Achtes Kapitel

[258] Wir waren alle durch Flamettens Lied bewegt. Godwi allein äußerte nichts Bestimmtes. Es schien mir überhaupt, als habe er ein ganz eigenes Instrument im Busen, und seine Rührung sei sich stets gleich. Er hat sein Leben einer schönen Erinnerung hingegeben, und was ihn rührt, schlägt diese an, dennoch hat er ein gesundes originelles Urteil. Diese Originalität aber besteht aus einem einzigen großen Eindruck in seinem Inneren, von dem er immer seinem Urteil einen Klang mitgiebt und es so stempelt. Unsere Äußerungen über das Lied Flamettens führten uns zu einem allgemeinen Gespräche über das Romantische, und ich sagte:

»Alles, was zwischen unserm Auge und einem entfernten zu Sehenden als Mittler steht, uns den entfernten Gegenstand nähert, ihm aber zugleich etwas von dem Seinigen mitgiebt, ist romantisch.«

»Was liegt denn zwischen Ossian und seinen Darstellungen?« sagte Haber.

»Wenn wir mehr wüßten,« erwiderte ich, »als daß eine Harfe dazwischenliegt, und diese Harfe zwischen einem großen Herzen und seiner Schwermut, so wüßten wir des Sängers Geschichte und die Geschichte seines Themas.«

Godwi setzte hinzu: »Das Romantische ist also ein Perspectiv[258] oder vielmehr die Farbe des Glases und die Bestimmung des Gegenstandes durch die Form des Glases.«

»So ist nach Ihnen also das Romantische gestaltlos,« sagte Haber, »ich meinte eher, es habe mehr Gestalt als das Antike, so, daß seine Gestalt allein schon, auch ohne Inhalt, heftig eindringt.«

»Ich weiß nicht,« fuhr ich fort, »was Sie unter Gestalt verstehen. Das Ungestaltete hat freilich oft mehr Gestalt, als das Gestaltete vertragen kann; und um dieses Mehr hervorzubringen, dürften wir also der Venus nur ein Paar Höcker anbringen, um sie romantisch zu machen. Gestalt aber nenne ich die richtige Begrenzung eines Gedachten.«

»Ich möchte daher sagen,« setzte Godwi hinzu, »die Gestalt selbst dürfe keine Gestalt haben, sondern sei nur das bestimmte Aufhören eines aus einem Punkte nach allen Seiten gleichmäßig hervordringenden Gedankens. Er sei nun ein Gedachtes in Stein, Ton, Farbe, Wort oder Gedanken.«

»Es fällt mir ein Beispiel ein,« versetzte ich, »verzeihen Sie, daß es die so sehr gewöhnliche Allegorie auf die Eitelkeit der Welt ist. Nehmen Sie eine Seifenblase an, denken Sie, der innere Raum derselben sei ihr Gedanke, so ist ihre Ausdehnung dann die Gestalt. Nun aber hat eine Seifenblase ein Moment in ihrer Ausdehnung, in der ihre Erscheinung und die Ansicht derselben in vollkommner Harmonie stehen, ihre Form verhält sich dann zu dem Stoffe, zu ihrem innern Durchmesser nach allen Seiten und zu dem Lichte so, daß sie einen schönen Blick von sich giebt. Alle Farben der Umgebung in ihr schimmern, und sie selbst steht nun auf dem letzten Punkte ihrer Vollendung. Nun reißt sie sich von dem Strohhalme los, und schwebt durch die Luft. Sie war das, was ich unter der Gestalt verstehe, eine Begrenzung, welche nur die Idee festhält, und von sich selbst nichts spricht. Alles andere ist Ungestalt, entweder zu viel, oder zu wenig.«

Hier versetzte Haber: »Also ist Tassos Befreites Jerusalem eine Ungestalt« –

»Lieber Haber,« sagte ich, »Sie werden mich ärgern, wenn Sie mir nicht sagen, daß Sie mich entweder nicht verstehen, oder mich nicht ärgern wollen.«

»Ärgern Sie sich nicht,« erwiderte er, »denn ich tue weder das eine, noch will ich das andere, aber mit Ihrer Ungestalt des[259] Romantischen bin ich nicht zufrieden, und setzte Ihnen grade den Tasso entgegen, da ich ihn kenne, und leider nur zu sehr empfinde, wie scharf und bestimmt seine Gestalt ist. Das fühle ich nur zu sehr, da ich damit umgehe, ihn einstens zu übersetzen.«

»Daß Sie es zu sehr fühlen, ist ein Beweis für mich«, sagte ich; »die reine Gestalt fühlt man nicht zu sehr; und nehmen Sie sich in acht, daß Sie es auch den Leser Ihrer Übersetzung nicht zu sehr fühlen lassen, denn nach meiner Meinung ist jedes reine, schöne Kunstwerk, das seinen Gegenstand bloß darstellt, leichter zu übersetzen als ein romantisches, welches seinen Gegenstand nicht allein bezeichnet, sondern seiner Bezeichnung selbst noch ein Kolorit giebt, denn dem Übersetzer des Romantischen wird die Gestalt der Darstellung selbst ein Kunstwerk, das er übersetzen soll. Nehmen Sie zum Beispiel eben den Tasso; mit was hat der neue rhythmische Übersetzer zu ringen? Entweder muß er die Religiosität, den Ernst und die Glut des Tasso selbst besitzen, und dann bitten wir ihn herzlich, lieber selbst zu erfinden; hat er dieses alles aber nicht, oder ist er gar mit Leib und Seele ein Protestant, so muß er sich erst ins Katholische übersetzen, und so muß er sich auch wieder geschichtlich in Tassos Gemüt und Sprache übersetzen, er muß entsetzlich viel übersetzen, ehe er an die eigentliche Übersetzung selbst kömmt, denn die romantischen Dichter haben mehr als bloße Darstellung, sie haben sich selbst noch stark.«

»Bei den reinen Dichtern ist dies der Fall wohl nicht,« sagte Haber, »da sie doch noch etwas weiter von uns entfernt sind.«

»Nein,« erwiderte ich, »obschon sie etwas weiter von uns entfernt sind, und grade deswegen nicht, weil diese große Ferne jedes Medium zwischen ihnen und uns aufhebt, welches sie uns unrein reflektieren könnte. Die Bedingnis ihres Übersetzers ist bloße Wissenschaftlichkeit in der Sprache und dem Gegenstande, er darf bloß die Sprache übersetzen, so muß sich seine Übersetzung zu dem Original immer verhalten, wie der Gipsabdruck zu dem Marmor. Wir sind alle gleichweit von ihnen entfernt, und werden alle dasselbe in ihnen lesen, weil sie nur darstellen, ihre Darstellung selbst aber keine Farbe hat, weil sie Gestalt sind.«[260]

Godwi sagte scherzend: »Nun also, lieber Haber, fangen Sie nur vorher an, sich zu übersetzen, schwerere Kontraktionen wollen wir Ihnen erläutern helfen, und tiefe Stellen, sollten welche vorkommen, müssen Sie erst in Konfessionen ergießen, um sie ans Licht bringen zu dürfen. Denn, übersetzen Sie sich nicht zuerst, so möchte, für alle die Religiosität, den Ernst und die Glut Tassos, liebenswürdiger Atheismus, süße Prosa und jene in den Musenalmanachen so häufige ästhetische Glut, Äther-Glut, Rosen-Glut oder Johanniswürmchen-Glut hervorkommen.«

»Die Reime allein schon«, fuhr ich fort, »sind in unserer Sprache nur als Gereimtes wiederzugeben, und ja, sehen Sie, eben diese Reime schon sind eine solche Gestalt der Gestalt, und wie wollen Sie das alles hervorbringen? Der italiänische Reim ist der Ton, aus dem das Ganze gespielt wird. Wird Ihr Reim denselben Ton haben? Ich glaube nicht, daß Sie ein solcher Musiker sind, der aus allen Tonarten und Schlüsseln auf ein andres Instrument übersetzen kann, ohne daß das Lied hie und da stillsteht und sich zu verwundern scheint, oder seiner innern Munterkeit nach aus Neugierde mitgeht und sich selbst in dem luftigen ästhetischen Rock, der hier zu eng und dort zu weit, überhaupt seinem Charakter nicht angemessen, so ein Rock auf den Kauf ist, wie einen Geniestreich ansieht oder, wird es blind, wie ein vortrefflicher Adler, dem man eine Papiertute über den Kopf gezogen hat, dumm in einer Ecke sitzt.«

Godwi lachte und sagte: »Eine Frage für ein Rezeptbuch – Wie übersetzt man einen italiänischen Adler ins Deutsche? – Antwort – Recipe eine Papiertute, ziehe sie ihm über den Kopf, so ist er aus dem Wilden ins Zahme übersetzt, wird dich nicht beißen; ja er ist der nämliche Adler, und zwar recht treu übersetzt.«

»Recht getreu,« sagte ich, »denn er sitzt nun unter den deutschen Hühnern recht geduldig und getreu, wie ein Haustier.«

»Jede Sprache«, fuhr ich fort, »gleicht einem eigentümlichen Instrumente, nur jene können sich übersetzen, die sich am ähnlichsten sind; aber eine Musik ist die Musik selbst und keine Komposition aus des Spielers Gemüt und seines Instrumentes Art. Sie erschafft sich da, wo das Instrument, der Tonmeister[261] und die Musik in gleicher Vortrefflichkeit sich berühren. Viele Übersetzungen, besonders die aus dem Italiänischen, werden immer Töne der Harmonika oder blasender Instrumente sein, welche man auf klimpernde oder schmetternde übersetzt. Man versuche es einmal mit dem Petrarch; wenn mehr herauskömmt als ein gereimtes Florilegium, an dem man die Botanik seiner Poesie studieren kann, wenn mehr herauskömmt als eine officinelle Übersetzung, wenn nicht jedes Sonett ein Rezept an ein Wörterbuch wird, wo man des Reimes wegen immer die Surrogate statt der Sache nehmen muß, statt Zitronensäure Weinstein, statt Zucker Runkelrüben, so will ich den Entschluß aufgeben, sollte ich je lieben, eine Reihe deutscher Sonette zu machen, die keiner ins Italiänische übersetzen wird.«

»Den Dante halten Sie denn wohl für ganz unübersetzlich«, sagte Haber.

»Grade einen solchen weniger,« fuhr ich fort, »ebenso wie den Shakespeare. Diese beiden Dichter stehen ebenso über ihrer Sprache wie über ihrer Zeit. Sie haben mehr Leidenschaft als Worte, und mehr Worte als Töne. Sie stehen riesenhaft in ihren Sprachen da, und ihre Sprache kann sie nicht fesseln, da ihrem Geiste kaum die Sprache überhaupt genügt, und man kann sie wohl wieder in einen anderen wackeren Boden versetzen. Es kann gedeihen, nur muß es ein Simson getan haben. Transportierte Eichen bleiben sie immer, an denen man die kleinen Wurzeln wegschneiden muß, um sie in eine neue Grube zu setzen. Die meisten anderen italiänischen Sänger aber haben ganz eigentümliche Manieren, die in der Natur ihres Instrumentes liegen, es sind Tonspiele, wie bei Shakespeare Wortspiele; Tonspiele können nicht übersetzt werden, wohl aber Wortspiele.«

»Wie sind wir auf die Übersetzungen gekommen?« sagte Godwi. – »Durch das romantische Lied Flamettens«, sagte ich. »Das Romantische selbst ist eine Übersetzung« –

In diesem Augenblick erhellte sich der dunkle Saal, es ergoß sich ein milder grüner Schein von dem Wasserbecken, das ich beschrieben habe.

»Sehen Sie, wie romantisch, ganz nach Ihrer Definition. Das grüne Glas ist das Medium der Sonne.«[262]

Quelle:
Clemens Brentano: Werke. Band 2, München [1963–1968], S. 258-263.
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