Vierte Scene.

[112] Rosa, ein Fischermädchen, mit

dem Kinde Juanito.

Sie kommt, ein Körbchen am Arme, singend.


Die Nacht geht vorüber,

Die Sonne geht auf,

Und muß sie hinüber,

Ziehn Sterne herauf.
[112]

Der Sturmwind, der schnelle,

Erschüttert den Kahn,

Dann rieselt die Welle

Beruhigt die Bahn.


Dann schmeichelt mein Lieber

Mich ins Schiffelein,

Zur Insel hinüber,

Zum Himmel hinein!


Sie wollen vorbeigehen.


FAUST.

Wohin, ihr lieben Kinder? Kommt zu mir!

ROSA.

Gott sei mit euch; wir haben Eile!

Juanito, grüß den Herrn dahier,

Gib ihm das Händchen, so –

FAUST springt auf.

O weile,

Lieb' Mägdlein, einen Augenblick!


Er hebt den Knaben auf und küßt ihn.


Juanito? Süßer Knabe! Glück dir, Glück!

Wie alt bist du?

JUANITO.

Vier Jahre.

FAUST.

Gott, wie wird[113]

Mir, da der Blick des Knaben mich berührt:

Ich glaub' in meiner Kindheit mich zu seh'n,

Ich seh' als Kind mich vor mir selber steh'n!

Sag', Mädchen, ist's dein Brüderlein?

ROSA.

Nein, nein;

Es ist der Frau Benita einzig Kind.

FAUST.

Und wer ist Frau Benita? O geschwind

Sag Alles, denn der liebe blonde Knabe, –

O, daß ich kein Geschenk doch für ihn habe! –

Erregt so ganz mein Inn'res an,

Daß ich so leicht ihn nicht entlassen kann.

Wer bist du, Holde, und wie nennt man dich?

ROSA halbsingend.

Bin eine arme Fischerin

Und Rosa heiße ich,

Mir starben meine Ältern hin,

Doch Gott versorgte mich.

Er nimmt sich jeder Waise an,

So dacht' er denn auch mein:

Mir gab er einen Fischerkahn,

Ein Netz und Fischchen drein.

FAUST.

Und bist nun glücklich, jeder Sorge baar?

Denn also stellest du dich dar.[114]

ROSA.

Ja, Herr, das bin ich, und daß ich es bin,

Dank' ich, nächst Gott und meinem frischen Sinn,

Der Frau Benita, der im weiten Thal

So mancher Arme täglich dankt sein Mahl.

Seht nur, in diesem Körbchen trage

Zum frommen Eremiten ich im Wald

Frisch Labsal, nur mit – Gottes Lohn! – bezahlt,

Und alle Tage.

FAUST das Kind liebkosend.

Ist Frau Benita denn so reich?

ROSA.

An Liebe für die ganze Welt,

Mehr, glaub' ich, als an Geld;

Sie spart sich Manches ab.

FAUST.

Wer ist ihr Gatte?

ROSA.

Ach, der ist im Grab!

Die edle Frau ist Witwe seit zwei Jahren;

So lang' auch lebt sie still hier in der Gegend,

Mehr kann und wollte Niemand auch erfahren;

Zu viele Achtung für die Gute hegend.

Sie ist so gut! Seht ihr das Häuschen dort,

Umfriedet vom Orangengarten?[115]

Das ist ihr Eigenthum. Nun aber muß ich fort,

Der fromme Siedler wird mein warten.

Noch eins. Ei, geht doch hin, o Herr;

Ihr werdet's nicht bereuen,

Man findet Holdres nirgend mehr,

Es muß ein jedes Herz sich freuen.

Doch, wenn ihr hingeht, Herr, so sagt

Nicht, wenn sie nach Juanito fragt,

Daß ich den Kleinen mitgenommen;

Er hing so bittend sich an mich,

Denn auf den Eremiten freut er sich;

Auch werden wir bald wiederkommen.

FAUST.

Sieh, liebe Rosa, nur

Recht auf den Knaben, denn wie bald

Verlöre sich des Kindes Spur

Im Wald. –

Ich will euch folgen, Kinder, ja?

ROSA.

O thut das, und dann kommt ihr mit nach Haus?

JUANITO.

Geh mit, du Mann!

FAUST.

Dein Händchen –

JUANITO schlägt ein.

Da![116]

FAUST für sich.

O Gott! so selig war ich lange,

Wie jetzt in diesen Wald hinaus,

Auf keinem Gange –!


Mit den Kindern ab.


Quelle:
Braun von Braunthal, [Karl Johann]: Faust. Eine Tragödie, Leipzig 1835, S. 112-117.
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