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[187] 1333. An Nanda Keßler
Mechtshausen 2. Febr. 1902.
Meine liebe Nanda!
Ich danke dir für deinen freundlichen Brief, woraus ich ersehe, daß du dich wohl befindest. Dein Schweigen über den Neffen Bertie nehm ich als günstiges Zeichen.
Ja, und der siebenzigste Geburtstag! Das ist so 'ne Sach. Einem braven Bürgermeister, zum Beispiel, der sich sein lebelang geplagt und geärgert hat, mag es zum Schluß seiner ruhmvollen Laufbahn willkommen sein, wenn ihm zu Ehren geredet, gegeßen und getrunken wird, und wenn er so Gelegenheit findet, sich gerührt und herzlich zu bedanken. Bei mir aber, deßen leichte Betriebsamkeit man schon mehr als genügend gewürdigt hat, möchte doch eine solche Leichenfeier bei Lebzeiten ganz und gar nicht berechtigt sein. Überhaupt, ist denn das Altsein für die Leute, die damit behaftet sind, so was extra Lustiges, daß man ihnen mit hoppheh! dazu gratulieren kann? Ich finde nicht.
Wir hier lauern noch immer auf einen anständigen Winter. Ewig Sturm und Regen ist uns allnachgrade zuwider geworden.
Wir möchten was Weißes sehn, wir möchten mal wieder was Festes unter den Füßen haben. Martin, mit seinen ersten Weihnachtsschlittschuhen, wartet auf Eis schon lange voll Ungeduld, und Ruth wünscht Schnee, um[187] sich von Nachbars Hermann schön sanft kutschieren zu laßen. Nun, heut ist Lichtmeß, Ostern ist fern. Blumen, die bereits draußen hervor spitzen, können noch bittre Erfahrungen machen.
Leb wohl, liebe Nanda! Sei recht herzlich gegrüßt, und, bitte, grüß auch all deine Angehörigen vom
Onkel Wilhelm.