Fünfter Auftritt.

[203] Henley. Klerdon.


HENLEY. Nun Klerdon, haben Sie Ihre Schmach geahndet? Haben Sie den treulosen Granville – –

KLERDON in heftiger Bewegung. Wo bin ich? – wer rettet mich?[203]

HENLEY. Fassen Sie Sich; Sie sind bey Ihrem treusten Freunde. Wovon sollte ich Sie retten? Niemand ist hier, der sie beleidigen will.

KLERDON. Horen Sie jenes sterbende Röcheln? – Wie entsetzlich tönt es in meinen Ohren! – erblicken Sie nicht den bleichen blutigen Körper, wie furchtbar er mir droht?

HENLEY. Ihre verirrte Phantasie gebiert diese Schreckbilder. Sein Sie ruhig –

KLERDON. Ich, ruhig? O Angst! o Verzweiflung! Sehen Sie diese blutigen, diese von Mord noch rauchenden Hände! – ich könnte ruhig seyn?

HENLEY. Ich sehe, daß Sie einen Treulosen, einen Niederträchtigen, den unversöhnlichsten Feind Ihrer Glückseligkeit gestraft haben.

KLERDON. Vielleicht würden Sie ihm gelindere Namen geben, wären Sie selbst ein Zeuge der schrecklichen Begebenheit gewesen.

HENLEY. Und Sie könnten noch zweifeln –

KLERDON. Hören Sie die Umstände dieser abscheulichen That, und dann richten Sie. –[204] Sie wissen, wie wütend ich Sie verließ. Ich eilte nach dem Garten. Alles schien sich um mich her in Nacht und Grauen zu verhüllen. Die Erde, wie es mir vorkam, zitterte unter meinen Füßen. Ueberall erblickte meine aufgewiegelte Einbildung nichts, als schauervolle Tiefen, die den entsetzlichen Gang verhindern wollten: – vielleicht warnende Stimmen eines gütigen Geschickes! Mein zügelloser Grimm war gegen alles taub. Ich fand den Granville. Er streckte schon die Arme aus, mich in einer zärtlichen Aufwallung zu umarmen. Tobend stürmte ich auf ihn ein, und forderte ihn zum Zweykampfe auf. Er entsetzte sich, er flehete, er beschwor mich auf das rührendste, ihm nur sein Verbrechen vorher zu eröffnen; er verschwendete die zärtlichsten Liebkosungen; nichts erweichte mich. Ich entblößte den Degen, und fiel ihn an. Er zog endlich den seinigen, sich zu vertheidigen, – und eine wehmüthige Thräne entfloß seinem Auge, da er es that. Zweymal gab ihm meine unbändige und unvorsichtige Hitze mein Leben in seine Gewalt, und zweymal – o Gedanke,[205] der ewig mein Peiniger seyn wird! – zweymal wandte er die tödtliche Spitze von meiner Brust hinweg. Hätte nicht dieses meine blutdürstige Wut entwaffnen sollen? In dem ganzen Kampfe schien er mit größrer Besorgniß für mein Leben, als für das seinige eingenommen zu seyn. Diese zärtliche Großmuth ward ihm endlich nachtheilig. Es gelang mir – – wäre es mir doch nie gelungen! hätte mich doch ein niederschmetternder Donner getroffen, ehe ich den unseligen Streich vollführte! – Ich sah ihn fallen. Ströme von Blut bedeckten ihn. Todesblässe überfloß sein Gesicht. Seine Augen voll Menschlichkeit und Güte wurden verdunkelt, ohne dennoch mit Haß und Abscheu gegen seinen Mörder erfüllt zu werden. Liebreich, mitleidig, mit einer Zärtlichkeit, die ihn in diesem Augenblicke über die Menschheit erhub, wandte er sie auf mich. Dieser Anblick durchdrang mich. Plötzlich sanken jene aufgethürmten Wogen von Wut und Rache, die mich vorhin unwiderstehlich mit sich fortschleuderten, darnieder. Schüchtern entfloh ich; – der Unglückliche[206] sammelte seine letzten Kräfte, und anstatt mir Flüche nachzudonnern, bat er mich mit ohnmächtiger, wehmüthiger Stimme, zu ihm zurück zu kehren, nannte mich seinen Freund, seinen geliebten Klerdon, – mich, den Unmenschen, der ihn ermorden konnte. Und auch dieses versagte ich ihm noch! Vielleicht haucht er in diesem Augenblicke seine edelmüthige Seele aus. Lassen Sie mich zu ihm zurück eilen, und zu seinen Füßen vor Wehmuth sterben.

HENLEY der ihn zurück hält. Sie vergessen sich, Klerdon. Wie? Sie wollten Sich der Gefahr bloß stellen, von einer Menge Personen, die vielleicht um ihn beschäftigt sind, für den Urheber seines Todes erkannt zu werden. Sie müssen auf Ihre Sicherheit bedacht seyn, Sie müssen diesen Ort sogleich verlassen.

KLERDON. Wo könnte ich Sicherheit finden? Wohin würde mir nicht die verklagende Stimme des Blutes meines Freundes nachschallen? Wo könnte ich dem Bilde entfliehen, das mir den, den ich so zärtlich liebte, blutig, entstellt, von[207] meiner Hand ermordet, zu meinen Füßen liegend, vorhält? Diese entsetzlichen Vorstellungen werden, gleich unerbittlichen Verfolgern, mir überall nacheilen. Ueberall werde ich Flüche rauschen hören, jeder Ort wird sich um mich her in eine Hölle verwandeln.

HENLEY. Wie können Sie so schwach seyn, und Sich über eine That ängstigen, zu welcher Sie die strengste Gerechtigkeit nöthigte? Wie? weil Granvillens Zaghaftigkeit oder Ungeschicklichkeit Ihrer aufrührerischen Einbildung Großmuth, und die, jedem Sterbenden eigne Begierde, jemanden zu seinem Beystande um sich zu sehen, Liebe und Zärtlichkeit schien, reuet es Sie, denjenigen gestraft zu haben, der ein grausames und unmenschliches Vergnügen darinne fand, einen Unglücklichen noch unglücklicher zu machen, ihm sein Kostbarstes zu rauben, und dann über seine Schmerzen und Verzweiflung öffentlich zu frohlocken.

KLERDON. Ja, es mag so seyn; er sey wirklich der Treulose, an dem ich mich zu rächen gedachte.[208] Ist es ein Irrthum, o! möchte ich ihn nie verlieren, diesen einzigen Balsam für meine brennende Wunde! – Und dennoch wird selbst dieser sie nicht ganz heilen. – Ich habe nun alles verloren, was mir jemals schätzbar gewesen ist, ich habe nun nichts mehr zu hoffen, als den Tod. Wie sehn' ich mich nach ihm! Möchte ich doch bald in dem Schooße seiner Finsternisse mich und mein schreckliches Geschick vor aller Welt verbergen können! Selbst die Hand der Gerechtigkeit wird mir willkommen seyn – –

HENLEY. Welch ein Geräusch erhebt sich? – Himmel! man führt den sterbenden Granville hieher. Kommen Sie, Klerdon, wir müssen diesen Anblick vermeiden.

KLERDON. Ich kann nicht. – Ich fühle es, eine geheime, unwiderstehbare Macht hält mich zurück. Ich zittre vor dieser furchtbaren Scene, und dennoch habe ich nicht Gewalt genug, sie zu fliehen.

HENLEY. Seyn Sie zum mindesten vorsichtig, Sich nicht zu verrathen; – mir fällt es unmöglich, einen Augenblick hier zu verweilen. Geht ab.


Quelle:
Joachim Wilhelm von Brawe: Der Freygeist, in: Trauerspiele des_–, Berlin 1763, S. 203-209.
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