Siebenter Auftritt.

[80] Die Vorigen. Choiseul.


CHOISEUL der Narziß einen Moment spöttisch betrachtet, den Mantel und Hut ablegend. Mademoiselle, das ist vermutlich Herr Narziß Rameau?

QUINAULT. Ja, Exzellenz. Zu Narziß. Der Herr Herzog von Choiseul.

NARZIß. Meine Reverenz! Er verbeugt sich.

CHOISEUL reicht ihm die Hand. Ich freue mich, einen Mann kennen zu lernen, der mir schon längst als witziger Kopf der Residenz bekannt ist.

NARZIß pikant, doch harmlos. Bitte! Wenn ich wirklich witzig bin, so ist's, weil ich arm bin; die Not stärkt die[80] Erfindungsgabe. Wäre ich reich, vielleicht wär's aus mit meinem Witze.

CHOISEUL. Ah, Sie geben mir gleich eine scharfe Probe Ihrer Fähigkeiten. Es gibt aber Ausnahmen von Ihrer Regel, Sie dürften eine solche bald kennen lernen. – Zu Quinault. Da eben von Probe die Rede ist, haben Sie den Herrn vorbereitet? Weiß er, um was es sich handelt?

QUINAULT. Er weiß alles, Exzellenz, und ist zu allem bereit.

CHOISEUL. Sehr schön, sehr edel!

NARZIß. Eine Frage nur, Exzellenz. Wie nannte sich der erste Mann der Marquise de Pompadour?

CHOISEUL stutzig. Wieso? Lächelnd. Ah ja, er nannte sich Narziß François d'Etiolles und war Finanzpächter.

NARZIß. Dann ist es richtig.

CHOISEUL. Nun, da Sie in alles, wie ich bemerke, eingeweiht sind, mein Lieber, so wollen wir über den Plan sprechen, den ich entworfen habe. Er setzt sich. Ich habe eine Tragödie, das Erstlingswerk eines jungen Dichters, mitgebracht, Er zieht einige Blätter Papier hervor. von der wir den ersten Akt übermorgen in Versailles darstellen werden; ich denke, er wird seine Wirkung tun. Die Tragödie heißt: »Athalia, Königin von Juda.« Sie, Mademoiselle, spielen die Athalia, eine Fürstin, die sich durch Ehebruch auf den Thron schwang. In entscheidender Stunde tritt ihr erster Mann, Samuel – Sie, Herr Rameau – vor sie hin und wirft ihr ihre Verbrechen vor. Das wird genügen.

QUINAULT. Die Begebenheit ist treffend, es muß gelingen!

NARZIß. Und ich will den Samuel spielen, daß Athalia wohl erbleichen soll!

CHOISEUL. Hier sind die Rollen, lassen Sie uns die Szene durchgehen.

NARZIß UND QUINAULT nehmen die Rollen und treten vis-à-vis Choiseul.

QUINAULT aus der Rolle rezitierend.

»Die Nacht bricht an. Auch meine Lebenssonne

Neigt trübe sich dem Grab im West entgegen –

Und diesem Dunkel, das mich rings umgähnet,[81]

Entschlüpft ein Heer gespenstischer Gesellen,

Die, mit gebrochnem Herzen, starren Auges

Die Schmach und Schande schwatzhaft mir erzählen,

Die sie durch mich im Leben einst erduldet! –

Weh! Und noch einer kommt heran so bleich!

Weh mir! Mein erster Gatte! – – –«

NARZIß hervortretend, rezitiert aus der Rolle.

»Ja, sieh her!

Ich bin's, den du verachtet und verstoßen!

Ich reiße dir dein gleißend Diadem,

Das du aus meinen Tränen dir gewoben,

Herab, damit die bange Welt dich kenne

Und deinen Namen mit Verachtung nenne!

Verdammt vor Gott, verdammt an Seel' und Leib,

Durch Buhlsucht Fürstin, eines Bettlers Weib!«


Er wirft in Ekstase die Rolle von sich.


Ja, das bist du, Elende, die mit dem Purpur das Entsetzen umsonst bedeckt, das sie bei meinem Anschauen empfindet! Zerfalle, vergehe, du Staub zum Staube!!! – Er hält erschöpft inne.

CHOISEUL aufspringend, mit Beifallklatschen ein fallend. Bravo, vortrefflich, Narziß! – Zerfalle, vergehe, du Staub zum Staube! Hahahaha!!


Der Vorhang fällt rasch.


Quelle:
Albert Emil Brachvogel: Narziß. Leipzig [o.J.], S. 80-82.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Narziß
Narziß