1422. An Letty Keßler

[214] 1422. An Letty Keßler


Mechtshausen 22. Dec. 1903.


Liebe Letty!

Dein Brief hat mir Freude gemacht. Auch den guten Thee hab ich gestern erhalten, und gleich fielen mir lebhaft die angenehmen Nachmittagsstunden ein unter der Säulenveranda und die freundlichen Hände, die das Einschenken thaten.

Sehr lustig find ich das Abenteuer mit dem Igel. Bekanntlich geht er gern still seiner Nahrung nach. Da kann ich mir denken, wie ihm das Hundegebell, das Pfeifen und der grelle Laternenschein in der Seele zuwider gewesen und wie er sich heimlich davon gemacht hat in eine andere Gegend, wo es nachts ruhiger zugeht, als in der Wiesenau No 1.

Hier bei uns wird der Christbaum zurecht gemacht für die Kinder; sie sind schon lange freudig erregt in Erwartung der kommenden Dinge. – Einen Schatten über das Fest wirft der Tod der Frau Sunder, der Stieftochter meiner Schwester. Wir hatten sie gern; allernächstens sollten die Hochzeiten ihrer beiden Söhne sein, die mit zwei Schwestern verlobt sind.[214]

Das Wetter war seither recht lobenswerth. Die Hühner legen schon; 5 Eier per Tag. Die Schneeglöckchen spitzen hervor; an der Cornelkirsche, an den Syringen schwellen die Knospen. Der alte große Haselnußbaum hängt über und über voll Kätzchen, aber erst später werden sie heirathsfähig; darum hat's noch Zeit, bis die weiblichen Blüthen kommen.

Leb wohl, liebe Letty. Ich wünsche Dir und der Mama und deinen Brüdern ein fröhliches Weihnachtsfest und ein glückliches neues Jahr.

Mit den herzlichsten Grüßen dein stets getreuer

Onkel Wilhelm.


Heut Nacht hat's gereift; der Harz hat sich in Nebel eingewickelt; wenn's nur nicht bald Schnee giebt.

Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band II: Briefe 1893 bis 1908, Hannover 1969, S. 214-215.
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