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[82] 1096. An Nanda Keßler
Hattorf Donnerstag [26. November 1896]
Meine liebe Nanda!
Die Zeilen, womit du mir über dein Befinden Nachricht giebst, lauten nicht so günstig, wie ich erwartet hatte. Es muß ja aber wohl mal so sein, daß das Heilen auch noch seine Beschwerden mit sich bringt. Nun sind inzwischen wieder einige Tage und Nächte vorüber gegangen, und ich hoffe zuversichtlich, das nächste Mal kannst du mir Gutes berichten. Wie ist es denn mit der mündlichen Verpflegung? Darfst Du eßen, was Dir schmeckt? Geben sie dir genug, oder mußt du fasten?[82]
Die zwei kleinen Menschenpacketercher, die sie dir vorgezeigt haben, hätt ich auch gern angesehn. Giebt es doch kaum etwas rührend Betrachtenswertheres, als so ein ahnungsloses Wesen, das in diese verzwickte und mit recht verdächtige Welt herein gerutscht ist und weiß nicht wie.
Über Nacht ist hier mit 7 Grad Kälte der Winter gekommen. Dieser kunstreiche Meister hatte mein Kammerfenster dicht mit dem zierlichsten Silberfiligrän übersponnen. Jetzt scheint die Morgensonne durch ein leichtes Schneegeflirr. Wolken, die über die Harzberge daherziehn, deuten ahnungsvoll an, daß demnächst Frau Holle ihr altes dickes Federbett mal gründlich über uns ausklopfen will.
Leb wohl, liebe Nanda, und schreib mir bald: Es geht beßer!
Mit viel herzlichen Grüßen Dein alter
Onkel Wilhelm.