[3] Der Dichter an die Zuschauer.
Von Kind auf hat ein Stück mich hingerissen,
darin der Teufel was zu sagen hat,
des Kindes Ahnung wird, im Mann, zum Wissen,
doch hälfe Wissen nicht, würd' es nicht Tat;
würde nicht Regung in Bewußtsein fließen,
und in Anschauung dies, aus einer Saat:
Es liegt im Kind, wie in des Keims Gewalten,
der volle Trieb zum späteren Gestalten.
Die Bühne zeigt vom Leben die Gebärde,
Unechtheit steht auf ihrer Stirn geprägt;
auf daß sie nicht zum Spiegel-Zerrbild werde,
als Zauberspiegel wirk' sie schön und echt;
gebt zu, daß sie das Wahre nur entwerte,
dem Unglaubhaften wird sie erst gerecht:
und wenn ihr sie, als Wirklichkeit, belachtet,
zwingt sie zum Ernst, als reines Spiel betrachtet.
[3]
In dieser Form allein ruft sie nach Tönen,
Musik steht dem Gemeinen abgewandt;
ihr Körper ist die Luft, ihr Klingen Sehnen,
sie schwebt ... Das Wunder ist ihr Heimatland.
Drum hielt ich Umschau unter allen jenen,
die mit dem Wunder wirkten, Hand in Hand:
Ob gut, ob böse, ob verdammt, ob selig,
sie ziehn mich an mit Macht unwiderstehlich.
Von dreien, die ich weiß, der Teufelsritter,
ward einer von dem Bösen selbst gezeugt;
die Jungfrau überfällt's wie ein Gewitter,
aus ihrem Schoß darauf Merlin entsteigt;
den dunklen Mächten späterhin entglitt er,
wenn er sich vor dem Höheren gebeugt:
Allwissenheit, vom Vater mitgegeben,
er nützt sie aus zu einem Segensleben.
Beim zweiten miß ich ganz die Widersprüche,
als Einheit steht er da, ein Mann und echt,
sein Wagmut steigt ins Ungeheuerliche
und tausend Künste weiht er – dem Geschlecht,
wo ist der Zwang, dem Don Giovanni wiche?
Ein solcher wär' als Held mir eben recht:
doch Meister Wolfgang ist's zu gut gelungen,
für immer hat er diesen Sang gesungen.
Der dritte meiner Reih' ist nicht geringer,
ein trotz'ger Geist, ein Einzelner, auch er:
ein Tiefbelesener, ein Höllenzwinger,
vieldeutiger zumal, und sonst auch mehr,
ein schwacher Mensch und doch ein starker Ringer
den Zweifel tragen hin und wieder her:[4]
Herr des Gedankens, Diener dem Instinkt,
dem das Erschöpfen keine Lösung bringt.
Das End' ist Schrecken, doch sein Name steht,
die Chronik hält ihn, artet in Legende,
die Dichtung folgt, Unsterblichkeit umweht,
und des Nachbildens, Schmückens ist kein Ende;
als lebensähnlich die Gestalt ersteht,
täuschend bewegt durch unsichtbare Hände:
das Puppenspiel vom Faust zieht durch die Zeiten,
Ergriffenheit und Staunen zu bereiten.
Zu Frankfurt war's, am Tag, und vor den Toren,
unter dem Volk ein Zaubrer fand sich ein;
der griff entschlossen nach des Spiels Figuren,
da schwand die Schau, als wär' sie Dunst und Schein.
Gemächlich erst, und in den alten Spuren,
haucht er den Sinn des Lebens ihnen ein:
sie wachsen fort, ins Mystische gelenkt,
zu Höchst geschleudert und zu Tiefst versenkt.
Und mit dem letzten Spruch von hinnen reist er.
Der Rätselbau zeigt jegliche Gestalt;
von allen Seiten zieht er an die Geister,
er ist die Form für jeglichen Gehalt.
Doch was vermöcht', gen Zauberer, ein Meister!
Des Menschen Lied am Göttlichen verschallt:
also belehrt erkannt' ich meine Ziele
und wandte mich zurück – zum Puppenspiele.
Besah mir nah die schlicht geformten Bilder,
die waren schöner jetzt, durch höheres Alter;
ich firnißte, hantierte als Vergülder –
(es wirkt die Zeit nicht minder als Zerspalter)[5]
ich schärfte Eines, Andres strich ich milder,
und aus der Larve flog herauf ein Falter:
ins Altgewebte flocht ich neue Maschen,
vergess'nes Muster wird euch überraschen.
So stellt mein Spiel sich wohl lebendig dar,
doch bleibt sein Puppenursprung offenbar.[6]
Ausgewählte Ausgaben von
Doktor Faust
|
Buchempfehlung
Die neunzehnjährige Else erfährt in den Ferien auf dem Rückweg vom Tennisplatz vom Konkurs ihres Vaters und wird von ihrer Mutter gebeten, eine große Summe Geld von einem Geschäftsfreund des Vaters zu leihen. Dieser verlangt als Gegenleistung Ungeheuerliches. Else treibt in einem inneren Monolog einer Verzweiflungstat entgegen.
54 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.
428 Seiten, 16.80 Euro