905. An Hermann Nöldeke

[6] 905. An Hermann Nöldeke


Wiedensahl 12. Febr. 93.


Lieber Hermann!

Als ich Freitag vor acht Tagen nach Celle fuhr, lag hier kein Schnee; aber in Hannover war's weiß und in Celle erst recht; dabei tüchtiger Frost und hellster Sonnenschein. Tante Liesbeth gings wieder gut. Sie war etwas piquirt, daß du ihnen die Geburt von Irmgart nicht angezeigt hast.

Hier hat's heut früh ein paar dicke Flocken geschneit, die sich bald auflösten. Es mistert. Der Frost will noch nicht heraus aus der Erde. Neulich, als ich die Crokus aufnehmen wollte, hob ich zu meinem Schrecken eine dicke Kruste in die Höhe, worin die Töpfe festsaßen. Ich dachte schon, alles sei kaput. Bei näherer Besichtigung zeigten sich nur zwei ausgelukte Zwiebeln. Die Keime beinahe fingerlang über dem Topf. Drei Töpfe stehen nun im Kabinett. Den vierten konnte ich auch gestern noch nicht herausnehmen. Merkwürdig, daß diese zarten Triebe in der steinharten gefrorenen Kruste nicht todt gehn.

Die Reden gegen die Socialdemokraten kann Mutter nicht mehr finden. Hast auch, glaub ich, nicht viel dran verloren. Jede Partei schreibt sich den Sieg zu. Welche von beiden recht hat, muß schließlich doch die Gewalt beweisen. (Eben findet Mutter die Richter'sche Rede in d. "Neuesten N.". Ich lege sie bei.)

Der Neue Pastor logiert, hör ich, bei Herrn Goldbeck, der ihn durch einen Duinger Topfhändler schriftlich eingeladen. Ob's aber wahr ist, weiß ich nicht. Hahn machte gestern Abend, kurz vor dem Abendeßen, Mutter seinen Besuch. Sein Vater ist Generalsuperintendent, und der Herr Abt hat auch noch einige Angehörige unterzubringen. Eine Hand wäscht die andere.

Ob ich bald mal komme, weiß ich nicht. Kaum. Muß Staarenbaum aussuchen, fahren laßen, zurecht machen und aufrichten laßen.

Mit den herzlichsten Grüßen dein getr. Onkel W.B.

Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band II: Briefe 1893 bis 1908, Hannover 1969, S. 6.
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