1509. An Grete Meyer

[238] 1509. An Grete Meyer


Mechtshausen 19. Sept. 1905.


Liebe Grete!

Aus Oberstein, dem schön gelegenen, als wär's extra gedichtet für dich, bist du nun wieder heimgekehrt zu deinem, in doppelter Hinsicht, wohlklingenden Kunstbetrieb – befriedigt, hoff ich – soweit sich das überhaupt sagen läßt in dieser doch immerhin etwas holprigten Welt.

Deinen Brief und deine Karte hab ich damals erhalten. – Als du mich verlaßen in Hildesheim hatt ich zwanzig Minuten Verspätung. Unser Abtheil war besetzt bis auf ein schmales Plätzchen zwischen mir und einem dicken alten Herrn, der sich auf jeder Station zum Fenster hinauslehnte und schrie: Hier, hier ist noch ein Platz! Allerdings erklärte er dies für pure Menschenliebe, da er sich aber als geläufiger Redner entpuppte, so wollte er sich wohl nur einen Nachbar herein locken, der sich vielleicht mehr auf sein Gesäusel einließ, als die übrigen wortkargen Reisegenoßen. Zum Glück gelang es ihm nicht.[238]

In Verden war ich gut aufgehoben. Im herrlichen alten Garten, wo das Obst nur so klunkerte, ging ich häufig spatzieren bei Sonnen- und Mondenschein. Der Frühschoppen gelang immer vortrefflich; nur beim letzten goß mir der kleine Kellner ein volles Glas Bier in die Brusttasche, so daß Taback und Zigarrettenpapier mehr als genügend befeuchtet wurden. – Eines Tages kriegte Kurt die erste Hose; die ganze Straßenjugend, als er hinaus ging, begrüßte das Ereigniß mit freudigem Zuruf. – Ein paarmal gab's kaltes Regenwetter. An einem solchen Tage grad machten sommerlich gekleidete Dienstmädchen eine Schleppdampferfahrt die Aller hinunter und die Weser hinauf; fuhren abends, zurück, auf einer Sandbank fest; froren steif die Nacht hindurch. Infolgedeßen mußte manche Madam in der Früh gefälligst mal selber den Kaffee kochen.

Von Verden (Liesbeth fuhr mit bis Hannover) konnt ich in einem Saus fahren bis Nordheim. Hermann holte mich ab daselbst. In Hattorf waren die Spuren des großen Hagelwetters schon sehr verwischt; nur die Obstbaumzweige sind angehackt bis auf die Knochen. –

Seit letzten Donner[s]tag bin ich wieder zuhause.

Die Kinder sind puppenlustig. Die Schaukel ist häufig im Schwunge.

Otto ist gestern Mittag fort zu einem dreitägigen Ausflug – Hattorf, Scharzfeld (Pastorenschießen) Goslar – bis Donnerstag früh.

Blitzblank scheint die Sonne. Es reift übernacht. Die Gummibäume sind vorsichtshalber schon gestern Abend hereingeholt.

Leb wohl, liebe Grete! Herzliche Grüße von

deinem alten

Onkel Wilhelm.


Ein furchtbares Unglück ist meinen lieben Frankfurtern wiederfahren. Nanda's Sohn Hudi und sein englischer Vetter sind am Sonntag vor acht Tagen im Main ertrunken, bei einer stürmischen Bootfahrt.

Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band II: Briefe 1893 bis 1908, Hannover 1969, S. 238-239.
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