23. An Otto Bassermann

[21] 23. An Otto Bassermann


München am Sonntag nach Pfingsten 1861.

[26. Mai 1861]


Lieber Otto!

Von Woche zu Woche und neuerdings von Tag zu Tag habe ich erwartet, dich wieder in unserer unmittelbaren Nähe zu sehn, aber vergeblich. Nun fällt mir meine sündhafte Nachläßigkeit recht schwer auf's Herz, dir so lange, lange Zeit nicht geschrieben zu haben. Wie so viele Gründe und Veranlaßungen hätte ich doch dazu gehabt! Wie oft habe ich an dich, du Lieber, denken müßen, wenn ich mich im Verein nach meinen aufrichtigen Freunden umsah; wenn ich die Herzlichkeit immer mehr vermißte, die uns zusammenhielt zu jener Zeit, da du noch hier warst. Der Verein hat an Zahl im Winter ganz bedeutend zugenommen, aber auffälliger Weise ist auch nicht eine einzige Persönlichkeit aufgetaucht, die irgend hervorragende gesellige Talente hätte. Das ist schlimm. Die Alten verlieren Lust und Energie, oder sind verbraucht; man ist an ihre Art und Weise zu sehr gewöhnt, als daß man noch etwas Originelles darin finden könnte. Besonders schlimm aber ist es, daß sich die Zahl der Gleichgültigen so sehr vermehrt hat; dies Geschlecht pflanzt sich fort wie die Läuse. – Die Kneipzeitung hat ihre frühere Bedeutung gänzlich verloren. An die Stelle des Wortes ist der Ton getreten. Das Hauptelement der Unterhaltung ist in letzter Zeit die Musik gewesen, oft freilich auch das Hauptelement der Langeweile. Ich habe Dich oft hergewünscht. Seit der Aufführung der letzten Oper ist Krempelsetzer, der Componist derselben, ein populärer Mann geworden. Er hat seither eine Menge Lieder und Duetts componirt, die dann im Vereine bis zum Ekel abgesungen wurden. Übrigens sind die Sachen[21] meistens wirklich außerordentlich schön, und ich glaube, daß er auch im größern Publikum zur Anerkennung kommen wird. – Vor drei Wochen feierten wir Krügers Abschied. Alle Künste wetteiferten, ihm ihre Huldigung darzubringen. Der Wein floß in Strömen und mancher gehörte in jener Nacht zu den Todten. Ein spanisches Intriguenstück, als Festspiel, von Stöger war gehaltlos, wurde aber ganz vortrefflich aufgeführt. Für Krüger war eine eigene Kaiserloge hergerichtet. Etwa 8 Tage darauf ist er nach Cotbus abgereist, um sich dann in Berlin nieder zu laßen. – Dein Vetter Wilhelm, der sich zu Anfang lebhaft für den Verein intereßirte, hat sich, ich weiß nicht aus was für Gründen, fast ganz davon zurückgezogen. Wir mir scheint ist er nicht ganz zufrieden mit seinem Metier und zieht sich darum wohl etwas grämlich in sich selbst zurück. Mir ist es leid, daß ich ihn nicht häufiger sehe. – Was mich selbst betrifft, so wirst du aus dem was ich vorhin gesagt, wohl gesehn haben, daß es mit einer Unterhaltung im Verein nicht weit her ist. Es wird viel exgekneipt. Für die Fliegenden habe ich in letzter Zeit nicht viel gearbeitet, dagegen habe ich seit meiner Krankheit schon neun Bilderbogen gezeichnet, von denen fünf für dieses Jahr bereits geschnitten und gedruckt sind. – Für Krempelsetzer habe ich den Tex[t] zu einem Märchen in zwei Aufzügen und zu einer Operette in 1 Aufzuge geschrieben. Zu beiden ist die Musik schon fertig. – Bis in drei Wochen beabsichtige ich auf etwa 2 Monate nach Hause zu reisen. Wie lieb würde es mir sein, dich hier vorher noch zu sehen! Komm doch, oder schreib mir wenigstens bis dahin.

Dein getreuer Freund

W.B.

Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band I: Briefe 1841 bis 1892, Hannover 1968, S. 21-22.
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