858. An Johanna Keßler

[347] 858. An Johanna Keßler


Wiedensahl 10. Febr. 92.


Geliebte Tante!

Ich danke Ihnen für den freundlichen Brief, der vor ungefähr 14 Tagen geschrieben wurde.

Zunächst denk ich Bruder Hermann in Celle, nachdem ich fast ein Jahr lang nicht dort gewesen, mal wieder auf ein paar Tage zu besuchen. Dann kommt Hattorf in Sicht; dann Ebergötzen; darnach Kaßel und Frankfurt. So ist, wie Sie sehn, vor letzterm noch allerlei nachzuholen, was die neubelebte Freundschaft mit den angenehmen 3 Mühmchen so liebenswürdig verzögert hat.

Inzwischen rinnt der Bach im altgewohnten Bett, durch Stunde, Tag und Monat, geruhig, wie's ihm ziemt, dem Meer entgegen.

Der stürmische Winter hat hier viel Leut hinweg geblasen, besonders Kinder. Uns hat er bis jetzt, gottlob, in aller Sanftmuth zu behandeln geruht. Schon drängt sich durch die Kruste der Erde und die Rinde der Bäume allerlei Grün hervor. Die Haselnußbüsche hängen über und über voll[347] mehliger Kätzchen und rother Blüthen, Männlein und Weiblein. Man träumt den Frühling herbei, man meint, er müße so glattweg herbeikommen; als ob's von jetzt bis zu Ostern nicht Platz genug gäb für die empfindlichsten Täuschungen.

Dem Metzgermeister, natürlich, dem bewußten, dem ist das ganz Wurscht; denn die peinlichen Erwägungen bis zum Hauskaufentschluß, die Kündigung der vielen kleinen Hypotheken, die Verlegung des Geschäfts – all das sind innere Zustände und äußerliche Thätigkeiten, die nur zu gut geeignet sind, den ganzen Mann auf das Lebhafteste zu unterhalten und seine Frau auch.

Also die Erbauung des »Pavians« (so sagen wir Bauern) und die Anpflanzung der »Behm« (so sagen die Frankforter) werden rüstig in Angriff genommen. Wie sehr wird's mich freun, liebste Tante, wenn ich mit Ihnen zusammen mal dort sitze und seh über das hübsche Thal hinweg nach den Bergen!

Mit den besten Grüßen an Sie und die Letty und Alle

Ihr ergebenster

Onkel Wilhelm.

Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band II: Briefe 1893 bis 1908, Hannover 1969.
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