Die 65. Historie sagt, wie Ulenspiegel zu Pariß ein Pferdkäufer ward und einen Frantzosen seinem Pferd den Schwantz ußzoch.

[186] Schimpfliche Schalckheit thet Ulenspiegel einem Roßdüscher bei dem See zu Wißmar. Wan dahin kam alzeit ein Roßdüscher, der koufft kein Pferd, nur das er da kouffschlagt und nit koufft und zoch dan die Pferd bei dem Schwantz. Das thet er den Pferden, die er nit koufft, und[187] het am Ziehen sein Gemerck, ob daz Roß lang leben würde. Und was sein Gemerck also: Het ein Pferd einen langen Schwantz, so zoch er sie bei dem Schwantz. Stund ihnen daz Langhar leiß im Schwantz, so kaufft er daz nit, also het er den Glauben, daz es nit lang lebte; stunde ihm daz Har fest im Schwantz, daz kaufft er und het guten Glauben, daz es lang leben würd und wär harter Natur. Und dis waz ein gemeine Sag zu Wißmar, also daz sich jederman darnach richtet.

Daz ward Ulenspiegeln zu wissen und gedacht daruff: »Dem must du ein Schalckheit thun, es sei, waz es wöl, daz der Irtum uß dem Volck kum.« So kunt Ulenspiegel etwas mit der schwartzen Kunst sich behelffen und uberkam ein Pferd und macht daz mit der schwartzen Kunst, als er daz haben wolt. Und zoch darmit zu dem Marckt und bot das Pferd thüer, uff daz sie ihm daz nit abkaufften, solang daz diser Kauffman kam, der die Pferd bei dem Schwantz zoch. Dem bot er daz Pferd gutes Kauffs. Der Kauffman sah wol, daz daz Pferd schön waz und gut für daz Gelt und gat auch harzu und wolt ihm hart an dem Schwantz ziehen. Und Ulenspiegel het daz also gemachet: Sobald daz er dem Roß den Schwantz zuge, daz er ihn in der Hand behielt, und waz dem Pferd daz also geschaffen, als ob er dem Pferd den Schwantz hät ußgezogen.

Diser Kauffman stund und ward zaghafftig, und Ulenspiegel ward rieffen: »Rabio uber dise Bößwicht! Sehen, lieben Burger, wie er mir mein Pferd verhönet und verderbet hat!« Die Burger kame darzu und sahen, das der Kauffman den Pferdßschwantz in der Hand het und das es seinen[188] Schwantz nim het. Und der Kaufman sich seer forcht. Da fielen die Burger darzwischen und machten, das der Kauffman Ulenspiegeln gab 10 Guldin und behielt sein Pferd. Unnd Ulenspiegel zoch mitt seinem Pferd hinweg und setzt ihm den Schwantz wider an. Und der Kouffman zoch nach der Zeit kein Pferd mer bei dem Schwantz.

Quelle:
Ein kurtzweilig Lesen von Dil Ulenspiegel. Stuttgart 1978, S. 186-189.
Lizenz:
Kategorien: