899. An Hermann Nöldeke

[4] 899. An Hermann Nöldeke


Wiedensahl 4. Jan. 93.


Lieber Hermann!

Ich danke Dir für die hübsche Photographie von Trudel und wünsche euch Allen ein recht fröhliches Neujahr. – Tante Alwine fand ich wohlauf. Ich kam Montag bei lustigem Schneewetter zurück. – Otto hat Dir am Tage vor Weihnachten geschrieben. – Was ich mir über den bisherigen Verlauf unserer Pfarrbesetzung denke, will ich in Kürze sagen:

Das Geschwätz und die Ausreden wegen deiner Bewerbung gingen darauf hinaus, es solle ein Älterer her; dies sagte Bückmann zu Mutter u. mir; auch scheint es in einer Conventssitzung beschloßen zu sein. Barkhausen hat, so scheint's, infolgedeßen den Pastor in Langeoog veranlaßt sich zu melden. Nun kommt das Cirkular, und siehe da, der Abt empfiehlt einen Jüngeren (Hahn), der mit Dir noch in Loccum gewesen; doch hat er, wie Bückmann sagte, deiner lobend erwähnt. Barkhausen stimmt natürlich für den Langeooger; Guden und Bückmann, als Jabrüder, für den Vorschlag des Abts. Der Stimmen von Wiesinger und Meyer scheint man so gut wie sicher gewesen zu sein. So theilt denn Bückmann an Herrn Hoyer und den Kirchenvorstand mit: es sei Einer bestimmt, aber er könne ihn noch nicht nennen. – Aber die Sache stockt. Bückmann fragt in Erichsburg an, ob denn das Cirkular noch nicht dort gewesen. Nein! Bückmann fragt bei Wiesinger an: Ja! aber der Abt hätte ihm das Cirkular wieder abgefordert. Inzwischen war nämlich der Abt in Berlin; Barkhausen wird ihn daran erinnert haben, was im Convent beschloßen wurde; daher vermuthlich neue Ausschau nach einem Älteren. – Bückmann wüthend. – Am Nachmittag nach Weihnachten thut sich bei uns die Thür auf. Ein Herr stellt sich Frl. Kather als Pastor 899. An Hermann Nöldeke(Name unverständlich) vor und wünscht Mutter allein zu sprechen. Neue Vorstellung wieder mit vernusselten Namen (Bökel? – Dökel? –). Wo er her wäre, möchte er nicht gern sagen. Wolle sich mal über die Wiedensahler Verhältniße erkundigen. (Aussehn: klein; blonder, graumelirter Vollbart; rundes Bäuchlein.) Und nun geht eine Ausfragerei an: Wie weit Loccum, Rehburg etc., ob man Wagen haben könne; wie die Familien, ob sie nett; wie Herr Hoyer beschaffen; und so fort bis in die kleinlichsten Dinge. – Mutter sagt ihm, so viel sie wiße, sei aber schon Wer bestimmt in Aussicht genommen; er geht nicht drauf ein. Sie hatte sich gedacht, es sei vielleicht Einer, hintenwoher, der nicht recht um die Sache bescheid wiße und sich nun auch noch melden wolle; sie hatte ihn vor vergeblichen Bemühungen zu warnen gedacht. – Darauf geht er zu Herrn Hoyer, der grade Wurst macht. Hoyer muß ihm alle seine Räume zeigen. Dann Besichtigung des P[f]arrhauses vom Keller bis zum äußersten Haus- und Kornboden und zum Tarlitt sogar; dann Besichtigung der Kirche; Besteigen der Kanzel. Hoyer: "Habe ich vielleicht die Ehre unsern neuen Herrn Pastor" – –. Lächeln des Fremden, der Namen und Herkunft nicht zu nennen wünscht: "Nein, bestimmt ist's noch nicht. Wird aber, eventuell, den Lehrer nicht in der freudigen Ausübung seines Berufes stören." Und nun wieder das Ausfragen über alles, worüber er Mutter schon befragt, nur außerdem auch noch über Kegelbahn und sonstige Unterhaltungen; er habe eine 15jährige Tochter. – Abends ist er wieder nach Stadthagen verschwunden. – Das hat Herr Hoyer am Neujahrsmorgen denn gleich an Bückmann erzählt. – Bückmann noch mehr wüthend! – Ja, so geht's! Die Herren werden allnachgerade zu unwillkührlichen Komikern und Lügenbeuteln. – Wir nehmen an, daß der Intervieuer, z. Deutsch: Ausholer, Derjenige ist, den der Abt nun vorgeschlagen hat; denn Barkhausen sein Langeooger scheint es entschieden nicht zu sein.

Eben kommt die Nachricht, daß Frl. Saxer heut früh um 4 Uhr gestorben ist. Wir sind sehr betrübt.

Leb wohl, lieber Hermann! Viele herzliche Grüße

von Uns an Euch Alle!

Dein getr. Onkel W.[4]

Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band II: Briefe 1893 bis 1908, Hannover 1969, S. 4-5.
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