1132. An Nanda Keßler

[99] 1132. An Nanda Keßler


Wiedensahl Juni 1897.


Liebe Nanda!


Der Rosenmonat zog in's Land,

Und wieder kommt der Gratulant,

Und wieder lief ein Jahr geschwind

Dahin, wo schon die andern sind,

Denn längst, so weit das Denken geht,

Fährt Madam Zeit Velociped.


Jetzt hockt fast Jeder auf dem Rad,

Der eine krumm, der andre grad;

Doch ob er grad sitzt oder krumm,

Paßt er nicht auf, schwupp, kippt er um.


Du aber, die natürlich auch

Herum strampampelt, wie's der Brauch,

Halt Dich nur ja recht geistesmunter,

Dann geht es nicht so leicht kopfunter.


Und weil denn überhaupt und eben

Deßgleichen unser ganzes Leben,

Von Tag zu Tag, von Jahr zu Jahr,

Ein Fahren ist und voll Gefahr,

So möge Dich zu allen Zeiten

Als gute Freundin treu begleiten

Auf ihrem blitzblank goldnen Rädchen

Fortuna, das b[e]liebte Mädchen. –


Leb wohl, und hab ein wenig lieb

Den Onkel, der Dir dieses schrieb.

Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band II: Briefe 1893 bis 1908, Hannover 1969, S. 99.
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