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[96] Wer sich des Arzeneins nimmt an
Und doch kein Siechthum heilen kann,
Der ist ein guter Gaukelmann.
Ein Kranker, dem die Narrenkappe vom Haupte gerutscht ist, liegt entblößt im Bette und stößt mit dem Fuße nach einem Tisch, von dem Violen, Gläser und andere Geschirre zu Boden fallen und zerbrechen. Hinter dem Bette ein Weib mit gefalteten Händen, davor ein Mann, welcher mit gelehrter Miene des Kranken Puls fühlt.
Der geht wol heim mit andern Narrn,
Wer Tödtlichkranken schaut den Harn[96]
Und spricht: »Wart, bis ich dir verkünde,
Was ich in meinen Büchern finde!«
Dieweil er geht zu den Büchern heim,
Fährt der Sieche hin gen Todtenheim.
Viel maßen sich der Arztkunst an,
Von denen Keiner etwas kann,
Als was das Kräuterbüchlein lehrt
Und man von alten Weibern hört.
Die treiben Kunst, die ist so gut,
Daß sie all' Bresten heilen thut,
Und ist kein Unterschied dabei,
Ob Jung, Alt, Kind, Mann, Frau es sei,
Ob feucht, ob trocken, heiß und kalt;
Ein Kraut hat so Kraft und Gewalt,
Gleichwie die Salb' im Alabaster,
Daraus der Scherer macht sein Pflaster
Und alle Wunden heilt damit,
Es sei Geschwür, Stich, Bruch und Schnitt:
Herr Kukulus verläßt sie nit.
Wer zu der Heilung nur ein Unguent
Für Augen roth, blind, triefig kennt,
Purgiren will ohn' Wasserglas,
Der ist ein Narr, wie Zuohsta was.
Dem gleichet wol ein Advocat,
Der in keiner Sache gibt uns Rath;
Ein Beichtvater gleicht dem sicherlich,
Der nicht kann unterrichten sich,
Was denn bei jeder Art von Sünden
Und Uebeln Mittel sein zu finden
Und ohne Vernunft geht um den Brei.
Gar Mancher wird durch Narren verführt
Und verdirbet eher, als er es spürt.
Ausgewählte Ausgaben von
Das Narrenschiff (Ausgabe 1877)
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