38. Ein unerwarteter Besuch

[160] So stuhnd's, und mir war himmelwohl, als, ohne Zweifel durch meine wackern Begleiter, das Gerücht in mein Heimath kam, man hätte mich aufs Meer verkauft; und namentlich sollte dieß ein Mann ausgesagt haben, der mich mit eignen Augen anschmieden, und den Rhein hinunterführen gesehn. Schon stellte man mich allen Kindern zum Exempel vor, daß sie fein bey Haus bleiben, und sich nicht in die böse Welt wagen sollten. Zwar glaubte mein Vater kein Wort hievon; weil aber die Mutter so grämlich that, ihm Vorwürf' über Vorwürfe machte, und Tag und Nacht keine Ruhe ließ, entschloß er sich endlich, auf Schaffhausen zu kehren, und sich selbst nach dem Grund oder Ungrund dieser Mähre zu erkundigen. Also, an einem Abend, welche Freude für uns beyde, als mein innigstgeliebter Vater so ganz unerwartet, daß ich meinen Augen kaum trauen durfte, im meine Kammer trat; Er mir erzählte, was ihn hergeführt, und Ich ihm, wie glücklich ich sey; ihm meinen Kasten zeigte, die scharmanten Kleider darin, alles Stück vor Stück bis auf die Hemderknöpflin; dann ihn meinem guten Herrn vorstellte, der ihn freundlich bewillkommte, und[160] beßtens zu traktiren befahl, u.s.f.u.f. – Nun aber traf's sich, daß man gerade den Abend nach dem Nachtessen in unserm Gasthof tanzte, und mein Herr, als ein Liebhaber von allen Lustbarkeiten, sich solches auch schmecken ließ – so wie mein Vater und ich, am Tischgen in einem Winkel der grossen Gaststube, unsern Braten. Ganz unversehns kam er auf mich zu: »Ollrich! komm, mußt auch Eins mit den jungen Leuthen da tanzen«. Vergebens entschuldigt' ich mich, und bezeugte auch mein Vater, daß ich mein Lebtag nie getanzt hätte. Da half alles nichts. Er riß mich hinterm Tisch hervor, und gab mir die Köchin im Haus, ein artiges Schwabenmeitlin, an die Hand. Der Schweiß tropfte mir von der Stirn, vor Schaam, daß ich in Gegenwart meines Vaters tanzen sollte. Das Mädchen inzwischen riß mich so vertummelt herum, daß ich in Kurzem sinnlos von einer Wand zu der andern platschte, und damit allen Zuschauern zum Spektakel ward. Mein lieber Aeti redte zwar bey dieser ganzen Scene kein Wort; aber von Zeit zu Zeit warf er auf mich einen wehmütigen Blick, der mir durch die Seele gieng. Wir legten uns doch noch zeitig genug zu Bette. Ich ward nicht müde, ihm nochmals eine ganze Predigt zu machen, wie wohl ich mich befinde: was ich vor einen gütigen Herrn habe, wie freundlich und väterlich er mir begegne, u.s.f. Er gab mir nur mit abgebrochenen Worten Bescheid: Ja – So – es ist gut – und schlief ein – ziemlich unruhig, und ich nicht minder. Des Morgens nahm er Abschied, so bald mein Herr erwacht war. Derselbe zahlte ihm die Reiskosten,[161] gab ihm noch einen Thaler auf den Weg, und versicherte ihn hoch und theuer, ich sollt' es gewiß gut bey ihm haben und wohl versorgt seyn, wenn ich mich nur weiter treu und redlich betragen würde. Mein redlicher Vater, der nun schon wieder Muth und Zutrauen faßte, dankte höflich, und empfahl mich auf's Beßte. Ich gab ihm das Geleit bis zum Kloster Paradies. Auf der Strasse sprachen wir so herzlich mit einander, als seit jener Krankheit in meiner Jugend sonst nie geschehn. Er gab mir vortreffliche Erinnerungen: »Vergiß deine Pflichten, deine Eltern und deine Heimath nicht, so wird dich Gottes Vaterhand gewiß auf gute Wege leiten, welche freylich weder ich noch du jetzt voraussehn«. Beym Abschied zerdrückten wir uns fast. Ich konnte vor Schluchzen kaum ein: Behüte, behüte Gott! herstammeln, und dachte nur immer: Ach! könnt' ich doch mein gegenwärtiges Glück, ungetrennt von meinem guten Aeti geniessen, jeden Bissen mit ihm theilen, u.d. gl.

Quelle:
Leben und Schriften Ulrich Bräkers, des Armen Mannes im Tockenburg. Bd. 1–3, Band 1, Basel 1945, S. 160-162.
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