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[232] 1484. An Nanda Keßler
Mechtshausen 16. Januar 1905.
Meine liebe Nanda!
Aus deinem Brief entnahm ich mit Vergnügen, daß ihr euch, in euerer Art, ganz befriedigt unterhaltet. Zwar Preishündchen, feine Diners und siamesische Prinzen sind wenig anziehende Schosen für einen nachdenklichen Kerl; aber in Rücksicht auf werthvolle Freundinnen, hat er doch manchmal auch für dergleichen ein beifälliges Lächeln übrig. Außerdem weiß er ja längst: Vielgestaltig sind die Nasen der Menschenkinder, und jedes geht der höchsteigenen nach – frei oder nothwendig – was im letzten Grunde bekanntlich daßelbe besagt.
Kürzlich, frühmorgens um sechs, unter klarem Sternenhimmel, fuhr ich mit Otto, dem Neffen, durch den Wald nach Lammspringe, sodann per Bahn auf dem Umweg über Hannover und Northeim nach Hattorf, wo es, trotz grämlicher Wetterwende, bei den guten Verwandten und infolge der trefflichen Waßerheizung im Pfarrhaus, hübsch warm und gemüthlich war. Dort las ich ein merkwürdiges Büchlein, hundert Jahre vor Luther in klugem traulichen Deutsch geschrieben von einem alten Frankforter im Herrenstift zu Sachsenhausen. – Sein Name blieb unbekannt.
Leb wohl, liebe Nanda. Tausend Grüße vom
Onkel Wilhelm,
und bitte, grüß auch freundlich Frau Gudden von ihm. –