41. Hin und her, her und hin

[166] Da wir uns einstweilig in Rothweil im Gasthof zum Armbrust niederliessen, schrieb mein Herr auf Schaffhausen wo er wäre, damit wenn seine Wachtmeisters Rekruten machten, man ihm solche nachschicken könnte. Er bekam bald Antwort. Derselben war auch das Geschenk meiner Mutter, das Schreiben des Herrn Am Bühls, und – ich sprang hoch auf! eines von Aennchen beygebogen: Dieses letztre offen; denn es sollte ein Zürchgulden zum Grüßchen drinn stecken, und der war fort. Was schierte mich das? Die süssen Fuchswörtlin in dem Briefgen entschädigten mich reichlich. Meiner unverschobnen ausführlichen Antworten auf diese Zuschriften will ich nicht gedenken. Die an Aennchen zumal war lang wie ein Nestelwurm. – Dießmal blieben wir nur kurze Zeit zu Rothweil, giengen wieder nach dem lieben Schaffhausen zurück, und machten dann von Zeit zu Zeit kleine Tours auf Diessenhofen, Stein am Rhein, Frauenfeld u.s.f. Alle Wochen kamen Säumer aus dem Tockenburg herunter.[166] Schon als Landskraft waren sie mir lieb, und ich freute mich immer, sobald ich nur die Schellen ihrer Thiere hörte. Itzt machte ich noch nähere Bekanntschaft mit ihnen, und gab ihnen ein paarmal Briefe und kleine Geschenke an mein Liebchen und an meine Geschwister mit, erhielt aber keine Antwort. Ich wußte nicht wo es fehlte? Das drittemal bat ich einen solchen Kerl, mir doch alles richtig zu bestellen. Er guckte das Päckgen an, runzelte die Stirn, und wollte weder Ja noch Nein sagen. Ich gab ihm einen Batzen. »So, so« sprach jetzt mein Herr Landsmann: »Das Ding soll richtig bestellt werden«. Und wirklich bekam ich nun bald ordentliche Empfangscheine. Meine ältern Brief und schweren Sachen hingegen waren natürlich nach Holland geschwommen.

In Schaffhausen lagen damals fünf preußische Werboffiziers in verschiedenen Wirthshäusern. Alle Tag traktirte einer die andern. So kam's auch je den fünften Tag an uns. Das kostete jedesmal einen Louisd'or; dafür gab's denn freylich Burgunder und Champanier gnug zu trinken. Aber bald hernach wurde ihnen ihr Handwerk niedergelegt; wie die Sag' gieng, weil ein junger Schaffhauser, der in Preussen seine Jahre ausgedient, keinen Abschied kriegen konnte. Und kurz, sie mußten alle fort, und neue Nester suchen. Mein Herr hatte ohnehin hier schlechte Beute gemacht; drey einzige Erzschurken ausgenommen, die sich Verbrechen wegen auf flüchtigen Fuß setzen mußten. Wir begaben uns wieder nach Rothweil. Hier kriegten wir in etlichen Wochen vollends einen einzigen Kerl, einen[167] Deserteur aus Piemont, der aber Markoni viel Freude machte, weil er sein Landsmann war, und mit ihm Pohlnisch parlen konnte. Sonst war's in Rothweil ein lustig Leben. Besonders giengen wir oft mit einem andern Werboffizier, nebst unserm braven Wirth, und etlichen Geistlichen, in die Nachbarschaft aufs Jagen. Im Hornung 1756 machten wir eine Reise nach Straßburg. Auf dem Weg nahmen wir zu Haßlach im Kinzinger-Thal unser Schlafquartier. In derselben Nacht war das entsetzliche Erdbeben, welches man durch ganz Europa verspürte. Ich aber empfand nichts davon; denn ich hatte mich Tags vorher auf einem Karrngaul todmüd geritten. Am Morgen aber sah' ich alle Gassen voll Schorsteine; und im nächsten Wald war die Strasse mit umgeworfenen Bäumen in die Kreutz und Queer so verhackt, daß wir mehrmals Umwege nehmen mußten. – In Straßburg mußt' ich Maul und Augen aufsperren; denn da sah' ich: 1.) Die erste grosse Stadt. 2.) Die erste Festung. 3.) Die erste Garnison. 4.) Am dortigen Münster das erste Kirchengebäud', bey dessen Anblick ich nicht lächeln mußte wenn man es einen Tempel nannte. Wir brauchten acht Tag' zu dieser Tour. Mein Herr hielt mich auch dießmal gastfrey, und zahlte mir gleich meinen Sold. Da hätt' ich Geld machen können wie Heu, wär' ich nicht ein liederlicher Tropf gewesen. Er selbst indessen hielt nicht viel besser Haus. Bey unsrer Rückkehr hatten wir zu Rothweil alle Tag Ball, bald in diesem bald in jenem Wirthshause. Fast alle Hochzeiten richtete man, Markoni zu Gefallen, in dem unsrigen an. Der beschenkte[168] alle Bräute, und trillerte dann eins mit ihnen herum. Auch für mich war dieß jetzt ein ganzes Fressen. Zwar hatt' ich mir's fest vorgenommen, meinem Aennchen treu zu bleiben, und hielt wirklich mein Wort; gleichwohl aber macht' ich mir auch kein Gewissen daraus, hie und da mit einem hübschen Kind zu schäckern; wie mich denn auch die Dinger recht wohl leiden mochten. Mein Herr, der war nun vollends gar ein Liebhaber des schönen Geschlechts bis zum Entsetzen, und im Nothfall jede Köchin ihm gut genug. Mich bewahre Gott dafür! dacht' ich oft, so ein armes bisher ehrliches Mädchen zu besudeln, und dann Heut oder Morgens wegzureisen, und es sitzen zu lassen. Eine von den beyden Köchinnen im Wirthshause, Mariane, dauerte mich innig. Sie liebte mich heftig, gab und that mir, was sie mir in den Augen ansah. Ich hingegen bezeigte mich immer schnurrig; sie ließ sich's aber nicht anfechten, und blieb gegen mich stets dieselbe. Schön war sie nicht, aber herzlich gut. Die andere Köchin, Hanne, machte mir schon mehr Anfechtungen. Diese war zierlich hübsch, und ich, vermuthlich darum, eine zeitlang sterblich verliebt in sie. Hätt' sie meine Aufwart williger angenommen, wär' ich wirklich an ihr zum Narren worden. Aber ich sah bald, daß sie gut mit Markoni stuhnd. Ich merkte, daß sie alle Morgen zu ihm aufs Zimmer schliech. Damit that sie mir einen doppelten Dienst: Erstlich verwandelte sich meine Liebe in Haß: Zweytens stand nun mein Herr nicht mehr so frühe als gewöhnlich auf; also konnt' auch ich hinwieder um so viel länger schlafen.[169] Bisweilen kam er schon gestiefelt und gesporrnt auf meine Kammer, und traf mich noch im Bett' an, ohne mir Vorwürf' zu machen; denn er merkte, daß ich wußte, wo die Katz im Stroh lag. Nichts desto weniger warnte er mich, nach solcher Herren Weise, oft vor seinen eignen Sünden mit grossem Ernst. »Ollrich«! hieß es da: »Hörst, mußt dich mit den Mädels nicht zu weit einlassen; du könnt'st die schwere Noth kriegen«! Uebrigens hatt' ich's in allen Dingen bey und mit ihm, wie von Anfang; viel Wohlleben für wenig Geschäfte, und meist einen Patron wie die liebe Stunde, zwey einige Mal ausgenommen; einmal da ich den Schlüssel zum Halsband seines Pudels nicht auf der Stell' finden konnte, das andremal da ich einen Spiegel sollte zerbrochen haben. Beydemal war ich unschuldig. Aber das hätt' mir wenig geholfen; sondern nur durch demüthiges Schweigen entgieng ich der zumal des Schlüssels wegen schon über mir gezogenen Fuchtel. Derley Geschichtgen, kurz alles was mir Süsses oder Sauers wiederfuhr, (meine Liebesmücken ausgenommen) schrieb ich dann fleißig nach Haus, und predigte bey solchen Anlässen meinen Geschwistern ganze Litaneyen voll: Wie sie Vater, Mutter und andern Fürgesetzten ja nie wiederbefzgen, sondern, auch wo sie Unrecht zu leiden vermeynen, sich fein hübsch gewöhnen sollten das Maul zu halten, damit sie's nicht von fremden Leuthen erst zu späth lernen müssen. Alle meine Briefe ließ ich meinen Herrn lesen; nicht selten klopfte er mir während der Lektur auf die Schulter: Bravo, Bravo! sagte er dann, verpittschierte sie mit[170] seinem Siegel, und hielt mich hinwieder in Ansehung aller an mich eingehnden Depeschen portfrey.

Quelle:
Leben und Schriften Ulrich Bräkers, des Armen Mannes im Tockenburg. Bd. 1–3, Band 1, Basel 1945, S. 166-171.
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