970. An Marie Hesse

[34] 970. An Marie Hesse


Wiedensahl 3. Juli 94.


Liebe Frau Heße!

Wie geht es Ihnen denn in Ihrem neuen Heimwesen? Es ist kleiner, als das frühere; Sie haben sich ja wohl in manches finden und haben manches[34] überwinden müßen; aber wenn Sie nur gesund sind, so werden Sie sich auch da bald gemüthlich einrichten.

Bei meiner Kränkelei war mir der Winter durchaus nicht angenehm; dann erschien der wundersam sonnige Frühling, und nun, wie's scheint, sind die Rippenstöße bis auf weiteres mal wieder verschmerzt. – Nach der Hitze hatten wir den ersehnten Regen. Die ganze Welt duftet jetzunder nach Heu und nach Rosen. Laub und Blüthen drängen nach voller Entwicklung. Ich freue mich drüber mit einer gewißen Gelaßenheit, die dem Alter natürlich ist.

Den Neffen, die immer freundlich an Sie denken, geht es so weit ganz gut, nur mit der Beförderung von 2 und 3 geht es nicht so glatt vorwärts wie bei 1, sintemalen die Verhältniße bei Philologen und Theologen jetzt eben für die Anstellung sehr ungünstig sind, dahingegen sehr günstig für die Übung in Geduld, besonders, wenn man verlobt ist. – Das Gedrängel in dieser Welt scheint immer ärger zu werden.

Leben Sie wohl, meine liebe Frau Heße! Bleiben Sie muthig und gesund und seien Sie auf das herzlichste gegrüßt von Ihrem

alten

Wilh. Busch.

Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band II: Briefe 1893 bis 1908, Hannover 1969, S. 34-35.
Lizenz: