Einleitung.

[159] Eine Frage in Liebessachen erfordert einen besseren und gründlicheren Redner, als ich bin, nämlich: was befriedigt am meisten beim Liebesgenuß: das Gefühl d.h. die Berührung, oder das Wort oder das Gesicht? Herr Pasquier, ein in der Jurisprudenz, die sein Beruf ist, sowie in andern schönen und humanistischen Wissenschaften hervorragender Mann, spricht über dieses Thema in seinen Briefen, die er uns handschriftlich hinterlassen hat. Aber er faßt sich zu kurz und hätte als der große Mann, der er war, darüber mehr in seiner schönen Sprache reden können; denn wenn er sich ein wenig mehr über den Gegenstand verbreitet und wahr und natürlich ausgesprochen hätte, was er darüber wußte, so wäre sein Brief hundertmal ergötzlicher geworden.

Er gründet seine Abhandlung hauptsächlich auf einige alte Reime des Grafen Thibaud de Champagne, die mir nie zu Gesicht gekommen sind, außer dem kleinen Bruchstück, das Herr Pasquier dort anführt. Er findet, daß jener gute alte Ritter es sehr gut gesagt habe, nicht in so feinen Ausdrücken wie unsre galanten Dichter von heute, aber sinnvoll und verständig. Es war ja auch ein schöner Gegenstand und wert, gut darüber zu sprechen. Er redet nämlich[159] von der Königin Bianca von Kastilien, der Mutter Ludwigs des Heiligen, in die er nicht wenig, sondern sehr verliebt war und die er sich zur Herrin erkor. Aber soll das dieser Königin zum Vorwurf gereichen? Konnte sie, wenn sie auch sehr vernünftig und tugendhaft war, es der Welt verbieten, sie zu lieben und für ihre Schönheit und Tugend zu entbrennen, da es grade diese Eigenschaften sind, welche Liebe erwecken müssen? Die Hauptsache ist, daß man sich nicht dem Willen desjenigen, der liebt, hingibt.

Deshalb liegt nichts Verwunderliches oder Tadelnswertes darin, wenn sie so sehr geliebt wurde, noch auch, daß während ihrer Regierung in Frankreich Aufstände und Bürgerkriege stattfanden; denn wie ich von einer sehr vornehmen Persönlichkeit hörte, waren diese Kriege sowohl durch die Liebe wie durch Parteihader veranlaßt, und zur Zeit unsrer Väter sagte ein altes Sprichwort, daß alle Welt nach dem Cunnus der lustigen Königin trachtete.

Ich weiß nicht, auf welche Königin sich dieses Sprichwort bezog, das vielleicht jener Graf Thibaud verfaßt hatte. Vielleicht weil er von ihr nicht so gut behandelt wurde, wie er es wünschte, oder verachtet wurde, oder ein andrer mehr Liebe fand als er, stürzte er sich aus Verzweiflung in jene Kriege und Unruhen, worin er seinen Untergang fand. So geschieht es ja häufig: Wenn eine schöne Königin oder große Dame oder Prinzessin die Leitung des Staates in die Hand nimmt, dann will ein jeder ihr dienen und sie verehren, sowohl um bei ihr in Gunst zu stehen, wie auch um sich rühmen zu können, daß er den Staat mit ihr regiert, und seinen Vorteil daraus zu ziehen. Ich könnte einige Beispiele anführen, aber ich unterlasse es.

Soviel ist sicher, daß der Graf Thibaud sich damit befaßte, über jenen schönen Gegenstand zu schreiben und vielleicht hat er auch jene Frage aufgestellt, die Herr[160] Pasquier uns mitteilt. Den neugierigen Leser verweise ich auf ihn, ohne die betreffenden Verse hier anzuführen; denn das wäre überflüssig. Hier wird es jetzt genügen, darüber zu sagen, was mir einfällt und was ich aus Eigenem weiß oder von andern, die besser beschlagen sind als ich, gehört habe.

Quelle:
Brantôme: Das Leben der galanten Damen. Leipzig [1904], S. 159-161.
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