1267. An Grete Meyer

[163] 1267. An Grete Meyer


Mechtshausen 3. Mai 1900.


Liebe Grete!

Sei freundlich bedankt für die angenehmen Episteln.

Wegen der Entwicklungslehre mußt du halt selbst den Darwin zur Hand nehmen. Du wirst dann sehn, wie viel Zeit, Mühe und Scharfsinn nöthig sind, um so etwas wahrscheinlich zu machen.

Die damit verwandte Lehre von der Wiederkehr, oder vielmehr den Verbleib, der Weltlustigen im "Reich der Natur" mag sich der, dems paßt, etwa vorstellen wie folgt: Der werthe Leib, also auch das Gehirn nebst Inhalt, zerstäubt in alle vier Winde. Was bleibt, ist der Wesenskern, der "Wille zum Leben", der Wunsch, der Trieb, sich so und so zu gestalten. Jedes Gelingen ist Freude, jede Behinderung wird Schmerz genannt. Denn ganz glatt gehts nun mal nicht ab. Der alte Gestaltungsdrang muß mit den neuen Umständen sich balgen, die mitunter recht hartnäckig sind. Wie schad, da sich doch manches, wie man zu sagen pflegt, "vererbt", daß die Erinnerung an das, was man früher gelernt hat, nicht ebenfalls mitgeht. Anderseits freilich ists nicht übel für die Leut, die partuh hier bleiben wollen, wenn sie an frühere Dummheiten nicht mehr peinlich zu denken brauchen. – Und nun genug davon. Ich schäme mich allnachgrade meines kindlichen Bemühns, deutlich und nüchtern zu reden über eine neblige Sach, die man eigentlich nur stimmungsvoll säuselnd umklimpern sollte. – Daß es noch eine andre Wiedergeburt giebt, nämlich die im "Reich der Gnade", wag ich bloß zart zu erwähnen.

Unser Wetter ist herrlich. In den Kirschbäumen ertönt leise die Frühlingsorgel der Bienen und Hummeln. – Zehn wunderhübsche Küchlein sind gestern und heut ans Licht gekommen. Die fünf ersten haben übernacht hinter meinem Dauerofen gehuddert. – Die Kinder sind glücklich, weil Lotte Bartels seit einer Woche zu Besuch da ist. – Meine Fahrt nach Hattorf wollte dort nicht paßen. Nun will ich nächsten Montag mal extra auf einige Tage nach Ebergötzen.

Leb wohl, liebe Grete. Viel herzliche Grüße von uns allen.

Stets dein getr. alter Onkel Wilhelm.

Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band II: Briefe 1893 bis 1908, Hannover 1969, S. 163.
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