1238. An Nanda Keßler

[147] 1238. An Nanda Keßler


Mechtshausen 19. Sept. 99.


Meine liebe Nanda!

Zuvörderst sei freundlich bedankt für den niedlichen Beutel!

Wie mir scheint, bist du mit den Kindern recht munter wieder heimgekehrt. Das freut mich.

Ich, dem das Gedrängel der Mitmenschen, denen er sonst alles Gute wünscht, nicht wohl thut, bin nun mal kein solch unternehmender Wandervogel, wie du es bist. – "Eines schickt sich nicht für Alle". – Diese von dir vergeblich gesuchte Stelle wirst du leicht unter dem Titel: Beherzigung in deinem Göthe finden. Das Gedicht fängt an: "Ach, was soll der Mensch verlangen?" Der bibelfeste Schluß: "Und wer steht, daß er nicht falle", paßt für Jeden, besonders auch für Damen, die kurze Hacken haben.

Also – nur für einige Tage flog ich aus und besah mit Vergnügen das schöne, alte, sandsteinerne, schwarz ultramontane, westfälische Münster, wo's ewig bimmelt und läutet, damit man ja keinen Augenblick vergißt, wer daselbst das Wort hat und triumphiert. Am Lambertithurme hängen noch immer grausig mahnend die eisernen Käfige der gemarterten Wiedertäufer.

Im Übrigen war unser heuriger Sommer doch wirklich höchst lobenswerth. "Eine naive Glucke", die wohl gemeint hat, das ginge nun immer schön warm so fort, kam letzthin noch mit einem Häuflein heimlich ausgebrüteter Küchlein an. Das ist spät für die zarten Geschöpfe. Grimmig kommt der Herbst. Naßkalte Wolken hängen über die Berge herab. Es regnet und regnet.

Du hast bereits geheizt. Hier macht man's zum Theil auch so. Ich noch nicht.

Leb wohl und bleib gesund. Mit herzlichen Grüßen an Euch Alle

Dein alter Onkel

Wilhelm.


Meine Empfehlung an's Fräulein.[147]

Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band II: Briefe 1893 bis 1908, Hannover 1969, S. 147-148.
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