Elftes Kapitel

[270] Wir gingen, und die Nacht ging mit uns; um uns her küßte sie den Schatten des Waldes, und lag in dämmernder Liebe in den Gebüschen. Auf lichten Stellen standen noch freundliche Sonnenblicke, als wollten sie uns Lebewohl! sagen. Durch die Tiefe des Waldes drang der rote glühende Himmel, der leise verstummte. Er sprach wie die jungfräuliche Scham, wenn sie der tiefsten Freude weicht, und die Natur bebte in leisen Schauer, wie Liebestod.

Alles verlor seine Gestalt und sank in Einigkeit. Es gab nur einen Himmel und eine Erde, auf ihr wandelte ich, und mein Fuß rauschte im Laube, in des Himmels mildem Glanze ging mein Auge und trank große herrliche Ruhe. O! wem hätte ich sagen können, wie mein Herz war, wer hätte mich verstanden, und das elende Fragment meiner Sprache entziffert, und wer hätte es verdient?

Ich achtete Godwi, und konnte ihm das nicht sagen, denn ich hätte ihm gesagt, was Freundschaft sich nicht sagen darf. Hier ist sie klein und erblickt sich nicht. Freunde schweigen in solchen Momenten, wo die Liebe sich vom Himmel niedersenkt, und gehen bange einher um die Freundschaft, und schämen sich, daß sie nicht Mann sind und Weib, um sich niederzusetzen und sich zu küssen.

Ich dachte an dich, die mich erwartet; »wo bist du, Geliebte?« sprach ich, »die so zu mir strebt, die in Waldesschatten atmet, und von dem Himmel mit goldenen Fäden mein Herz umspinnt[270] – wo bist du? die mich küßt im kühlen Abendwinde – soll ich nimmer zu dir und mit dir sein? wie der Abend, in dem ich deiner gedenke,« – ach alles sprach mit mir! auch die Brünette drängte sich leise an mein Herz, und sagte – »ich bin nun wie dir ist« – da sprach ich folgende Worte zu ihr:


An. S.

Wie war dein Leben

So voller Glanz,

Wie war dein Morgen

So kindlich Lächlen,

Wie haben sich alle

Um dich geliebt,

Wie kam dein Abend

So betend zu dir,

Und alle beteten

An deinem Abend.


Wie bist du verstummt

In freundlichen Worten,

Und wie dein Aug brach

In sehnenden Tränen

Ach da schwiegen alle Worte

Und alle Tränen

Gingen mit ihr.


Wohl ging ich einsam,

Wie ich jetzt gehe,

Und dachte deiner,

Mit Liebe und Treue –

Da warst du noch da

Und sprachst lächlend:

Sehne dich nimmer nach mir,

Da der Lenz noch so freudig ist

Und die Sonne noch scheint –


Am stillen Abend,

Wenn die Rosen nicht mehr glühen

Und die Töne stumm werden,

Will ich bei dir sein[271]

In traulicher Liebe,

Und dir sagen,

Wie mir am Tage war.


Aber mich schmerzte tief,

Daß ich so einsam sei,

Und vieles im Herzen.

O warum bist du nicht bei mir!

Sprach ich, und siehst mich

Und liebst mich,

Denn mich haben manche verschmäht,

Und ich vergesse nimmer,

Wie sie falsch waren

Und ich so treu und ein Kind.


Da lächeltest du des Kindes

Im einsamen Wege,

Und sprachst: Harre zum Abend,

Da bist du ruhig

Und ich bei dir in Ruhe.


Dein Herz wie war es da,

Daß du nicht trautest,

Viel Schmerzen waren in dir,

Aber du warest größer als Schmerzen,

Wie die Liebe, die süßer ist

Als all ihr Schmerz.


Und die Armut, der du gabst,

War all dein Trost,

Und die Liebe, die du freundlich

Anderen pflegtest,

War all deine Liebe.


Einsam ging ich nicht mehr,

Du warst mir begegnet

Und blicktest mich an –

Scherzend war dein Aug

Und deine Lippe so tröstend –

Dein Herz lag gereift

In der liebenden Brust.[272]


Freundlich sprachst du:

Nun ist bald Abend,

Gehe, vollende,

Daß wir dann ruhen

Und sprechen vom Tage.


Wie ich mich wendete –

Ach der Weg war so schwer!

Langsam schritt ich,

Und jeder Schritt wollte wurzeln,

Ich wollte werden wie ein Baum,

All meine Arme,

Blüten und Blätter,

Sehnend dir neigen.


Oft blickte ich rückwärts

Hin, wo du warst,

Da lagen noch Strahlen,

Da war noch Sonne

Und die hohen Bäume glänzten

Im ernsten Garten,

Wo du gingst.


Ach der Abend wird nicht kommen

Und die Ruhe nicht,

Auf Erden ist keine Ruhe.


Nun ist es Abend,

Aber wo bist du?

Daß ich dir sage,

Wie der Tag war.

Warum hörtest du mich nicht,

Als du noch da warst?

Nun bin ich einsam,

Und denke deiner

Liebend und treu.


Die Sonne scheint nicht,

Und die Rosen glühen nicht,

Stumm sind die Töne –

O! warum kömmst du nicht,

Willst du nicht halten,[273]

Was du versprachst?

Willst du nicht hören,

Soll ich nicht hören,

Wie der Tag war?


Wie war dein Leben

So voller Glanz,

Wie war dein Morgen

So kindlich Lächlen,

Wie habe ich immer

Um dich mich geliebt,

Wie kömmt dein Abend

So betend zu mir,

Und wie bete ich

An deinem Abend.


Am Tage hörtest du mich nicht,

Denn du warst der Tag,

Du kamst nicht am Abend,

Denn du bist der Abend geworden.


Wie ist der Tag verstummt

In freundlichen Worten,

Wie ist sein Aug gebrochen

In sehnenden Tränen,

Ach da schweigen alle meine Worte,

Und meine Sehnsucht zieht mit dir.


Godwi sagte: »Am Abend erschließen sich alle Tore des Himmels, und die Ferne besucht uns freundlich.«

»Es ist kein schönerer Wunsch«, fuhr ich fort, »als Guten Abend! Es heißt, mögest du ruhig sein und liebend, in stillem Umgange mit allem, was du vermißt. – Am Abend erschließen alle Herzen sich selbst, und aus allen Tiefen der Seele kommen die geliebtesten Gedanken zu uns, und selbst die heftigen Begierden, und was uns mit Gewalt fesselt, kömmt zu uns und spricht: Lasse dir nicht bange sein um uns, wir sind nicht so feindlich, als du gedenkst.«[274]

Quelle:
Clemens Brentano: Werke. Band 2, München [1963–1968], S. 270-275.
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