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[255] 1558. An Grete Thomsen
Mechtshausen 1. Oct. 1906.
Liebe Grete!
Bei eurer Heimkehr nach Münster sollen dir, unter viel andern Stimmen, auch diese Zeilen recht freundlich willkommen! sagen.
Also Schopenhauer demnächst (vielleicht!) der große, grimme! Du wirst ihn, denk ich, bewundern. Eigentlich hat's ja nicht viel auf sich mit dem besten Peßimismus. An dem Glücklichen gleitet er ab, wie Waßer an der pomadisirten Ente, und der Unglückliche weiß ohne weiters bescheid.
Ich meinerseits nahm Herder, den Bahnbrecher, zur Hand. Obgleich er nur 5 Jahre älter als Göthe war, kommt uns sein Deutsch schon lästig veraltet vor, während es doch anderseits, wo es sich um Unsagbares handelt, fast modern, wortreich, nebelhaft, impreßionistisch ist. Sein Versuch, im mangelhaften Weltwesen die "Vorsehung" verständig zu rechtfertigen, mißlingt natürlich, denn immer bleibt zuletzt die nüchterne Bauernfrage: Warum schlägt Gott, der doch allmächtig ist, den Teufel nicht todt? –
Wir hier eßen heuer den schönsten Zwetschenkuchen und kriegen viele Töpfe voll Mus. In dieser Hinsicht ein gesegneter Herbst. Aber ernsthaft mahnend an den Wechsel der Dinge bleibt er doch. Wohl dem, der sich richtet nach dem Grundsatz des weisen Schusters von Görlitz – wenn's man ginge. –
Herzliche Grüße, liebe Grete, an dich und Vetter Andreas und die andern guten Verwandten von deinem getreuen
Onkel Wilhelm.