1526. An Marie Hesse

[246] 1526. An Marie Hesse


Mechtshausen 3. Januar 1906.


Meine liebe Frau Heße!

Haben Sie Dank für Ihren Brief. Und nun send ich Ihnen auch meinen besten Glückwunsch zum neuen Jahr. Zwar Wünsche können den Lauf des Schicksals nicht ändern, aber ein guter Brauch sind sie doch, den ich nicht ändern möchte, so alt ich geworden bin. Mehr als mein Deputat an Jahren hab ich erhalten. So lang ich mich leidlich befinde dabei, will ich die Zulage dankbar entgegen nehmen, ob ich gleich mit Walter von der Vogelweide mich oftmals frage:

Ist mir mein Leben getroumet oder

ist es wahr?

Da sind Kinder doch die rechten Naturphilosophen. Unbefangen leben sie in den Tag hinein, vergeßen schnell ihre Schmerzen, haben bescheidene Wünsche, und daher kommt ihnen diese sonst so neckische Welt gar nicht übel vor. Wie glücklich waren unsere drei Kinder am Weihnachtsabend mit ihrer Bescherung! Und Martin, der Ostern auf das Gymnasium in Münden soll, sehnt sich danach, als ob's dort nichts wie Vergnügen gäbe.

Der Schluß des fortgeschlichenen Jahres war nebelhaft unerfreulich. Jetzt ist endlich mal Schnee gefallen und liegen geblieben, und heiter scheint drüber die Sonne; nur ist leider der Bogen sehr niedrig, den sie täglich beschreibt. Kaum meint man, daß sie fern links über den Harz gestiegen, so duckt sie sich auch schon wieder hinter den Berg rechts in der Nähe.

Was wird der Frühling uns bringen? Vorläufig picken hungrige Vögel, Amseln, Finken und Spatzen, auf dem Futterplatze, und die Bäume und Pflanzen schlafen und träumen.

Leben Sie wohl, liebe Frau Heße! Herzlichen Gruß von

Ihrem alten

Wilhelm Busch.


Auch vom Neffen Otto soll ich Ihnen recht freundliche Grüße sagen.

Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band II: Briefe 1893 bis 1908, Hannover 1969, S. 246.
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