615. An Hermann Nöldeke

[255] 615. An Hermann Nöldeke


Wiedensahl 2. Aug. 84.


Lieber Hermann!

Anbei »Blumhardt's Biographie« zurück. Habe sie in eins durchgelesen, dann noch ein paar Tage an Herrn Pastor ausgeliehen. Merkwürdiger Mann. Von weitem gesehn, eine Art katholischer Wunderthäter, auch wie bei diesen mit Attesten; eine Art von Magnetiseur; und wenn gar die telegraphischen Bestellungen auf Gebete einlaufen, will's einem bedenklich zu Muthe werden. Es sieht fast so aus, als ob's nicht anders ginge, als durch den Pfarrer B. hindurch. Übrigens nimmt er diese kleine, egoistische Art des Gebetes mit den Wundererfolgen nur als etwas nebensächliches; seine große Ansicht vom Gebet ist doch gewiß tief und wahr. – Versetzt man sich in die Situation z.B. bei der Krankheit der Dittus, so muß man über die Naivetat der Beobachtung erstaunen. Die Reden und Grimaßen einer närrischen Frauensperson treiben seine Phantasie in eine Dämonenwelt (Verstorbene in Beseßenen), für die er in der Bibel doch nur eine gequälte Rechtfertigung findet. – Frappiren thut's, wenn die dämonische Kindsmörderin aus der Dittus heraus sagt: Sie sei in der Kluft. Auch war es mir im Anschluß hieran neu, daß man für die Möglichkeit der Sündenvergebung nach dem Tode den Ausspruch anführt, wonach die Sünde wider den heil. Geist weder in dieser noch in jener Welt vergeben wird.

Vorgestern Nachmittag fuhr ich mit Wilhelm p. Post nach Stadthagen, wo W. bei Bittermeier seine Rechnung (200 Liter!!!) bezahlen wollte. Bei Brun's Busche sahen wir Onkel Prorektor, Fr. Baak mit Töchterchen daher spatzieren. Ich wollte vom Bocke steigen, trat auf's Rad, der alte Gaul ruckt noch mal an, ich hake mit dem Absatz hinter's Rad, schwapp! da lag ich im Chaußeestaube. Hab aber weiter nichts abgekriegt. – Montag denke ich mit Onkel Hermann in Hannover zusammen zu treffen, um mit ihm nach Lüethorst zu fahren. – Mutter hat dein Pantoffelpaket mit Brief erhalten. – Die Schweriner wollen Dienstag in acht Tagen wieder heim. – Otto seine Ferien sind auch in 8 Tagen zu Ende. – Alle laßen dich herzlich grüßen; nicht minder

Dein getr. Onkel

Wilhelm

Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band II: Briefe 1893 bis 1908, Hannover 1969.
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