Zweiter Artikel.

[169] Von dem Wort in der Liebe.


Ich hörte von mehreren Damen und Kavalieren, die der Liebe pflegen, daß sie ohne das Sehen und Sprechen nichts weiter wie Tiere sein würden, die ihrer sinnlichen Natur folgend, keine andre Sorge haben als ihre Brunst auszulassen.

Auch hörte ich von mehreren vornehmen Herren, die mit großen Damen Liebschaft hatten, sie hätten diese viel üppiger und ausgelassener in Worten gefunden als gewöhnliche Frauen. Sie können das auch eher, da es dem Manne er sei auch noch so stark, unmöglich ist, immerfort zu lieben; und muß er sich dann ausruhen, so findet er es reizend und anregend, wenn die Dame ihn mit üppigen Reden und mutwilligen Worten unterhält. Das erweckt die Venus, wenn sie noch so tief eingeschlafen ist. Ja, manche Damen reizen ihre Liebhaber vor aller Welt, sei es in den Gemächern der Königinnen und Prinzessinnen oder anderswo, durch schlüpfrige Reden derartig, daß sie und die Männer sich geradeso aufregen wie im Bett. Die andern, die sie beobachten, denken, sie sprechen von andern Dingen.

Aus diesem Grunde liebte Marcus Antonius die Kleopatra so sehr und zog sie seiner Frau Octavia vor, die hundertmal schöner und liebenswürdiger war als Kleopatra. Aber diese Kleopatra hatte so prickelnde, geile Reden und unzüchtige Manieren, daß Antonius über der Liebe zu ihr alles andre vergaß.[169]

Plutarch berichtet uns, daß Marcus Antonius sie in diesen Witzreden nachahmen wollte, aber trotz seiner Bemühungen im Vergleich zu ihr nur ein plumper Soldat blieb.

Plinius erzählt eine Geschichte, die ich sehr hübsch finde und die ich deshalb hier kurz wiedergeben will. Eines Tages, als Kleopatra sich in der üppigsten Laune befand, hatte sie sich sehr verführerisch angezogen und ihr Haupt mit einem Kranz aus verschiedenen Blumen geschmückt. So saß sie mit Marc Anton zu Tisch, und während er trank, unterhielt sie ihn mit ihren reizenden Worten. Während des Sprechens löste sie aus ihrem Kranz einzelne Blumen, die jedoch mit giftigem Staub bestreut waren und warf sie nacheinander in den Becher, den er in der Hand hielt. Als sie geendet und Marc Anton den Becher zum Munde führen wollte, hielt Kleopatra seine Hand an, rief einen Sklaven oder einen, der ein Verbrechen begangen, herbei und ließ ihn trinken, was für Antonius bestimmt war. Der Sklave sank sofort tot nieder. Sie aber wendete sich zu Antonius und sagte: »Wenn ich dich nicht so liebte, wie es der Fall ist, würde ich dich jetzt umgebracht haben; aber ich sehe wohl, daß mein Leben ohne das deine nichts ist.« Dieser Einfall und diese Worte waren wohl geeignet, Antonius in ihrer Freundschaft zu befestigen und seine Begierde nach ihr zu steigern.

Die Geschichtsschreiber berichten uns viel von ihrer Beredsamkeit. Antonius nannte sie auch stets schlechthin die Königin, um sie zu ehren, wie er auch an Octavius Cäsar schrieb, bevor sie erklärte Feinde wurden: »Warum zürnst du mir, daß ich die Königin umarme? Sie ist meine Frau. Habe ich denn erst in dieser Stunde damit begonnen? Du umarmst Drusilla, Tortala, Leontifa, oder auch Rufila, Salura Litisema oder andre. Begnüge dich doch und beneide mich nicht.«

Hierdurch bekundete Marc Anton seine Beständigkeit und tadelte die Flatterhaftigkeit des andern, der so viele zugleich liebte: er aber liebte nur »die Königin«. Es ist[170] eigentlich zu verwundern, daß Octavius sie nach dem Tode des Marc Anton nicht liebte. Vielleicht hatte er sie genossen, als er sie einst allein in sein Zimmer kommen ließ und ihr eine Ansprache hielt. Möglicherweise fand er bei ihr nicht, was er glaubte, oder verschmähte sie aus einem andern Grunde. Jedenfalls wollte er sie im Triumph in Rom einführen; aber sie kam ihm durch ihren freiwilligen Tod zuvor.

Um aber auf unsere erste Rede zurückzukommen: Wenn eine Frau sich der Liebe ergeben hat, so kann kein Redner der Welt sie übertreffen. Man sehe, wie Sophonisbe von Titus Livius, Appian und andern als redegewandt, mit Bezug auf Masinissa, geschildert wird, als er sie den Giftbecher trinken ließ. Kurz, jede Frau, die gut geliebt sein will, muß auch gut zu reden wissen. Und man findet ja in der Tat wenige, die das nicht verständen und die nicht mit ihren Worten Himmel und Erde in Bewegung setzen könnten, und wäre der Erdboden mitten im Winter völlig zu Eis gefroren.

Die Liebe solcher Frauen aber, die nichts sagen können, ist ohne Reiz und Geschmack. Herr du Bellay sagt von seiner Geliebten und ihren Sitten:


De la vertu je sçavois deviser,

Et je sçavois tellement éguiser,

Que rien qu'honneur ne sortait de ma bouche;

Sage au parler et folastre à la couche.


Die letzten Worte bedeuten, daß sie vor der Welt nur anständige Reden führt, wenn sie aber mit ihrem Freunde allein ist, so gibt sie sich, wie jede galante Dame, frei hin und sagt, was ihr beliebt, grade heraus, um die schlafende Venus zu erwecken.[171]

Ich hörte von mehreren, die die Liebe schöner und vornehmer Frauen genossen, und begierig waren, zu hören, was für Reden sie im Bett führen würden: sie seien ebenso ausgelassen wie irgend eine Courtisane. Zu bewundern ist es ja eigentlich, daß solche Frauen, die gewöhnt sind, ihre Gatten oder Liebhaber mit unzüchtigen Worten zu unterhalten und das Geheimste frei herauszusagen, doch in ihren übrigen Reden sich niemals vergessen und kein unsaubres Wort über ihre Lippen kommen lassen. Sie müssen sich eben sehr beherrschen können; denn nichts wirkt aufregender als die Zunge einer Dame oder eines Freudenmädchens.

Ich kannte eine sehr schöne und vornehme Dame der großen Welt, die im Gespräch mit einem achtbaren Edelmann des Hofes über die Ereignisse des Bürgerkrieges zu ihm sagte: »Ich hörte, der König hat sämtliche ›cons‹ jenes Landes abbrechen lassen«. Sie wollte sagen »ponts« (Brücken). Sie hatte wahrscheinlich eben mit ihrem Gatten geschlafen oder dachte an ihren Geliebten, und da hatte sie jenes Wort noch frisch auf den Lippen. Der Edelmann aber wurde durch dieses Wort ganz aufgeregt.

Eine andre Dame, die ich kannte, plauderte mit einer andern, noch vornehmeren als sie, und wollte deren Schönheit so recht herausstreichen. Dabei sagte sie zu ihr: »Nein, Madame, ich sage das nicht, um Sie zu adultérer«. Sie wollte aber sagen »adulater« (schmeicheln), wie sie sich auch sofort verbesserte. Sie dachte eben an den Ehebruch (»adultère«).

Kurz, das Wort ist beim Liebesspiel von großer Wirkung, und wo es fehlt, ist das Vergnügen unvollkommen. Und in der Tat; ein schöner Leib ohne eine schöne Seele gleicht[172] mehr einem Götzenbild als einem menschlichen Körper. Und wenn er Liebe erwecken will, so muß er, wenn er auch noch so schön wäre, von einer schönen Seele begleitet sein. Und was die Natur nicht verliehen hat, läßt sich oft durch die Kunst ersetzen.

Die Courtisanen Roms verspotten die feinen Damen der Stadt, die nicht so geschickt in Reden sind wie sie, sie sagen: »Chiavano come cani, ma sono quiete della bocca come sassi«.

Deshalb ziehen sich auch oftmals die Herren von den schönsten Damen zurück, weil diese zu stumpfsinnig sind, weder Geist noch Seele haben und keine pikanten Worte sagen können. Lieber wollen sie es mit einer schönen weißen Marmorstatue zu tun haben, wie jener Jüngling zu Athen, der sich so in eine Statue verliebte, daß er sie genoß. Deshalb pflegen auch Reisende in einem fremden Lande sich nicht gern mit den fremden Frauen abzugeben, weil sie sie nicht verstehen und ihre Worte ihnen nicht zu Herzen gehen. Ich meine natürlich die, welche ihre Sprache nicht kennen. Wenn sie sich aber mit ihnen einlassen, dann geschieht es nur, um ihrem natürlichen Trieb zu genügen, und dann wieder andar in barca, wie ein Italiener sagte, der auf der Reise nach Spanien in Marseille gelandet war und sich erkundigte, wo es hier Frauen gäbe. Man zeigte ihm einen Ort, wo ein Hochzeitstanz stattfand, und als eine der Frauen ihn anredete, sagte er: »V.S. mi perdona, non voglio parlare, voglio solamente chiavare, e poi me n'andar in barca.«

Ein Franzose hat mit einer Deutschen, Schweizerin, Engländerin, Schottin oder Slawonierin oder einer andern[173] Fremden nicht viel Genuß, wenn sie auch noch so schön liebt, falls er sie nicht versteht. Aber er hat ein großes Vergnügen mit seiner französischen Dame, oder auch mit einer Italienerin oder Spanierin; denn heutzutage spricht und versteht die Mehrzahl der Franzosen, oder wenigstens wer ein wenig herumgekommen ist, deren Sprache. Und wahrlich! diese Sprachen sind wie zur Liebe geschaffen, denn wer je mit einer Französin, Italienerin, Spanierin oder auch Griechin zu tun hatte, bekennt offen, daß er von ihnen bezaubert ist, wenn sie gut sprechen.

Ehemals war unsre französische Sprache nicht so schön und reich wie heute, aber Italienisch, Spanisch und Griechisch waren es längst; und ich sah nie eine Dame dieser Nationen, die, wenn sie auch noch so kurze Zeit das Handwerk der Liebe geübt, nicht sehr gut zu reden verstände. Ich berufe mich auf die, welche mit ihnen zu tun hatten. So viel ist gewiß: eine schöne Frau, die hübsch zu sprechen versteht, gewährt doppelten Genuß.

Quelle:
Brantôme: Das Leben der galanten Damen. Leipzig [1904], S. 169-174.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Das Leben der galanten Damen
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