910. An Nanda Keßler

[7] 910. An Nanda Keßler


Wiedensahl 27. März 93.


Liebe Nanda!

Zur Zeit des Winters ist mancher Zug stecken geblieben. So auch, bei Disparität der Jahre, wie der Probleme, ist's nicht verwunderlich, wenn sich im schriftlichen Verkehr mal eine gewiße Stockung bemerkbar macht. Dem, der noch abenteuerlustig in's Leben hineindrängt, der Zickzacklinien in den Sand zeichnet, als Vorbild seiner Wünsche, wird Das, was alten Leuten paßirt, die nicht grad als Meckerböcke, sondern möglichst still und anständig und nachdenklich aus der Welt hinaus gehn möchten, naturgemäß recht langweilig vorkommen; eine Wahrheit, welche einst von der liebenswürdigsten Autorität ausdrücklich bestätigt wurde.

Daher liegt der Fall so, daß der Onkel stets froh sein darf, wenn ihm sein hübsches Tantchen was schreibt, während er selbst, der nichts Rechtes zu melden weiß, nur selten, nur schüchtern zur Feder greift. – Es ist ein Naturphänomen. Man muß es ertragen, wie Regenwetter.[7]

Wo ihm recht ist, hat er auch das Wort "beßern" gelesen. Hat es tiefere Bedeutung, dann geht's eigentlich zunächst keinen andern Menschen was an; und bedenkt man, wie schwierig es ist und wie viel man noch mit sich selber zu thun hat, so nimmt man dergleichen Äußerungen, wenn auch nicht ohne Wohlwollen, so doch mit Vorsicht entgegen. Von "verstoßen" (so lautet der Text) kann aber schon deßhalb keine Red sein, weil ein Besitz, den dies voraussetzt, allhier nicht vorhanden ist. –

Über neueres Französisch kann ich leider keine genauere Auskunft geben. Ich las nur die pécheurs d'Islande und mon frere Yves von Loti. Im ersteren die Meeresstimmung, Luft, Licht, Waßer, und wie die Menschenkinder nur so einen Augenblick aufrauschen und dann wieder spurlos zerfließen im großen pantheistischen Ocean - das kam mir so eindrücklich in seiner Art vor, als hätt ich's noch nie so gelesen. Das zweite dagegen, eine alkoholistische Vererbungsgeschicht, schien mir nur ein lang ausgezupftes Vexirstück nach neuster Mode zu sein.

- Und also: Der Frühling kommt! Und Jeder natürlich, der Geld und Zeit und ein reizendes Haus und einen demnächst blühenden Garten hat, macht sich auf anitzt mit Sack und Pack per Eisenbahn, um fern in edlen Wirthshäusern ein schöneres Leben zu beginnen. Denn, wie es ungefähr im "Wandrer" heißt:

Da, wo du nicht bist, da ist Was los!

Aber, Spaß beiseit! Es grüßt Dich und Alle recht freundlich und wünscht glückliche Reis'

Dein häuslicher

Onkel

Wilhelm.

Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band II: Briefe 1893 bis 1908, Hannover 1969, S. 7-8.
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