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[176] 1304. An Johanna Keßler
Mechtshausen 12. Juli 1901.
Liebste Tante!
Ich danke Ihnen für Ihr freundliches Brieflein. Unter den kleinen "Sichtbarkeiten" darin gefällt mir besonders auch das brave Dienstmädchen der Frau M., das im Hinblick auf die Samorener so löblich empfindsam war, viel mehr, scheint's, als die Herrschaften selber.
Das Wetter ist klar wie Kristall jetzund. Vermittelst meiner Gedanken seh ich Sie lustwandeln und sitzen im schattigen Garten, und wenn, was die Letty glaubt, das Denken, sozuagen leibhaftig, ins Weite schweift, dann muß mein Geist Sie häufig umschwebt haben – natürlich in aller Bescheidenheit.
Der Sommer wird reif allnachgrade. Die Hähnchen vom ersten Satz krähen und kämpfen bereits. Die Vöglein in den Zweigen, nachdem ihre Liebesfreuden sich längst in Familiensorgen verwandelt haben, stellen das Singen ein. Schon werden die Sensen gedengelt, um auch hier am Harz den Roggen zu mähen. Hoffentlich finden Sie nachher im August auf der Höhe des Rigi ein schönes Plätzchen, wo immer ein kühlender Zephir weht.
Mit den herzlichsten Grüßen an Sie, an Letty und Harry
Ihr alter Onkel
Wilhelm.
N.B.
Die zutrauliche Ratte neulich ist doch wohl todt von der Zwiebelpille. Nun ist eine andre da. Das macht die gute Verpflegung beim Tiras unten im Gartenhäuschen, und darum wird auch die Falle, die gestellt werden soll, wol kaum was Verlockendes haben.