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[56] Wer eigne Frommheit schätzt allein
Und andre hält für bös und klein,
Der stößt sich oft an hartem Stein.
Neben einem Sterbenden steht eine betende Nonne. Rechts im Vordergrunde ein Narr, der sich an einem schwachen Zweige hält, lechzend und beschwörend auf die Nonne blickt, aber schon in den Schlund eines Ungethüms stürzt.
Ein Narr sich auf den Trost verläßt
Und meint, er sei der Allerbest'
Und weiß nicht, daß in einer Stunde
Die Seel' ihm fährt zum Höllengrunde.
Denn diesen Trost hat jeder Narr,
Er meint, noch fern zu sein der Bahr';
Sieht andre er im Sterbekleid,
Hat einen Grund er bald bereit
Und sagt dann wol: »Der lebte so!
Der war zu wild; der selten froh!
Der hat dies, jener das gethan,
Drum that ihm Gott das Sterben an!«
Er richtet den nach seinem Tod,
Der Gnade fand vielleicht bei Gott,
Während er in größern Sünden lebt,
Wider Gott und seinen Nächsten strebt
Und scheut nicht Strafe drum noch Buß'
Und weiß doch, daß er sterben muß.
Wo, wann und wie? ist ihm nicht kund,
Bis ihm die Seel' fährt aus dem Mund;
Doch glaubt er nicht an eine Hölle,
Bis er kommt über ihre Schwelle,
Dann wird ihm wol der Sinn aufgehn,
Wird er inmitten der Flammen stehn!
Einen jeden dünkt sein Leben gut,
Doch Gott das Herz erkennen thut;
Für böse schätzt man manchen Mann,
Den Gott doch kennt und lieb gewann.[57]
Auf Erden Mancher wird geehrt,
Der nach dem Tod zur Hölle fährt.
Ein Narr ist, wer es wagt und spricht,
Er sei befleckt von Sünden nicht:
Doch jedem Narren das gebrist,
Daß er nicht sein will, was er ist.
Ausgewählte Ausgaben von
Das Narrenschiff (Ausgabe 1877)
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