796. An Margarethe Röber

[323] 796. An Margarethe Röber


Wiedensahl Sonntag [3. August 1890]


Sei bedankt, liebe Grete, für deine liebenswürdigen Zeilen. – Dein Weh, welches, scheint's, doch nur ein Wehweh war, ist hoffentlich mit Erfolg operirt. Du erlustirst dich mit den Kindern, erziehst sie musterhaft, hast deinen Bernhard von der Reise zurück, und ich darf wohl annehmen, daß du ihn (dem ich mich zu empfehlen bitte) nach der Abwesenheit um so anmuthiger zu behandeln weißt. – Was nun mich angeht, so bemüh ich[323] mich, ein Erdenbewohner von der gemäßigten Sorte zu sein; hübsch unterthan der Obrigkeit; nicht übermäßig betriebsam; nicht rundreisig; so einer, den »Geburtstage«, selbst der eigene, kaum mehr in Aufregung versetzen, wie das ja auch für Einen, dem die Jahre in die Kiepe gestiegen, durchaus paßend erscheint. – Freilich, wenn der alte Esel doch mal ausnahmsweise einige Kilometer heraus kommt, so macht er vielleicht trotzalledem noch ein paar neckische Sätze. Aber dann schämt er sich, trottelt heim, stellt sich in seinen bescheidenen Winkel, stößt die Stallklappe auf und betrachtet die Welt. Und recht wunderlich will sie ihm vorkommen grad jetzt. Alles will reiten, so zu sagen; nicht bloß der Kavalier und Millionier. Der löbliche Mittelstand, seit einiger Zeit bemerkend, daß er Geld verdient, hat sich aufs hohe Roß gesetzt. Nun möchten aber alle die, welche zu Fuß gehn, welche das Putzen und Misten thun, auch ihrerseits reiten; nach dem uralten Naturgesetz der Neidhammelei. Sie legen Striegel und Mistgabel nieder und machen die Pferde scheu. Wer nicht sehr fest sitzt oder zur rechten Zeit absteigt, liegt unten. Das rechtzeitige Absitzen, ja, bei den steigenden Heu= Stroh= und Haferpreisen, das gänzliche Abschaffen des »hohen Roßes« fängt, wie mich dünkt, bei den Gescheidten an bereits Mode zu werden. – Ein netter Spatzierstock ist auch nicht übel.

Inzwischen ist der Sommer so ziemlich vorüber gegangen. Viel Regen und Raupen hat er aus seinem Füllhorn über uns ausgeschüttet. Aber ein heiterer Sinn findet doch stets ein blühendes Plätzchen, wo er sich sein Sträußlein bindet. Die Vöglein haben lustig gepfiffen und gebrütet; auch beim Neffen Hermann, den du kennst, ist schon im Frühling ein kleines Trudchen erschienen. Um's mir anzusehn, fahr ich wohl nächstens mal hin.

Gottbefohlen, und freundlichen Gruß von

Deinem ollen Onkel

W.B.

Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band I: Briefe 1841 bis 1892, Hannover 1968, S. 323-324.
Lizenz: