind ohngefehr acht Tage, da fand ich auf der Gasse einen kleinen Beutel, welchen vermutlich jemand verlohren, darin zählte ich vier Goldstücke. Als ich solche des andern Tages wollte taxiren lassen, war eines darunter, so nur von Silber und vergöldet war; darüber ärgerte ich mich dermassen, daß man mir zur Ader lassen muste.

GUTHERZ. Das hat ihnen jemand zum Possen gethan.

GROBIAN. Das ist möglich, denn es giebt viele Verschwender. Jedoch ich wollte, daß man mir auf die Art oft einen Possen spielte.

GUTHERZ. Das wäre eine Gewissenssache. Wie! wenn sie sich einmal todt ärgerten?

GROBIAN. O, das hat nichts zu bedeuten. Wenn ich Geld dafür bekomme, so schadet mir die Aergerniß nicht.

GUTHERZ. Ich höre, wenn sie Stockschläge kriegen, so ärgern sie sich auch nicht, um die Proceßkosten zu ersparen.

GROBIAN. Ich merke schon, worauf sie zielen. Es haben mir schon andere vorgerücket, daß ich neulich in öffentlicher Gesellschaft Stockschläge bekommen; allein das sind Schelme und Diebe, die es gesagt haben. Wie die Schlägerey anfieng, war ich eben weggegangen.

GUTHERZ. Wenn ihr Rücken damit zufrieden ist; so kann ich es auch leiden.

GROBIAN. Ein jeder muß seine Sachen ausführen, wie ers für sich selbsten am zuträglichsten findet; und das sind Schurken, die sich um anderer Leute Schläge bekümmern.

GUTHERZ. O, das sind Kleinigkeiten, wenn ihnen nicht sonst jedermann mit Fingern nachwiese.[63]

GROBIAN. Ey, laß sie mir hinten fingeriren, so viel sie wollen.

GUTHERZ. Aber wollen sie denn nicht einmal in sich schlagen, und sich für sich selber schämen? Betrachten sie nur ihre Gestalt. Sie gehen auf der Gasse wie ein Bär, und nicht anders, als wenn sie bestellt wären, jedermann zu verfolgen. Sie grüssen ihre besten Freunde nicht.

GROBIAN. Ey, mein Hut kostet Geld.

GUTHERZ. Alle Leute klagen über ihre Unempfindlichkeit. Neulich hat jemand vor ihrer Thüre ein Wagenrad zerbrochen, und sie haben ihm nicht einmal eines von ihren Rädern leihen wollen, daß er hätte nach Hause kommen können.

GROBIAN. Ey, Räder kosten Geld.

GUTHERZ. Ihre ganze Verwandschaft fürchtet sich mit ihnen umzugehen. Sie gehen ihnen aus dem Wege, als einem Raubthiere oder einem Trunkenen.

GROBIAN. Ich glaube, sie sind herkommen, um mich toll zu machen.

GUTHERZ. Es ist meine Schuldigkeit, ihnen diejenige Aufführung vorzuhalten, wodurch sie sich in der ganzen Stadt eine üble Nachrede machen.

GROBIAN. Nachrede hin, Nachrede her. Wenn die Leute sagen, daß man kein Geld hat, das ist eine üble Nachrede.

GUTHERZ. Wenn sie sagen, daß man hochmüthig ist, das ist noch eine ärgere Nachrede; und ihnen die Wahrheit zu sagen: Der Hochmuth ist eben die Wurzel ihrer Grobheit. Sie bilden sich ein, daß niemand in der Stadt sey, an dem mehr gelegen ist, als an ihnen. Wenn sie sich in den Finger schneiden, und der Nachbar bricht einen Arm oder ein Bein; so ist ihr Unglück doch das größte. Sie meinen, die ganze Welt sey nur allein zu dem Ende da, daß sie ihnen zolle. Wie wäre es sonst möglich, daß sie sich ärgern könnten, wenn sie etwas finden, daß nicht so viel wehrt ist, als sie sich vorstellen? oder wie können sie mit Fug verlangen, daß ihnen jemand[64] Kleinodien oder andere Sachen für den halben Wehrt verkaufe? Und wie können sie wohl mit Recht böse werden, wenn man ihnen dergleichen Thorheiten vorhält, da sie doch allen Leuten, die mit ihnen umgehen, nichts als Grobheiten sagen.

GROBIAN. Wenn mir jemand anders dergleichen Dinge sagte, den sollte der Beelzebub aus meinem Hause führen. Weil ich aber ihrer Hülfe heute noch benöthiget bin, so will ich sie mit Höflichkeit bitten, das verfluchte Maul zu halten, und mir statt dessen zu sagen: wie meiner Kinder Heirathsachen stehen.

GUTHERZ. Von ihrem Sohne werden sie vernommen haben, daß er der Jungfer Carolina Herz gewonnen hat. Was aber ihrer Jungfer Tochter Absicht auf den Herrn Ehrenwehrt betrifft, daraus möchte wohl nichts werden.

GROBIAN. Was! nichts werden?

GUTHERZ. Nein! Und, um sie nicht aufzuhalten so wissen sie: daß der Herr Ehrenwehrt ihre Tochter nicht verlanget, weil sie nicht nach seinem Sinne erzogen ist; dagegen hat er sich die Jungfer Charlotte zur Braut erwählet.

GROBIAN. O Himmel! Laßt den Barbierer kommen, daß er mich zur Ader läßt! Schickt zum Doctor, daß er ein Pulver mitbringe! ach, ein Clystir! Wo ist meine Frau mit ungarischem Wasser? Ha, ich zerreisse mich! ich werde toll! ich bin des Todes! Ich bin verdammt! Ach, meine Tochter! Charlotte! Meine Frau! Herr Ehrenwehrt! Mein Sohn!


Quelle:
Hinrich Borkenstein: Der Bookesbeutel. Leipzig 1896, S. 62-65.
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