Erste Scene.

[34] Wilde Schlucht.

Gewitter. Mephistopheles schwebt mit Faust aus der Höhe herab und läßt ihn auf dem Gipfel eines über den Abgrund vorhängenden Felsens nieder. Windsturm.


MEPHISTOPHELES.

So, ruh' nun aus, wir sind zur Stelle, Faust.

Wie ist dir nach dem adlerschnellen Fluge?

FAUST.

Vom Sturme noch der Phantasie umsaust,

Gewahrt' ich schwebend nichts vom Höllenzuge

Hin durch den himmeltragenden Azur.

Ich bin zufrieden mit dem leisen Truge.

Sind wir zur Stelle? Beut mir die Natur,

Hier wol, wonach ich mich im Schmerze sehne?[34]

MEPHISTOPHELES.

Ein irdisches Äquivalent ist's nur,

So gut's der Teufel hat für eine Thräne,

Für überird'sche Menschensehnsucht, Faust.

Beschau' dir also diese Bergescene,

In der noch was vom alten Chaos haust,

Woran ich selbst nie ohne Schauder denke;

Halt' dich an mich. Der Wind, der uns umbraust,

Er schleudert sonst hinab dich in's Gesenke

Des schwarzen Urgesteins; halt' dich an mich.

Nu, sieh dich um!

FAUST.

Wohin den Blick ich lenke,

Fürwahr! ein Bild, so groß, so schauerlich,

Als hold für meine Brust, die, gleich zerrissen,

Längst einer Siedelei des Wahnsinns glich;

Das ist ein Riesenbeichtstuhl für's Gewissen!

MEPHISTOPHELES.

Beicht'! Ich nur geb' dir keinen Pfaffen ab.

FAUST.

Die Sonne scheidet; an den Felsenrissen

Schwärmt noch ein Strahl, er schwankt hinab

Betrübt. Wem eine Seele, eine treue,

So liebvoll trauernd wandelte zum Grab'

Und Blumen der Erinn'rung, immer neue,

Wie Strahlen hier die Sonne, legte hin![35]

MEPHISTOPHELES.

Du bist im Zuge, Faust; so conterfeie

Die Landschaft ab dir recht nach deinem Sinn!

Ich lasse dich; nur hüte dich zu fallen.

FAUST.

Thu' das. Wol spiegelt sich im tiefsten Busen drin

Die wilde Schlucht mir ab, die jetzt mit allen

Auswüchsen der Natur ich aufgesucht.

Geh' nur; verlaß mich.

MEPHISTOPHELES.

Gern. Seh' dort was wallen,

Ein Menschlein.

FAUST.

Wo?

MEPHISTOPHELES.

Am Rachen dieser Schlucht,

Tief unten. Gut, will seh'n, aus welchem Grunde.


Verschwindet.


FAUST an den Fels gelehnt.

O unerträgliche Gedankenwucht!

Könnt' ich versenken dich in diesem Schlunde,

Aus dem kein Seufzer je dich zöge mehr!

Was zeigst du mir, Granit, die Schöpfungswunde,

Die bis in's Herz dir klafft? Nacht zieht einher

Und legt auf dich das Leichentuch vergessen.[36]

Was stöhnst du, Wassersturz, so bang und schwer?

Was brichst du selbst den Lichtstrahl, sag', indessen

Der Himmel aus sich breitet über dir?

Ach, wessen schönes Loos ist das noch, wessen?

Versteinte Qual ist auch verstorbne hier;

Der Sturm ist dir ein Freund, geborstne Öde!

Der Donner ist dir Jauchzen, Blitz ist Zier.

Was suchte dich mein Auge, dieses blöde?

Dich, todtgeborner, stumpfer Grauenort,

Dich Leichenkammer, ruh'ge Wolkenrhede,

Geeistes Meer, gemächlig stiller Port

Für eines Knaben schulentsprungne Leiden:

Wo hast du Einklang meinem Wehaccord?


Es donnert.


Nun Donner gar! Ich lasse mich bescheiden;

Nur führ' mir einmal noch die Scene vor,

Wie du entstandst, ich will daran mich weiden.

Braust, Wasser, auf! Ihr Flammen, brecht empor

Noch einmal aus geheimnißvollem Grunde,

Der gähre wieder, wie er damals gor,

Die Felsenzähne knirschend! Aus dem Schlunde

Kriech' nochmals das verhaßte Zwitterlicht

Des ersten Tages, wie es noch zur Stunde

An jedem Morgen sel'ge Nacht zerbricht!

Wie ließ' ich mich belehren, ach! so gerne,

Der Mensch sei doch das Jammervollste nicht;

Unseliger's sei auf dem morschen Sterne[37]

Noch als der Mensch! O zeige mir die Spur,

Die Teufelskluft, wo nahe oder ferne,

Noch etwas berg' die schweigsame Natur,

Was also elend, würdig so der Klage

Als ich? – Beweinenswerth sind Menschen nur.

Natur ist Glück und Wonnedasein; frage

Die Blüten jetzt der süßen Frühlingszeit,

Den stillen, frommen Frost der Wintertage:

Natur, sie werde oder sterb', ist Seligkeit,

Nur Aufgab' für den Maler ihr Entsetzen,

Weil an Zertrümm'rung sich der Mensch erfreut.


Es stürmt heftiger.


Wie Blitze toll das Kleid der Nacht zerfetzen!

Daß unter mir der alte Fels erbebt,

An dessen Angst die Schlangen sich ergötzen.

Dumpf grollt der Donner durch die Schlucht; es schwebt

Sichtbar der Tod hier auf den Felsentrümmern,

Worin gestürzte Eichen er begräbt,

Um welche sterbend tausend Tannen wimmern. –

Wo bist du, Lügner, Heuchler, der du mich

Zum Hohn hierher geschleift? In goldnen Zimmern,

Nicht hier, Verworfener! zeigt Elend sich

Und Nahrung meiner Qual; zurück ins Leben,

Ins bunte Menschenleben gaukle Dich

Mit mir! Die Schrecken, die mich hier umgeben,

Die zürnende Natur, sind Balsam mir,

Den ich nicht ferner wünsche! Hörst du? –[38]

MEPHISTOPHELES.

Eben

Erhob ich aus dem Abgrund mich zu dir.

FAUST.

Ins Menschenleben mich zurückeschleppe –

MEPHISTOPHELES.

Ei, Faust, schon satt? Es stürmt ganz artig hier;

Jetzt wird's erst int'ressant in dieser Steppe.

FAUST.

Fort, fort, der Zweifel wohnt bei Menschen nur;

All' dieser Schreck ist eine Glaubenstreppe.


Beide ab.


Quelle:
Braun von Braunthal, [Karl Johann]: Faust. Eine Tragödie, Leipzig 1835, S. 34-39.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Zwei Schwestern

Zwei Schwestern

Camilla und Maria, zwei Schwestern, die unteschiedlicher kaum sein könnten; eine begnadete Violinistin und eine hemdsärmelige Gärtnerin. Als Alfred sich in Maria verliebt, weist diese ihn ab weil sie weiß, dass Camilla ihn liebt. Die Kunst und das bürgerliche Leben. Ein Gegensatz, der Stifter zeit seines Schaffens begleitet, künstlerisch wie lebensweltlich, und in dieser Allegorie erneuten Ausdruck findet.

114 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon