Vorwort des Verfassers.

(1857)

Nachdem Narziß seit dem 7. März vorigen Jahres die meisten deutschen Bühnen, sowie mehrere Theater des Auslandes beschritten und sich zu meiner innigen Freude mannigfache Gönner erworben hat, halte ich es für Pflicht, denselben nun auf buchhändlerischem Wege allen denen zugänglich zu machen, die ihn nicht nur eben gut genug zu flüchtiger Unterhaltung, sondern der Ehre eines längeren Umgangs wert erachten mögen.

Den Stoff und äußeren Anlaß zu diesem Trauerspiele gab mir Diderots Dialog »Nameaus Neffe«, den Altmeister Goethe zuerst verdeutscht hat; ferner Merciers Tableaux de Paris.

Fabel, Charakter und Anschauung sind mein eigen, so daß ich die Arbeit wohl ohne zu erröten als Originalwerk bezeichnen darf – insoweit man überhaupt Original – sein kann.

Narziß ist dem geneigten Leser hier genau so geboten, wie er dargestellt zu werden pflegt, und indem ich ihn dem Theater gegenüber noch immer als Manuskript bezeichne, nehme ich für denselben mein geistiges Eigentumsrecht in Anspruch.

Ebenso behalte ich mir das Recht vor, das Drama selbst zu übersetzen oder übersetzen zu lassen.

Indem ich hier mit größter Hochachtung der deutschen Kritik, selbst derjenigen, die mich tadelte, gedenke und ihr für die liebevolle Aufmerksamkeit, die sie mir widmete, frohen Dank sage, versichere ich ihr, daß mein Streben stets dahin gerichtet sein soll, mich der Achtung aller reinen und tüchtigen Geister meiner Zeit wert zu machen.

Möge mir verstattet sein, mich hier über einen Vorwurf auszusprechen, der da und dort dieser Dichtung gemacht wurde.

Man hat mir gesagt: daß Handlung wie einzelne Charaktere derselben nicht immer der strengen historischen Wahrheit entsprächen.[7]

Inwieweit dies wirklich der Fall sei, hier zu untersuchen, würde den schicklichen Raum einer Vorrede übersteigen und eher in eine dramaturgische Abhandlung passen.

Was ich zu bemerken wünsche, kann also nur ganz allgemein und eine Ergänzung dessen sein, was ich mir in meiner Vorrede zum »Friedemann Bach« über den Begriff des Historischen beim Dichter zu äußern erlaubt habe.

Daß die ganze Natur, wie das Leben jedes einzelnen Dinges, der Mensch aber vor allem nach unabänderlichen Gesetzen oder Urideen wird, ist und vergeht, bestätigt sich um so mehr an dem Gesamtleben, der Geschichte unseres Geschlechts, als namentlich in ihr sich die höchste irdische Hoheit offenbart, die Gottähnlichkeit der Menschen am sichtbarsten ausprägt. Alles, was die Geschichte aufzuweisen hat, ist nur eine ewige Modifikation oder Variation dieser Urideen, die, an sich unvergänglich, in allen Begebenheiten und Charakteren abzuspiegeln das höchste Ziel des Dichters ist.

Die Geschichte selbst mit allen ihren Einzelheiten fällt allein dem wissenschaftlichen Forscher anheim. Seine Aufgabe ist es zu sagen, »was, wie und warum etwas geschehen ist«, und selbst das Warum ist schon ein neblicht Ding, dem sich der Historiker oft nur tappend nahen kann.

Der Dichter hat es mit der Geschichte als solcher nicht zu tun, er stellt aber die Uridee an und für sich, das geheime Gesetz, wonach alles geschieht, dar, und indem er schildert, wie sich dieses Gesetz unter allen Umständen an den Charakteren und Begebenheiten aller Zeiten vollzieht, dieselben also zu Vollstreckern des ewigen Willens macht, schreibt er Geschichte im höheren idealen Sinne, nämlich die Geschichte Gottes auf Erden.

Hieraus folgt, daß sich der Dichter nur da verpflichtet halten darf, mit eiserner Strenge historisch zu sein, wo die Idee und deren Verwirklichung einander anerkanntermaßen so genau durchdrangen, daß sie als Eins darstellbar, die Gegensätze von Ideal und Wirklichkeit also aufgehoben sind. Das ist aber fast nie der Fall gewesen und Christus hiervon vielleicht die einzige Ausnahme.

Daß der wahre Dichter aber von den historischen Charakteren und Begebenheiten nie so weichen kann, daß er sie umstülpt und also ihre Stellung im ewigen Zusammenhang der[8] Dinge vernichtet, werden ihm jene ewigen Urideen und Gesetze des Lebens, deren Hoheit er besingen will, selbst verwehren und ich hoffe, daß ich an ihnen nicht zum Frevler geworden bin.

Diese meine Ansicht stimmt mit denen aller bedeutenden Faktoren höchster Kunstblüte überein, und unter ihrem Einflusse habe ich mich nicht ohne schweren Kampf entwickelt.

Wenn ich mir nun bewußt bin, was ich will und soll, so bin ich mir in viel größerem Maße dessen bewußt, was mir zur Erreichung meines Strebens mangelt. Was wären die Ideale, wenn man sie erreichte?

Indem ich schließlich den freundlichen Leser bitte, diesem meinem Streben zuliebe meine Mängel nachzusehen, empfehle ich den »Narziß Rameau« seiner Gastfreundschaft, damit er nicht länger im Stalle der Frau von Soubise zu übernachten braucht, oder auf der Bank d'Argenson, »in lauen Sommernächten, wo er kein Bett hatte«.

Quelle:
Albert Emil Brachvogel: Narziß. Leipzig [o.J.], S. 7-9.
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