31. Immer noch Liebesgeschichten. Doch auch anderes mitunter

[136] Laßt mich meine Kinder, Freunde, Leser! wer Ihr seyn mögt', ich bitt' Euch, laßt mich ein Thor seyn! Es ist Wohllust – süsse, süsse Wohllust, so in diese seligen Tage der Unschuld zurückzugehn – sich all die Standorte wieder zu vergegenwärtigen, und die schönen Augenblick' noch einmal zu fühlen, wo man – gelebt hat. Mir ist, ich werde von neuem jung, wenn ich[136] an diese Dinge denke. Ich weiß alles noch so lebhaft, wie's mir war, wie's mich deuchte; empfinde noch jedes selige Weilchen, das ich mit meinem Aennchen zubrachte – möchte jeden Tritt beschreiben, den ich an ihrer Seite that. Verzeiht mir's, und überschlagt's, wenn's Euch eckelt.

Aennchens Stiefäti war ein leichtsinniger Brenzwirth; ihm galt's gleichviel, wer kam und ihm sein Brenz absoff. Ich war nun im Kurzen bey seinem Töchtergen wieder wohl am Brett, und genoß dann und wann ein herrliches Viertelstündchen bey ihr. Das lag nun meinem Vater gar nicht recht. Er sprach mir ernstlich zu; es half aber alles nichts; Aennchen war mir viel zu lieb. Fürchterlich schimpft' er bisweilen auf dieß verdammte Brenznest, wie er es nannte; und Anne sah er für eine liederliche Dirn' an – und doch, Gott weiß es! das war sie – wenigstens damals nicht; das redlichste brävste Mädchen das ich je untern Händen gehabt, fast meiner Länge, so schlank und hübsch geformt, daß es eine Lust war. Aber ja, schwätzen konnt' sie wie eine Dohle. Ihre Stimme klang wie ein Orgelpfeifchen. Sie war immer munter und allert; um und um lauter Leben; und das macht' es eben, daß mancher Sauertopf so schlimm von ihr dachte. Wenn meine Mutter meinen Vater nicht bisweilen eines Bessern belehrt, er hätt' mit Stock und Stein drein geschlagen.

So verstrich der Sommer. Noch in keinem hatten mir die Vögel, die ich alle Morgen mit Entzücken behorchte, so lieblich gesungen. Gegen den Herbst zogen wir in die Pulverstampfe. Herr Amman H. nahm nämlich[137] um diese Zeit meinen Vater zum Pulvermacher an. Der Meister, C. Gasser, wurde von Bern verschrieben, und lehrt' uns dieß Handwerk aus dem Fundament, so daß wir auch das Schwerste in wenig Wochen begreifen konnten. Unter anderm war mein Aeti froh, mich itzt ein Stück weit von Aennchen weg zu haben. Auch überwand ich mich ziemlich lang' – als das liebe Kind einst unversehns zu uns zu Stubeten kam. Ich erschrack sehr, und dacht' wohl, da würd' ein Wetter losgehn. So lang' sie da war, hiengen des Vater Augbraunen tief herunter; er schnaubte vor Grimm, redte kein Wort – horchte aber, wie man leicht merken mochte, auf alle Scheltwort'. O, wie dauerte mich das herrliche Schätzchen! Würd's doch mein Vater, wie Ich, kennen, wie ganz anders wär's da empfangen worden. Des Abends geleitete ich sie nach Haus. Noch war ich immer der alte blöde Junge. Sie neckte mich artlicher als sonst noch nie; aber doch mußt's geneckt seyn. Morgens drauf, da erst gieng des Aetis Predigt an: Was er an Aennchen ungereimtes bemerkt – oder vielmehr bemerkt haben wollte – was er gehört – und nicht gehört, sondern nur vermuthet, das alles kam in die Nutzanwendung dieser schönen Sermon. Allerhand Spottnamen – und kurz, alles was Aennchen in meinen Augen verächtlich machen sollte, blieb per se nicht aus. Und wirklich, so lieb mir das Mädchen war, nahm ich mir itzund doch vor, von ihr abzustehn, weil mir der Vater sie schwerlich jemals lassen würde, und inzwischen noch mancher Ehrenpfennig ihretwegen spatziren müßte. Gleichwohl darf ich zu ihrem Preis[138] auch das nicht verschweigen, daß sie mich nie um Geld bringen wollte, ja daß sie sogar, wann ich für sie etwa ein Brenzlin zahlte, nicht selten die Uerte mir heimlich wieder zusteckte. Eines Tags nun sagt ich zum Aeti: »Ich will nicht mehr zur Anne gehn', ich versprich dir's«. »Das wird mich freuen«, sprach er, »und dich nicht gereuen. Uli Ich meyn's gwiß gut mir dir. – Sey doch nicht so wohlfeil. – Du bist noch jung, und kömmst noch alleweil früh gnug zum Schick. – Unterdessen geht's dir sicher mehr auf als ab. – So Eine gibt's noch wann der Markt vorbey ist. – Führ' dich brav auf, bet' und arbeite, und bleib fein bey Haus Dann giebst ein rechter Kerl, ein Mann in's Feld, und, ich wette, bekommst mit der Zeit ein braves Bauermädle. Indessen will ich immer für dich sorgen«, u.s.f.u.f.

So gieng der Winter vorbey. Aber mein Wort hielt ich wenig, und sah Aennchen, so oft es immer in geheim geschehen konnte.

Von Gallitag bis in Merz konnten wir kein Pulver machen. Ich verdient' also mein Brodt mit Baumwollkämmen, die andern mit Spinnen. Der Vater machte die Hausgeschäft', las uns etwa an den Abenden aus David Hollatz, Böhm und Meads Beynahe-Christ die erbaulichsten Stellen vor, und erklärte uns, was er für unverständlich hielt; aber eben auch nicht allemal am Verständlichsten. Ich las auch für mich. Aber mein Sinn stuhnd meist nicht im Buch, sondern in der weiten Welt.[139]

Quelle:
Leben und Schriften Ulrich Bräkers, des Armen Mannes im Tockenburg. Bd. 1–3, Band 1, Basel 1945, S. 136-140.
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