Hamlet

[427] Hamlet, du König unter allen Spielen, du Kern aller Werke, das je ein Dichter von der Art machen konnte, du Edelstein in der Krone, die dem Künstler mehr Ehre macht als dem, der sie trägt, du Ausbund unter den schönen, Zierde aller Bühnen, Diamant aller Büchersäle, Herz in den Herzen – ich wüßte nicht Worte mich auszudrücken, wie sehr du mein Liebling bist; ich werde nicht ruhen, bis du nebst deinen Bedienten, oder wenigstens einzeln, mein armseliges Bücherschrank zierst. Du nützst mir mehr als tausend Habermann und zehntausend Wetterglocken – mehr als alle Schmolcken und Zollikofer – machst mich wirksamer, tätiger als alle Bogatzkischen Sporren. Hamlet, du bist mir, was ich will – durch dich seh ich deinem Meister ins Innerste. Komm, großer William, da, hier will ich mit dir ins Allerheiligste eindringen – stoße mich nicht zurück, – besorge nichts, ich[427] will nichts ausschwatzen, nur wie dein Hündchen hintennachschleichen. Du hast noch nichts deutsch herausgesagt, aber ich errate dich doch, vielleicht konntest du dich nicht deutlicher erklären. Recht, ich auch nicht, – schweige nur, ich will auch schweigen – die Geheimnisse vom Innern des Tempels wollen wir bei uns behalten. Halt, du gehst zu weit, Fantasei – wann ich nur das Einlenken verstünde. Ha, ich wollte den Hauptinhalt dieses schönen Trauerspiels hersetzen, in kurzen Zügen zusammenfassen – aber es wäre mir unmöglich – o, es wär himmelschad, ich würde den ganzen Bau jämmerlich verhunzen. Nein, ich will lieber wie ein Hummel auf einer buntgeschmückten, blumenreichen Flur frei herumflattern, mich voll Entzücken auf jede Blume setzen und Labung saugen –. Vergönne mirs, großer Mann, keine Blume soll nicht das geringste von Farb und Geruch verlieren, ich will nur Düfte mitnehmen, deren jede genug hat, wenn auch gleich Millionen von Hummeln darauf sitzen und jede ihr Leibgeschmack heraussaugt. Da find ich all die herrlichste, innigste Anmut in diesem Leben – Leidenschaften – zärtliche, wehmütige Handlungen – überzuckerte Sünden, alles durcheinander gewebt und so zierlich gebaut wie ein fürstliches Schloß, wos Gefängnisse, Roßställe und auch güldene Zimmer hat. – Der anmutigste Irrgarten, wos die herrlichsten Rosen, die schönsten Blumen, aber stolzne Stinkrosen, übergüldete Sodomsäpfel auch hat. Hier irrt man wie begeistert, voll inniger Wonne herum, hat die anmutigsten, die herzlichsten Träume. Bald schmelzt man in liebender Wehmut zu Boden – ein heiliger[428] Feureifer sprengt uns wieder auf, dann kommt ein sanftes elisäisches Säuseln mit feuchtenden Dünsten und schmelzt alles zusammen in ein neu belebendes Element, daß man keinen Ausgang wünschet. Die Handlungen sind so mannigfaltig und so abwechselnd und der Stoff so ausgesucht und getroffen, daß tausend Romeo sich verbergen davor. Hier geht alles so sachte, so ordentlich seinen Gang wie die ganze Natur. Vorher kann mans nicht erraten, und nachher sagt man, das hab ich wohl gedacht – oder ich hätts doch erraten sollen. Da gibt es Brüder – o, so herzliche Brüder Soldaten auf ihren Posten –, die da in der einsamen Nacht so brüderlich Gedanken wechseln und gerade so denken, wie einer, der kann denken, bei Nacht denkt – in der mäusestillen Mitternacht, wo all des Himmels Herrlichkeiten so majestätisch und ruhig ob unsern Köpfen hinschweben. Die heilige Stille, ein sanftes Schwirren um uns her, das dumpfe Getöse fort –, immerfort rollender Bäche – und dann der schwarze Flor – das all die Geister so belebt machende Todesbild – sollte Francesko, sollte – o, wer sollte nicht denken und viel denken! Kein Wunder, wenn Geister sich in solche Nächte verlieben, kein Wunder, Hamlet, daß deines Vaters Geist diese holden Schatten ausliest, um dir aus jener Welt Bericht zu sagen. Doch ich will nichts von Geistern bis dies Gehäus zerfällt – dann, dann, o dann all ihr Scharen guter wohltätiger Geister, dann nehmt meinen nackten Geist in euere Gesellschaft auf. Hamlet, Hamlet – ha, dein Grillisieren, Fantasieren über Gegenwart und Zukunft, über Leben und Tod, Schlafen und Träumen und all der[429] rätselhaften Dinge – ha das macht einen so voll Gedanken – nicht unruhig – nein sanft träumend, dir nachspürend in der anmutigsten Sphäre. – Und dein Wahnwitz, Hamlet – nein, man sollte glauben, die andern, nicht du, seien wahnwitzig – Polonius, Rosenkranz, Güldenstern, Osrik – o, die sind wahnwitzig. Dein Lesen da und deine Antwort – ha, der satirische Bube da schreibt, alte Männer haben graue Bärte – und dort wolltest du Güldenstern pfeifen lehren – ja du warst mir auch der rechte Pfeifer. Aber auf dir möcht ich nicht pfeifen, und doch bist du mir die liebenswürdigste Pfeife – sonderlich, wenn dein rauhstes Tonloch verstopft wäre. Nur etwas mehr Milde, göttliche Milde, dann wärst du ein Halbgott, die schönste Seele. Und dein Horatio, dein Freund, den du so reizend beschreibst, o, so ein Freund ist mehr wert als eine halbe Welt. O Welt, warum bis du so dünn besät mit solchen Freunden, solch redlichen Seelen, solch edlen Herzen. O ihr Himmelssöhne, wo ihr immer seid, wohl euch, ewig wohl; ihr tragt einen Himmel in euerem Busen, Ruhe und Segen wird eueren Seelen folgen, die Scharen Geister solcher Engelssöhne werden euere Überfahrt besorgen, euch mit Jauchzen in ihre frohen, seligen Gesellschaften aufnehmen. O, laßt immer die falschen Freunde am Weg stehn, lächeln und lächeln und süße Gesichtli machen, die bittern Zahner ihre Zähne blöcken – nur getrosten Muts, der Himmel spottet der List des Schlangengeschlechts, er hasset die falschen Herzen, Angst und Unruh folgt ihren Tritten – weint ihnen doch eine wehmütige Träne, ihr redlichen Seelen, dann sie sind arme,[430] elende Geschöpfe. – Doch ich verliere mich, möchte um viel kein Prediger sein. Die Szenen von Ophelia sind rührende Auftritte – ihre wahnwitzigen Liederchen, so sanft eindringend, welche Mark und Bein mit einer Wehmut füllen. Wann die Königin Gertrude nichts Gutes getan, hat sie doch dies getan, daß sie ihre Todesart so herzdurchdringend beschrieben. Man muß dir mit wehmütigen Schritten in die Flut hinein folgen, du schuldloses, zartes Lämmchen, wann dich der Strom so fortwälzt und du wie eine Wassernimphe singend daherfahrst und im Triumph dem Tode zueilst.

Aber alles übertrifft die Szene, wo die Totengräber ihr Grab machen – gewiß die Kerl könnten nicht netter gezeichnet sein. Wie Hamlet und sein Freund Horatio so zusehen, wie die Kerls mit den Knochen und Schädeln herumspielen und sie so drüber kritteln und Schlüsse machen. Gewiß, William, du hast diese Szene auf einem Kirchhof gemacht – ich weiß, wie da eim die Gedanken im Kopf rumwirbeln, wann das Totengebrumm der Glocken durch die Ohren fahrt und das Klaggeheul der Weiber und all die traurigen Feierlichkeiten so eindringen. Ja, ja, William, da fahren tausend Gedanken durch den Kopf, die man sonst selten denkt. Dein Yorik, Hamlet, dein Yorik – ich weiß wie nahe das geht, wenn man erst sieht die Knochen eines Vaters heraushudeln – wie das all durch die Seele fahrt. Gott, was sind die Menschen! Konnten du und Laertes bei allen diesen Feierlichkeiten noch so heftig ineinanderfahren. Ach das brutale Ding, der Mensch, tuts nicht anders, so lang er Luft in sich zieht. Nein, Hamlet, du[431] und Laertes haben sich menschlich edel verhalten, einen anständigen Frieden gemacht. Laertes hatte recht, böse auf dich zu sein, warum hast du seinen Vater für eine Ratze erstochen; – schon er ein geselliger, plauderhafter Hofmann war, so war er doch sein Vater – und Laertes gefällt mir wohl. Aber gegen Rosenkranz und Güldenstern bist du streng, – vielleicht wußten sie gar nicht um den Befehl, dich hinzurichten, und doch gabst du Ordre, sie so traurig hinzurichten. Wie mögen die Männer Augen gemacht haben, daß man sie schnell zum Block führte, so bald sie nur einen Fuß ans Land setzten.

Den übertünkten königlichen Heuchler hast du gar zu gut gezeichnet. Aber warum hast du auf dem Duellplatz – Hamlet, warum hast du nicht das Billet wegen deiner Hinrichtung hervorgezogen, deinen Verräter entdeckt und deine und Laertes Wut auf ihn gerichtet und dem traurigen Spektakel ein Ende gemacht?

Ich möchte dies Stück auf der Bühne sehen spielen – und da dünkts mich, ich wolls lieber so – meine immer, es sei schade drum. Gewiß, man muß es verderben – ich glaube nicht, daß man so leicht ein Gesicht finde, das zu Hamlets Charakter paßt. Königs und seiner Gertrude gibts genug, Polonius, Rosenkranz und Güldensterns auch. Aber die Szene, wo der Geist in voller Rüstung auftritt, und wo die Totengräber auftreten und man das sanft schlafende Täubchen zur Ruhe hinsenkt, die müssen gewiß verhunzt werden. Nein, so lebhaft kanns nicht vorgestellt werden, als wie man sichs vorstellt, wenn mans liest. Genug, Hamlet, du bist ein[432] wundervoller Mann. Hätte dich nicht ein großer Künstler gemacht, so wärst du nicht, was du bist – aber du hattest auch ein schweres Geschicke zu tragen.

Quelle:
Leben und Schriften Ulrich Bräkers, des Armen Mannes im Tockenburg. Bd. 1–3, Band 3, Basel 1945, S. 427-433.
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