1387. An Johanna Keßler

[203] 1387. An Johanna Keßler


Mechtshausen 28. Dec. 1902.


Liebste Tante!

Ein rechts Kinderfest ist also mal wieder vorüber. Vertieft in milder Theilnahme, sah ich den Lichterbaum und sein fröhliches Drumherum. Jetzt kommt die nachträgliche Beschäftigung mit den handlichen Geschenken. Martin hämmert, Ruth bügelt und Anneliese schleppt ihre Puppe. Mein altes elterliches Bauernhaus trat mir lebhaft in die Erinnerung. Sehr gering waren damals die Gaben, aber das mäßige Verlangen war leicht zu befriedigen, und die Phantasie kam hinzu, um alles noch schöner zu machen.

Bei Ihnen, hör ich, folgt alsbald nach den Weihnachtsfreuden ein bedeutendes Tanzvergnügen, an dem die Hausherrin gewiß mit dem angenehmen Bewußtsein theilnehmen wird, daß sie Andern ein großes Pläsir bereitet.

Den früh erschienenen Winter haben auch wir hier ganz gut ertragen, obgleich er für den Anfang schon außerordentlich grimmig war. Doch gegen meinen Dauerbrenner, der Tag und Nacht seine Schuldigkeit that, hat er nichts ausrichten können. Ich seh mir die Schneeherrlichkeit gemüthlich durch's Fenster an.

Meinen Dank, liebste Tante, für die freundlichen Zeilen.

Bleiben Sie und all die Ihrigen vergnügt und gesund im Jahr 1903, das bereits vor der Thür steht.

Das wünscht Ihnen herzlich Ihr alter getreuer

Onkel Wilhelm.[203]

Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band II: Briefe 1893 bis 1908, Hannover 1969, S. 203-204.
Lizenz: