Dritte Scene.

[44] Das Gebirge, Manfreds Schloß in der Ferne. Eine Terrasse vor einem Thurm. Dämmerung.

Hermann. Manuel und andre Diener Manfreds.


HERMANN.

Seltsam genug! – seit Jahren, Nacht um Nacht,

Hielt er in diesem Thurme lange Wachen,[44]

Ohn' alle Zeugen. Ich bin drin gewesen,

Wir alle sind es oft, doch war's unmöglich

Aus ihm und seinem Inhalt sichre Schlüsse

Auf irgend was zu ziehn, wohin sein Forschen

Gerichtet sei. Zwar giebt es eine Kammer,

In welche niemand kommt. Ich gäbe gern

Drei Jahre meines Lohns, um ihr Geheimniß

Ausspähn zu können.

MANUEL.

Solches wär' gefährlich;

Begnüge dich mit dem, was du schon weißt.

HERMANN.

O Manuel, du bist alt und weis' und könntest

Viel sagen. Du hast in dem Schloß gewohnt,

Wie lang ist's her?

MANUEL.

Noch eh' Graf Manfred lebte.

Dem Vater dient' ich schon, dem er nicht gleicht.

HERMANN.

Gar manche Söhne sind in diesem Fall;

Was war ihr Unterschied?

MANUEL.

Ich meine nicht

Gestalt und Züge, sondern Geist und Art.

Graf Sigismund war stolz, doch frei und heiter,

Ein Krieger und ein Zecher; nicht verkehrt' er

Mit Einsamkeit und Büchern, pflog des Nachts

Nicht düstrer Wache, sondern heitren Schmauses,

Noch lust'ger als bei Tag; lief nicht durch Wald

Und Schluchten wie ein Wolf, und mied die Menschen

Und ihre Freuden nicht.

HERMANN.

Verwünscht die Stunde!

Das war vergnügte Zeit! Wann kehrt sie wieder

Für jene alte Mauern? Sieht's nicht aus,

Als hätten sie's vergessen?[45]

MANUEL.

Diese Mauern

Muß erst ein Andrer erben. O, ich sah

Seltsame Dinge, Hermann.

HERMANN.

Komm, sei gut:

Erzähl' mir etwas, um die Wacht zu kürzen.

Ich hörte dich von Dingen dunkel reden,

Die hier geschahn, bei diesem selben Thurm.

MANUEL.

Ja, das war eine Nacht! – Ich weiß es deutlich:

Es war wie jetzt die Dämmerung und solch

Ein Abend. Dort, die rote Wolke lag

Auch damals auf des Eigers Zackenhaupt,

So gleich, als wär's dieselbe noch. Der Wind

Kam schwach und stoßweis', und der Alpenschnee

Begann zu glitzern, wie der Mond heraufkam.

Graf Manfred war, wie jetzt, in seinem Thurm,

Womit beschäftigt, wußte niemand, – mit ihm

Die einzige Gefährtin seines Wachens

Und Wanderns, – sie von allem, was da lebte,

Das Einzige, was er zu lieben schien,

Wie freilich er durch Blut verpflichtet war,

Gräfin Astarte, seine.... Still, wer kömmt?


Der Abt tritt auf.


DER ABT.

Wo ist Graf Manfred?

HERMANN.

Dort, in seinem Thurm.

DER ABT.

Ich muß ihn sehn.

MANUEL.

Es ist unmöglich, Herr.

Er ist in strengster Einsamkeit und läßt

Sich so nicht stören.

DER ABT.

Auf mich selber nehm' ich[46]

Die Folgen meiner Schuld, wenn Schuld es ist.

Ich muß ihn sehn.

HERMANN.

Du sahst ihn diesen Abend

Schon einmal.

DER ABT.

Hermann, ich befehle dir:

Poch' an, und sag' dem Grafen meine Nähe.

HERMANN.

Wir wagen's nicht.

DER ABT.

Es scheint, ich muß der Herold

Des eignen Zweckes sein.

MANUEL.

Halt, frommer Vater!

Ich bitt' Euch, bleibt!

DER ABT.

Was meinst du?

MANUEL.

Geht nur hier;

So will ich alles sagen.

Alle ab.


Quelle:
Lord Byrons Werke. Berlin 1877, Band 4, S. 44-47.
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