240. An Otto Bassermann

[127] 240. An Otto Bassermann


Wiedensahl, Montag d. 21 Dec. 74


Mein lieber Otto!

Es ist wohl Zeit, daß ich dir über das Befinden von Ida's Vater etwas Näheres mittheile. – Nachdem er den Herbst her immer gekränkelt, ist es seit 14 Tagen so schlimm mit ihm geworden, daß er das Zimmer und seit ein paar Tagen auch kaum das Bett verlaßen kann. Er hustet stark, hat heftige Fieber und gar keinen Appetit. Was das in einem Alter von 65 Jahren zu bedeuten hat, ist klar. Es kann bei der dadurch eingetretenen[127] außerordentlichen Schwäche jeden Tag eine Krisis zum Ende eintreten. – Der aus Bückeburg herzugerufene Arzt äußerte sich in dem Sinne, als man sich darüber berieth, welche Nachricht man an Ida geben könne. Ihre Schwester wird ihr geschrieben haben wie es steht. – Nun wurde hier der Wunsch rege, nicht bei dem Kranken, der sich gar nicht äußert, sondern bei Mutter und Schwester, daß Ida kommen möge; man nahm auch an, daß Ida kommen wolle und möchte, um ihren Vater, vielleicht zum letzten Male, zu sehen. Ich finde das gewiß natürlich; aber bei ruhiger Überlegung habe ich doch dagegen gesprochen. Ida macht den weiten Weg, sieht ihren Vater in dem trostlosen Zustande, und nimmt das traurige Bild für immer mit sich hinweg. Kommt sie zu spät, so ist die Reise vergebens; trifft sie ihren Vater noch am Leben und muß ihn so verlaßen, so scheint mir das noch schlimmer. Zudem ist er sehr nervös, während er durchaus Ruhe haben soll. Ich glaube, wenn Ida jetzt plötzlich käme, so würde ihn das aufregen und besonders mißtrauisch machen; er würde daraus die Hoffnungslosigkeit seiner Krankheit zu ersehn glauben. – Wir haben deshalb, nach Verabredung mit Ida's Mutter und Schwestern, beschloßen, dir zurück zu telegraphiren: Ida möge noch Antwort erwarten. – Man soll ja in solchen Fällen jeden nach seinem Gefühl handeln laßen. Will Ida durchaus reisen, so laße sie in Gottes Namen gewähren. Aber ich meine, du wirst Gelegenheit finden, das Für und Wider in Ruhe und Gelaßenheit mit ihr zu erwägen.

Sollte ich nicht dazu kommen, nach Wolfenbüttel zu reisen, so schreibe ich's, sonst erwarte ich zu Neujahr ein paar Zeilen von dir nach dort: Adr:

Gustav Busch – Wolfenbüttel

Herzliche Grüße!

Wilhelm

Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band I: Briefe 1841 bis 1892, Hannover 1968, S. 127-128.
Lizenz: