1129. An Nanda Keßler

[97] 1129. An Nanda Keßler


Wiedensahl 20. Mai 1897.


Meine liebe Nanda!

Deine zwei letzten Briefe haben mich gefreut, nicht nur, weil sie freundlich, sondern auch, weil sie angenehm anregend für mich sind. Hab ich doch eine Liebhaberei selbst für die kleinsten rührigen Dinge, wenn mir nur anschaulich erzählt wird, wo und wie sie was thun, oder, sind's werdende Menschenkinder, auch wie sie sich äußern über die intereßanteste aller Fragen, die sich ihnen bereits dämmerhaft aufdrängt, ehe sie noch wißen können, was für eine grimmige Bedeutung sie hat.

Hat's nette kleine Mädel gesagt, es wollt eine Jungfrau werden, so ist das ein Geschäft, was sich leicht erlernt, aber schwierig weiter zu führen ist, sobald das malefiz Herz an zu zucken und zu jucken fängt; dann – und hoffentlich in allen Ehren – wird baldmöglichst umgesattelt.

Dem Hugo sein romantisches Ideechen beweist, daß er als getreuer Busenfreund deine intimsten Wünsche zu deuten und, so gut er's versteht, anmuthig verwirklicht sich zu denken versucht. Du behauptest, von Dir hätt er es nicht. Ganz wohl nicht, aber ein bißel davon. Gescheidte Kinder haben gescheidte Augen und Ohren.

Glucken zu leihen ist schlau und oft auch nöthig, wenn die eigenen Hühner nicht früh genug im Jahr den nöthigen Familiensinn zeigen. Ihr habt zwei; die eine hat bloß vier Küken, die andre bloß sieben. Sparsame Leute, wie die Tante M., thun in solchem Falle rechtzeitig die vier zu den sieben, geben die eine Glucke dankend zurück und brauchen so nur noch eine zu füttern. Also außerdem sitzt noch eine eigene. Auf wie viel Eiern? Daß es eine ungerade Zahl sein muß, darüber sind bekanntlich die ältesten Hühnerzüchterinnen längst einig.

Was du über dein Befinden berichtest, find ich nicht befriedigend, will's aber vorerst nicht gar zu ernsthaft nehmen. Alles etwa noch Lästige wird, denk ich, im Torfmoor stecken bleiben. – Venus, als sie dem Meere entstieg, soll, nach allem, was ich darüber vernommen habe, recht hübsch ausgesehn haben; ob sie sich ebenso gut gemacht hätte beim Auftauchen aus einem Schlammbade, darüber sagst du mir später, nachdem du's ausprobiert hast, wohl deine schätzbare Meinung.

Ich unterdeßen erfrische mich an den heimathlichen Blättern und Blüthen und der Beobachtung des Familienlebens unserer Staare, Schwarzdroßeln, Fliegenschnäpper und Rothschwänzchen. – Auch hoff ich nächstens das neue Großnichtchen besehn zu dürfen, das vor drei Wochen in Hunteburg erschienen, Ruth genannt ist und bis jetzt ganz munter am Busen der Mutter lutscht. –

Gehab dich wohl, liebe Nanda! Und schreib, bitte, möglichst anschaulich aus den "böhmischen Wäldern" an deinen getreuen

Onkel Wilhelm,


der Dir und den Deinigen die herzlichsten Grüße sagt.[97]

Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band II: Briefe 1893 bis 1908, Hannover 1969, S. 97-98.
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