[125] Offene Galerie in Bianca's Hause.
Faust. Pater Anselmo. Rosa.
ANSELMO.
Sie hat in Gott vollendet.
Die Seele hat sich schmerzlos still
Der Heimat zugewendet.
FAUST.
Verlaßt mich, frommer Vater, jetzt; ich will
Mit beßrer Fassung euch besuchen bald.
ANSELMO.
Ich ehre euern Schmerz; sucht im Gebet,
Das, noch so einfach, nicht verloren geht,
Schutz, Herr, bei jeder Leidenschaft Gewalt.[125]
Wir seh'n uns bei des Kaisers Leichenfeste
Noch heute Nacht; ein seltsam Fest mag's werden,
Ein seltnes jedenfalls, wie es das Beste,
Des eignen Tods zu denken hier auf Erden.
Ab.
Rosa bleibt seitwärts weinend stehend.
FAUST.
Durch des Baums zerstörte Krone
Heult der Sturm; ein Wetterstrahl
Noch vom ew'gen Rächerthrone,
Und er schmettert hin zumal! –
Wird es Tag nun, Faust, in dir?
Wie die Nebel rings zerbeben!
Was versprach die Hölle? – Leben?!
Leben? Tod nur gab sie mir. –
Armes Herz, du hast nicht Kraft,
Mit der Freude zu verkehren,
Froher warst du im Entbehren,
Glücklicher in Kummerzähren,
Freier in der Armuth Haft
Als in dieser Leidenschaft!
O du konntest selig sein,
Doch allein nur, nur allein!
Mit den Menschen kaum verbunden,
Denen du sonst ferne standst,
Hast du Schmerz so reich gefunden,
Wie du arm ihn nimmer fandst;[126]
Und nun liegt im Zauberkreise
Ringsum all dein schönes Glück;
Todt, ach, todt! –
Nach einer Pause zu Rosa.
Du arme Waise!
Riefst sie auch wol gern zurück?
Sie sinkt schluchzend zu seinen Füßen.
FAUST sie aufrichtend.
Dein sei, Kind, Bianca's Habe,
Dein auch sei ihr Engelsherz;
Immortellen ihrem Grabe,
Mädchen, pflanzt dein treuer Schmerz!
Nähr' ihn redlich: Schmerz ist Glück,
Schutzwehr gegen Misgeschick,
Denn dies sucht – so will's Natur –
Wie durch Blumen schleicht die Schlange,
Nur des Frohsinns Rosenwange,
Stets den Unbesorgten nur.
Geh in Frieden!
Rosa küßt stumm seine Hand und entfernt sich.
FAUST sich verhüllend.
Alles todt!
O mein Gott! –
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