273. An Maria Anderson

[140] 273. An Maria Anderson


Wolfenbüttel 26 April 75


Meine liebe Frau Anderson!

Wolfenbüttel – ehemals Residenz, anitzo zweite Stadt des Herzogthums Braunschweig – berühmt durch seine Bibliothek, berühmter noch durch seinen einstmaligen Bibliothekar Leßing – Wolfenbüttel ficht mich wenig an. Ich wohne auf dem Forsthause, vor dem Thor der Stadt gelegen. Dieses Forsthaus, im grauen Alterthum ein wirkliches Forsthaus, ward später Wirthshaus und Posthalterei. Eine Tochter des letzten Posthalters hat einer meiner vier Brüder geheirathet. Er verkaufte die Wirthschaft,[140] behielt den größten Theil des Grundstücks zurück und hat darauf eine Conservefabrik angelegt. In seinem Keller liegt guter Rheinwein und guter Champagner; rings um's Haus liegen Obstgärten. Den Wein genieß' ich nach Belieben; auf die Blüthen muß ich, scheint's, noch warten; denn kalt ist die Luft und bitterkalt der Wind. Ich trinke kein Bier, ich spiele keine Karten, ich liebe keine philisterhafte Geselligkeit. Drum – was schert mich Wolfenbüttel die Stadt!? – Dies zur Ausbildung Ihrer geographischen Kenntniße; für welche Wohlthat ich Ihrer herzlichen Dankbarkeit entgegen sehe. Da Sie mich platonisch lieben, so will ich auch kein Brummbär sein. Liebe per distance gefällt dem Herrn wohl! Sie kommt mir vor wie zwei geflügelte Engelsköpfe auf Goldgrund.

Ihr Wilh. Busch.

Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band I: Briefe 1841 bis 1892, Hannover 1968, S. 140-141.
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