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1.
Jetzt will ich ernsthaft werden; – es ist Zeit,
Da Lachen itzo allzu ernst genannt wird
Und alles Spaßen über Sündlichkeit
Von der Moral verboten und verbannt wird:
Traurig zu sein streift an Erhabenheit,
Obwohl es auf die Dauer ennuyant wird;
Drum steig' empor, mein Lied, ernst, geisterhaft,
Wie eines Tempels letzter Säulenschaft.
2.
Die Lady Adeline Amundeville, –
(Der Nam' ist altnormannisch und grassirt
In alten Chroniken, wo grau und still
Der Staub der Gothik sich noch conservirt,)
War vornehm, reich durch Vaters Codicill,
Und schön selbst da, wo Schönheit so florirt,
In England, das, wie jeder Britte preist,
Der beste Boden ist für Fleisch und Geist.
3.
Ich streite nicht, (was nicht mein Steckenpferd ist,)
Und überlasse jedem seine Wahl;
Denn Aug' ist Auge, wenn es nur begehrt ist,
Schwarz oder blau, das ist alsdann egal,
So daß ein Farbenstreit der Müh' nicht wert ist;
Das freundlichste, das ist mein Ideal.
Zu sehn, daß Fraun nicht hübsch, ist überhaupt
Vor dreißig einem Manne nicht erlaubt.
[171]
4.
Nach dieser heitren, etwas faden Frist,
Der schlimmen Ecke, wo's zu stillren Tagen
Abbiegt, wo unser Mond kein Vollmond ist,
Darfst du zu loben und zu tadeln wagen,
Weil du alsdann ein Freund der Weisheit bist,
Weil deine Pulse dann gleichgültig schlagen,
Weil Taille, Antlitz und dergleichen Sachen
Dir winken, jüngern Leuten Platz zu machen.
5.
Ich weiß wohl, ihr verschöbt gern diese Aera,
Wie ein Minister zögernd resignirt;
Indessen der Versuch ist nur »Chimära«,
Die Aequinoctien-Linie ist passirt.
Indeß, ihr habt nun Portwein und Madeira,
Wenn euch die Dürre des Verfalls genirt,
Und Grafschaftstage, Parlament und Schulden
Und was nicht alles noch als Trost im Dulden.
6.
Und habt ihr nicht Reform, Religion,
Des Staates Steuer und des Volks Besteurung,
Das sogenannte Wohl der Nation,
Krieg, Frieden, Börsenspiel, Landkäufe, Theurung?
Anstatt der Liebe, dieser Vision,
Habt ihr den Haß nicht als solide Feurung?
Haß ist die längste Freude, die es gibt;
Gehaßt wird langsam, aber schnell geliebt.
7.
Johnson, der derbe Moralist, gestand,
»Er habe den rechtschaffnen Hasser gern,«
Die einz'ge Wahrheit, die in unserm Land
(Wenn's nicht ein Spaß war von dem alten Herrn)
Seit tausend Jahren ihr Bekenntniß fand.
Was mich betrifft, ich schaue zu von fern
Und seh' das Leben, nobeles und schofeles,
Etwa so an wie Goethe's Mephistopheles.
[172]
8.
Ich liebe nicht und hasse nicht unbändig;
Ich that es einst. Ich spotte nur bisweilen,
Weil ich's nicht lassen kann; es ist notwendig
Und paßt mir dann und wann beim Versefeilen.
Ich machte herzlich gern die Welt verständig
Und tugendhaft, statt Hiebe auszutheilen,
Nur zeigt Cervantes' allzu wahres Buch,
Es wär' ein ganz vergeblicher Versuch.
9.
Ein traurig Buch und doppelt trauervoll,
Weil's uns zu lächeln zwingt. Sein Held hat Recht
Und sucht nur Recht. Daß Frevel büßen soll,
Sein einzig Ziel, sein Lohn ein stet Gefecht
Mit Vielen. Seine Tugend macht ihn toll,
Jedoch bei seinen Leiden wird mir schlecht.
Trübsel'ge Wahrheit, die es klar gemacht hat,
Dies ächte Epos, jedem, der gedacht hat!
10.
Das Unrecht züchtigen, dem Frevel wehren,
Der Jungfrau Hort, der Schreck des Schlechten sein,
Einzeln der Uebermacht den Krieg erklären,
Hülfloses Volk vom fremden Joch befrein, –
Ist solcher Adel denn, wie alte Mären,
Nichts als ein Stoff für Dichters Spielerein?
Der Durst nach Ehr' ein Rätsel und ein Spott?
Sokrates selbst der Weisheit Donquichotte?
11.
Cervantes scherzte Spaniens Ritter fort,
Ein Lachen lähmte seines Landes Arm,
Und seit der Zeit sind Helden selten dort.
Einst wich die Welt vor Spaniens Ritterschwarm,
So lang ihm Ehre galt als Losungswort;
Und folglich that sein Werk so großen Harm,
Daß aller Ruhm, den es als Buch errang,
Erkauft ward durch Alt-Spaniens Untergang.
[173]
12.
Doch ich vergaß mich wieder und beinah
Auch Lady Adeline Amundeville,
Die schlimmste Circe, die Juan noch sah;
Womit ich sie durchaus nicht schmähen will,
Nein, Schicksal – (das Geschick entschuldigt ja
Den bösen Willen,) – fing sie leis' und still
In seinem Netz; fängt dies nicht alles rings?
Ich bin kein Oedipus für diese Sphinx.
13.
Ich will hier schlicht erzählen, aber nicht
An Rätsel mich versuchen: »Davus sum!«
Und fahre demnach fort in dem Bericht.
Die Lady war im lust'gen Weltgesumm
Die Bienenkönigin, ein strahlend Licht;
Sie machte Herrn beredt und Weiber stumm.
Das letztre ist und galt für ein Mirakel,
Und niemals wieder sah man solch Spectakel.
14.
Keusch war sie, (was die Schmähsucht störend fand,)
Vermählt, sie hatt' auch ihren Gatten lieb;
Er war im Rat des Landes wohl bekannt,
Kühl, englisch, bombenfest wie ein Princip,
Obwohl er dann und wann in Flammen stand,
Stolz auf sich selbst und sie. Kein Makel blieb
An Beiden haften; fest zu schirmen schien
Die Tugend sie und Selbstbewußtsein ihn.
15.
Die diplomatischen Geschäfte brachten
Ihn häufig in Berührung mit Juan;
Er pflegte äußres Blendwerk zu verachten,
Er war ein stolzer und verschlossner Mann;
Juans Talent, Geduld und Jugend machten
Indeß doch Eindruck; nach und nach begann
Die Achtung, die bei Männern mit der Zeit
Das reift, was »Freundschaft« heißt aus Höflichkeit.
[174]
16.
Lord Henry war behutsam und gemessen,
Wann es ein Urtheil über Menschen galt,
Doch hatt' er einmal zu Gericht gesessen,
Dann hatt' er auch in Lieb' und Haß alsbald
Den ganzen Eigensinn des Stolzes, dessen
Hochmüt'ge Flut ohn' alle Ebbe wallt,
Der jeden Rat verschmäht und haßt und liebt,
Weil's seiner Weisheit einmal so beliebt.
17.
Sein Groll wie seine Freundschaft trotzten jeder
Abänderung, (sie waren oft begründet
Und desto blinder,) wie das Recht der Meder
Nie abgeschafft ward, wenn einmal verkündet.
Er kannte nicht das Fieber, Hitze weder
Noch Frost, das andre Menschen heut verbündet
Und morgen trennt, das ew'ge Wechselfieber,
Das wir bejammern, statt zu lachen lieber.
18.
»Das Glück zu lenken haben wir nicht Macht;
Du thue mehr, Sempron, verdien' es – nicht,«
Und glaube mir, es wird dir doch gebracht.
Sei schlau, sei wachsam, thu', was Klugheit spricht,
Und wird der Druck zu stark, so drück' dich sacht;
Und dein Gewissen? mach' es zäh und dicht,
Dann, wie trainirte Boxer oder Pferde,
Wird's Wunder thun und ohne viel Beschwerde.
19.
Lord Henry liebt' es Nummer Eins zu sein;
Dies ist ein Wunsch, der Groß und Klein regiert:
Der Zwerg selbst findet, sei er noch so klein,
Den Kleinren, dem er mächtig imponirt.
Nichts macht so mürbe wie die Last und Pein
Einsamen Stolzes, und der Mensch halbirt
Die Bürde gern, von Edelmut geleitet,
Das heißt, der Andre trägt, er selber reitet.
[175]
20.
Mit Rang und Reichthum konnt' er sich nicht spreizen,
Da hierin Don Juan ihm nahe stand;
Die Jahre schmückten ihn mit reifren Reizen,
Und dann, er hatt' ein bessres Vaterland,
Alt-England, wo wir Zung' und Schrift befreit sehn,
Ein Glück, das kein modernes Volk noch fand;
Lord Henry sprach im Parlamente gern
Bis in die Nacht wie wenig andre Herrn.
21.
Das hob ihn, und er bildete sich ein,
(Dies war sein schwacher Punkt,) in die Mysterien
Des Hofs vor Andern eingeweiht zu sein,
Er trat einmal in eins der Ministerien,)
Und suchte wieder Andre einzuweihn;
Am meisten aber glänzt' er nach den Ferien,
Wann alles sich zum Kampf gerüstet hat,
Stets Patriot und manchmal Candidat.
22.
Des Spaniers Feinheit schien ihn zu bestechen;
Er mußte diesen jugendlichen Weisen,
Der tactvoll nachgab, dessen Widersprechen
Wie stolze Demut klang, gar höchlich preisen.
Als Mann von Welt gab er nicht viel auf Schwächen,
Die oft des Bodens Güte nur beweisen,
Wofern das Unkraut nur des Frühlings Dauer
Nicht überlebt, – hernach wird Jäten sauer.
23.
Sie sprachen mit einander von Madrid,
Constantinopel und noch manchem Ort
Wo alles, was der Herr befiehlt, geschieht,
(Verbotnes auch, doch thun sie's hübscher dort.)
Auch sprachen sie von Pferden: Henry ritt
Sehr gut, nach Brittenart, und liebte »Sport«
Als ächter Andalusier ritt Juan
Sein Roß so stramm wie Russen ein Tyrann.
[176]
24.
Und also bei Diners und im Salon
Wuchs die Bekanntschaft, und der Spanier war
Mit beiden Seiten Freund, wie ein Maçon
Von höhrem Grad. Er hatte offenbar
Sehr viel Talent und fast noch mehr Applomb,
Man sah, daß eine Lady ihn gebar,
Und Jedermann lädt gerne den zu Gast,
Dessen Cultur zu seinem Range paßt.
25.
Am Platz N.N., – ich nenne keine Namen,
Die Welt ist so mechant und voll Verdacht
Und sät mir Lolch in meinen Weizensamen
Und erntet Ding', an die ich nie gedacht,
Anspielungen auf Herren oder Damen,
Die Aufsehn machen oder einst gemacht; –
Und so erklär' ich laut und bündig denn,
Lord Henry wohnte an dem Platz N.N.
26.
Ein frommer Grund, der mich veranlaßt hat
Die Plätz' und Straßen anonym zu machen,
Ist dieser: fast alljährlich in der That
Sieht man ein stolzes Haus zusammenkrachen
Durch Herzerschüttrung, häuslichen Verrat,
Worüber dann die Schadenfrohen lachen;
Nun könnt' ich arglos gegen so eins rennen,
Denn wer kann just die keuschen Straßen kennen?
27.
Für Piccadilly könnt' ich mich entscheiden,
Denn da sind peccadillos unbekannt;
Doch hab' ich Gründe diesen Platz zu meiden,
Dies reine Heiligthum am Themsestrand.
Nicht Platz noch Straße nenn' ich, keins von beiden,
Bis man mir eine zeigt, von der das Land
Nichts Böses weiß, so eine sittsam zarte
Wie – – aber ich verlor die Londoner Karte.
[177]
28.
Am Platz N.N. war also unser Held
Ein recherchirter Gast, mit einer Schar
Von jungen Sprossen einer höhern Welt,
Nebst Ein'gen, deren Witz ihr Wappen war.
Noch Andre hatten nur den Freipaß Geld,
Vielleicht nur Mode, – Mod' empfiehlt sogar
Am allerbesten; Anzug ohne Tadel
Ersetzt sehr häufig Reichthum, Witz und Adel.
29.
»Viel Rat viel Sicherheit,« sagt Salomo,
Er selber oder irgend sonst ein Mann,
In weisem Pred'gerton. Auch ist es so,
Wir treffen die Beweise täglich an
In jedem Wortkampf, Parlament, Barreau,
Wo collective Weisheit prunken kann:
Dies war, so viel wir sehn, die einz'ge Brücke
Zu Englands gegenwärt'gem Flor und Glücke.
30.
Wie wir für Männer »Sicherheit« erblicken
In vielem Rat, so hindert viel Verkehr
Die Tugend unsrer Weiber einzunicken,
Denn wankt sie auch, so fällt die Wahl doch schwer;
Die Auswahl selbst wird die Gefahr ersticken.
Wo Klippen sind, da wacht der Lootse sehr,
So auch die Fraun; und hört ihr's auch nicht gern,
»Sicherheit« ist in vielen süßen Herrn.
31.
Die Tugend Lady Adelines entbehrte
Zwar solcher Schutzwehr leicht, die der Moral
Viel raubt von ihrem eigentlichen Werte.
Ihr hoher Geist dient' ihr als Schild und Stahl,
Ein Geist, der sie die Welt taxiren lehrte.
Kokett war sie auch nicht im Traum einmal,
Die sichren Huldigungen machten schwachen
Eindruck auf sie, wie altgewohnte Sachen.
[178]
32.
Verbindlich gegen Jedermann, erwies
Sie Ein'gen jene Art Aufmerksamkeit,
Die schmeichelt; doch ihr Schmeicheln hinterließ
Nie eine Spur von dem, was einer Maid
Und Frau unwürdig ist. Vielmehr war dies
Des Herzens ächte, stille Höflichkeit
Für Männer, die ihr viel Respect einflößten,
Um armen Ruhm für seinen Ruhm zu trösten,
33.
Der doch im Grunde (außer dann und wann)
Trostlose Last ist. Mustert eure hohen
Gepries'nen Heldenschatten, Mann für Mann,
Die Puppenschau der Ehre, die Heroen
Ruhmwürdiger Verfolgung, – schaut sie an,
Die glücklichsten, und in den Flammenlohen
Der Abendglorien über Lorberkränzen
Was seht ihr? – goldnen Nebel seht ihr glänzen.
34.
Natürlich hatte Lady Adeline
Die vornehm kühle Art und Politur,
Die nie mit Worten oder Blick und Miene
Hinausfährt in die Zone der Natur;
Gerade so wie China's Mandarine
Nie etwas loben, nie durch äußre Spur
Verraten, daß sie außer sich gewesen, –
Wir borgten dies vielleicht von den Chinesen,
35.
Vielleicht von Flaccus; sein Nil admirari
Galt ihm für Kunst der ird'schen Seligkeit,
Doch diese Kunst steht ewig unter pari,
Die Künstler selbst sind unter sich entzweit.
Vorsicht indeß ist gut, so viel bleibt wahr hie,
Gleichgültigkeit bringt wenigstens kein Leid,
Und Enthusiasmus würd' in feinen Kreisen
Einfach »Betrunkenheit der Seele« heißen.
[179]
36.
Gleichgültigkeit lag unsrer Lady fern;
Jetzt ein Gemeinplatz! – denn wie unterm Schnee
Die Lava des Vulkans als glüh'nder Kern
Et cetera. Soll ich weiter? Ich gesteh',
Ein abgehetztes Bild jag' ich nicht gern;
Darum, du oft gebrauchte Lava, geh!
Das arme Ding! wir haben sie (ich auch)
So oft geschürt, daß man erstickt im Rauch.
37.
Ich hab' im Nu ein andres Gleichniß, – warte!
'ne Flasche voll Champagner, das ist gut,
Die ganz zu süßem Traubeneis erstarrte!
Erfroren ist des Götterregens Flut,
Und bloß im tiefsten Mittelpunkt verharrte
Ein unbezahlbar Glas der flüss'gen Glut,
Weit stärker als der stärksten Traube Saft
In seiner ungebundnen freien Kraft;
38.
Die Quintessenz des Geistes! Concentrirt
Verbirgt sich manchmal hinter kaltem Scheine
Geheimer Nectar, dessen Flut gefriert.
Und so sind Viel', obwohl ich sie nur meine,
Die diese Sittenlehren illustrirt,
(Denn meine Mus' ist lehrhaft, wie wohl keine,)
Und kalte Menschen sind die schlimmsten nicht,
Sobald nur ihr verwünschtes Eis erst bricht.
39.
Doch ist es immer die Nordwestpassage
Nach Indien, nach der Seele Tropenland;
Wie manches Schiff mit wackrer Equipage
Fuhr nach dem Pole, den noch keines fand,
(Parry indeß verliert nicht die Courage,) –
So rennen manche Herrn auch auf den Strand,
Denn, ist der Pol nicht frei, ist er gefroren,
(Was vorkömmt,) dann ist Schiff und Fahrt verloren.
[180]
40.
Der junge Neuling kreuze sacht herum,
Bis er die »Frauensee« genau studirt,
Und wer kein Neuling ist, der kehre um,
Bevor die Zeit ihm selbst signalisirt
Mit grauer Flagg': und das Präteritum,
Das trübe »Fuimus« wird conjugirt,
Indeß des Lebens dünner Zwirn verschleißt,
Der Erbe lauert und die Gicht uns beißt.
41.
Der Himmel will sein Späßchen: angenehm
Sind seine Späße nicht, – na, einerlei!
Die Welt ist's doch schon wert, auch ist's bequem,
Daß man sich sagt, daß alles lieblich sei;
Und dann, des Persers teuflisches System
Mit zwei Principien ist so wenig frei
Von Zweifeln, wie die erste beste Lehrart,
Die je uns seltsam vorkam oder sehr hart.
42.
Der Winter Englands, der im Juli endet
Und im August beginnt, war jetzt entflohn.
Dann rollen Räder, alles flieht und wendet
Der Stadt den Rücken, – juble Postillon!
Dem Postgaul wird kein Mitgefühl gespendet,
Das braucht der Mensch für sich und seinen Sohn,
Es sei denn, daß auf Universitäten
Besagte Söhne zu viel Geld verthäten.
43.
Der Winter Londons reicht bis Julius,
Zuweilen endet er noch etwas später,
Und wenn mein Genius manchmal straucheln muß,
Hier geht er sicher, dieses Fach versteht er,
Er ist ein großer Wetterologus.
Das Parlament ist unser Barometer,
Und – Radicale mögen andres ändern, –
Die Sessionen werden zu Kalendern.
[181]
44.
Und kaum zeigt ihr Quecksilber Null, halloh!
Gig, Kutsche, Sack und Pack, es rollt hinaus!
Ein Rädersturm von Carlton bis Soho, –
Wohl dem, der noch Postpferde trifft zu Haus!
Die Straßen glühn von Staub, und Rotten Row
Ruht vom modernen Ritterglanz nun aus;
Die Gläub'ger seufzen, während Peitschen rasen,
Lang war die Rechnung, länger sind die Nasen.
45.
Sie und die Rechnung, »beid' Arkadier«, harren
Auf nächste Session, (vielleicht April!)
Ach, ohne bares Geld, was bleibt dem Narren
Für Hoffnung? – Hoffnung, ei so viel er will;
Vielleicht sogar nach Bücklingen und Scharren
Ein ritterlich und lang Accept, das still
Verschachert wird, wobei die Juden schneiden;
Auch bleibt der Trost noch, doppelt anzukreiden.
46.
Doch dies sind Lumperein. Da rollt Mylord,
Nickend bei seiner Lady in dem Wagen.
Dahin! dahin! – Umspann! – Sie wechseln dort
Pferde wie Herzen nach den Flittertagen.
Der Wirt bringt kleines Geld. »Behaltet's! – fort!«
Der Postillon hat auch nicht Grund zu klagen;
Doch eh' es weiter geht im Sturmgesause,
Ruft sein »Gedenke mein!« der Knecht vom Hause.
47.
Auf dem Bedientensitz, schmuck wie ein Dandy,
Wiegt sich der noble Diener nobler Herrn,
Mylady's Jungfer auch, – kein Dichter kann die
Beschreiben, so modest und so modern!
Ja, ja, »così viaggino i grandi,« –
Verzeiht dies fremde Zeug, – man zeigt doch gern,
Daß man gereist ist, und was profitiren
Wir auf der Reis' als Kritteln und Citiren?
[182]
48.
Der Londoner Winter war zu Ende fast,
Des Landes Sommer auch. Es ist wohl Schade,
Wann die Natur ein Kleid trägt, das ihr paßt,
Schwitzt man in Londons schwülem, dumpfem Bade,
Und wann die Lerche singt, geht man zu Gast
Bei Rednern, nicht den weisesten gerade,
Bei Patrioten, die ihr »Land« vergaßen,
Denn vor September schießt man keine Hasen.
49.
Die Welt war fort, das heißt die drei, vier Tausend,
Für welche Gott die Welt geschaffen hat.
Die Welt war auf dem Lande, »einsam« hausend,
Das heißt mit dreißig Dienern, großem Staat
Und vielen Gästen, täglich tüchtig schmausend, –
Die Tafel seufzt für jeden, der da naht.
Sagt nicht, Alt-Englands Gastfreiheit verblühte,
Die Masse condensirt sich bloß zur Güte.
50.
Lord Henry fuhr mit seiner edlen Frau,
Wie alle Andern, welche edel waren,
Nach seinem Schlosse, einem Babelbau,
Von Gothen aufgethürmt vor tausend Jahren.
Sein Adel nämlich war höchst altersgrau,
Vererbt von schönsten Fraun und Heldenscharen;
Ein Eichwald, alt wie sein Geschlecht war, gab
Von Ahnherrn Kunde, – jeder Baum ein Grab.
51.
In allen Blättern ward die Reis' alsbald
Der Welt erzählt. Das ist moderner Ruhm,
Der leider keine andre Stütz' und Halt
Besitzt als diese Art Schriftstellerthum;
Die Dinte trocknet und der Schall wird kalt.
Die »Morning Post« verriet dem Publicum,
»Daß sich Lord H. Amundeville so eben
Mit seiner Lady auf sein Schloß begeben.«
[183]
52.
»Wir hören, daß zum Herbst der edle Wirt
Dort eine größre auserlesne Zahl
Vornehmer Freunde bei sich sehen wird,
Auch daß der Herzog D – – dort dieses Mal
Zur Jagd eintrifft, wenn das Gerücht nicht irrt,
Nebst Andern, welche Rang und Mod' empfahl,
Wie auch ein Fremder von Distinction,
Chef der geheimen russischen Mission.«
53.
Und so – ein Zweifel ist ja nicht erlaubt;
Denn was die »Post« sagt, wird von allen Weisen
Wie unser kirchlich Credo fest geglaubt, –
So sehen wir Juan in jenen Kreisen,
Die, angeglänzt von Henry's Strahlenhaupt,
Wie Pope es ausdrückt, »höchst verwegen speisen«.
Seltsam, im letzten Kriege discutirte
Man mehr Diners als Todte und Blessirte.
54.
Zum Beispiel: »Dies solenne Tractament
Beehrten A.B.C. –« Herzöge, Grafen,
Pomphaft genannt, wie wenn man Sieger nennt.
Und gleich darauf, nach ein'gen Paragraphen:
»Falmouth. Wir sahn das tapfre Regiment
Piff-Paff vor ein'ger Zeit in unserm Hafen,
Das leider stark gelitten hatte. Jetzt
Sind aber die Vacanzen neu besetzt.«
55.
Gen »Norman-Abbey« rollt das edle Paar; –
Ein altes, altes Kloster einst und jetzt
Noch ältres Schloß. Der Stil ist reich und rar,
Gemischtes Gothisch, das so unverletzt
Nur selten vorkömmt. Das Gebäude war
Vielleicht ein bischen niedrig hingesetzt;
Die Mönche wollten's an den Hügel stützen,
Um ihre Andacht vor den Wind zu schützen.
[184]
56.
Es stand umschmiegt von einem sel'gen Thal
Mit stolzem Hochwald; die Druideneiche
Breitarmig trotzte dort dem Wetterstrahl
Wie einst Caractacus dem Römerstreiche.
Und durch das Grün zum frühen frischen Mahl
Kam das gefleckte Volk der Waldesreiche,
Breithörn'ge Hirsche tranken mit dem Rudel
Im Bach, und wie ein Vogel sang der Sprudel.
57.
Ein weiter See lag vor des Schlosses Thor.
Durchsichtig, leuchtend, tief, mit frischer Flut
Gespeist vom Strom, der leise sich verlor,
Wo ausgedehnt das stillre Wasser ruht.
Da baut das Wasserhuhn in Schilf und Rohr
Sein schwimmend Nest für seine junge Brut.
Der Wald kam bis ans Ufer, dunkel nickend,
Mit grünem Antlitz auf die Fluten blickend.
58.
Der Abfluß braust' in springender Cascade,
Schaumfunkelnd. Aber wie ein Säugling trinkend
Allmählich still wird, also, nachgerade
Aus wildem Lärm in Flüsterton versinkend,
Glitt er als Bach auf vielgekrümmtem Pfade
Und schlich beruhigt, bald versteckt, bald blinkend,
Sich durch den Wald, nun silbern, nun azuren,
Wann drüber hin die Wolkenschatten fuhren.
59.
Seitwärts ein stolz und gothisch Denkmal stand
Aus Zeiten, die von Ketzern nichts gewußt,
Ein hehrer Bogen, einst des Münsters Wand;
Das letztre fiel, für Künstler ein Verlust,
Der erstre schaute finster noch ins Land,
Wehmut erweckend in der rauhsten Brust;
Der Stürme Wut, die Macht der Zeit beklagte,
Wer die Ruine sah, die einsam ragte.
[185]
60.
Zwölf Heil'ge hatten droben einst gestanden
In einer Nische, nah dem Giebelfries;
Sie fielen mit dem Kloster nicht, sie schwanden
In jenem Krieg, der Karl vom Throne stieß,
Als jedes Haus Burg war in diesen Landen
Und mancher Cavalier sein Alles ließ,
Um sich vergebens für die Herrn zu schlagen,
Die weder herschen konnten noch entsagen.
61.
Noch höher aber, hehr und einsam, stand
Die Himmelsjungfrau, die ihr göttlich Kind
Am Herzen trug auf benedeiter Hand,
Allein verschont, wo sonst nur Trümmer sind,
Und ihr zu Füßen schien geweiht der Sand.
Wär' dies auch Aberglaube, blöd und blind,
Gleichviel, der Schutt, in welchen Tempel sanken,
Wem auch geweiht, birgt göttliche Gedanken.
62.
Hoch ragt des Fensters Wölbung in der Mauer,
Des Glases tausend Farben nur vergingen,
Durch die der Strom des Lichts, ein Glutenschauer,
Einst niederfloß wie Glanz von Seraphsschwingen.
Nun klafft es öde; sanfter bald, bald rauher
Streicht durch den Spalt der Wind, die Eulen singen
Ihr Klagelied, wo des Altares Stiegen
Mit ihren Hallelujah's schweigend liegen.
63.
Nur wann der Mond am höchsten steht und wann
Der Wind von einem Punkte kömmt geflogen,
Seufzt dort ein wundersamer Ton, der dann
Musik ist. Schwellend durch den hohen Bogen,
Wie Sterbeklage, schwebt es sanft heran:
Und Ein'ge meinen, Widerhall der Wogen
Im Nachtwind schwebe her vom Wasserfalle,
Der wie Musik im alten Chorbau schalle.
[186]
64.
Nach Andern ist's ein Zufall der Gestalt,
Der diesem Bau die Zauberstimme lieh.
Wie einst am Nil des Sonnenstrahls Gewalt
Dem Memnonbilde Harfenmelodie
Entlockte, also über Thurm und Wald,
Klar aber deutlich schwebt die Harmonie.
Die Ursach kenn' ich nicht; des Zufalls Spiel
Ist aber so, – ich hört' es – einst zu viel.
65.
Im Hofraum stand ein gothisch Brunnenhaus,
Symmetrisch, überdeckt mit Bildnerzier,
Seltsame Larven, Schnörkel bunt und kraus,
Und Märtyrer und fabelhaft Gethier.
Granitne Rachen spien den Sprudel aus,
Der funkelnd in die Becken sprang, um hier
In tausend Blasen plätschernd zu versprühen
Wie unser eitler Ruhm und eitles Mühen.
66.
Das Schloß war colossal, von Alter grau,
Und mehr vom Klösterlichen war bewahrt
Als anderswo, – des Refectoriums Bau,
Der Kreuzgang, wo sich Zell' an Zelle schart,
Und unbeschädigt diente noch zur Schau
Die zierlichste Kapelle, fein und zart.
Der Rest, erneuert, umgebaut zum Wohnen,
Sprach weniger von Mönchen als Baronen.
67.
Enorme Säle, Gallerien und Hallen,
Vermählt in nicht ganz kunstgerechten Ehen,
Die strengen Kritikern vielleicht misfallen;
Das Ganz' indeß, trotz einzelner Vergehen,
Macht einen grandiosen Eindruck Allen,
Die mit den Augen ihres Herzens sehen;
Bei Riesen schaut man erst auf ihre Größe
Und sucht nicht gleich die Mängel und Verstöße.
[187]
68.
Von Wänden blickten stählerne Barone,
Bis das Geschlecht zu seidnen Herrn erschlaffte,
Geschmückt mit Knieband und mit Grafenkrone,
Und blonder Fräulein zarte, mädchenhafte
Gesichter, auch manch gräfliche Matrone
Mit Perlgeschmeiden in gebauschtem Tafte,
Und manche leicht bekleidete Beauté ließ
Sich selbst bewundern und den Pinsel Lely's.
69.
Richter in höchst furchtbaren Hermelinen,
Mit Augenbrauen, die dem Inculpaten
Das Wort »Gewalt vor Recht« zu deuten schienen,
Befanden sich daselbst, wie auch Prälaten,
(Die Welt hat keine Predigten von ihnen,)
Und Reichsfiscale, grimm'ge Advocaten,
Auf deren Stirne streng und imposant
»Sternkammer« mehr als »Habeas corpus« stand.
70.
Feldherren, theils in blanken Panzerstücken,
(Aus Eisenzeiten, eh' Bleistücke flogen,)
Theils auch in Marlboroughs trotz'gen Wolkenprücken,
Die mehr als zwölf moderne Atzeln wogen;
Hofherrn mit goldnen Schlüsseln auf dem Rücken,
Nimrods auf Gäulen, die kaum ins Tableau gehn;
Auch hie und da ein finstrer Patriot,
Der nicht das Amt bekam, auf das er bot.
71.
Doch ab und an, wenn wir uns müde sahn
An diesem hochfeudalen Ahnenkranz,
Strahlt' uns ein Dolce oder Tizian,
Albano's Knaben schwangen sich im Tanz,
Salvator drohte, und der Ocean
Lag schwimmend da in Vernet's Wellenglanz,
Und Spagnoletto schien der Märtrer Qualen
Mit allem Blut der Heiligen zu malen.
[188]
72.
Hier breiteten sich Claude's holde Aun,
Dort machte Rembrandt Finsterniß wie Licht;
Des düstren Caravaggio düstres Braun
Broncirte finstrer Büßer welk Gesicht.
Doch sieh! ein Teniers läßt ein Bild uns schaun,
Das unserm Auge bessern Spaß verspricht:
Sein Kelchglas könnte mich zum Dänen einweihn,
Was Durst betrifft, – he! eine Flasche Rheinwein!
73.
O Leser, wenn ihr lesen könnt, (und wißt,
Wer buchstabiren, ja wer lesen kann,
Ist darum noch kein Leser; dazu ist
Noch viel erforderlich: erstlich, fangt an
Mit dem Beginn, – was man schon leicht vergißt; –
Und zweitens, fahret fort; und drittens dann
Beginnt nicht mit dem Ende, oder, muß
Es sein, so macht mit dem Beginn den Schluß.)
74.
O Leser, ihr habt viel Geduld bewiesen,
Als, aller Sorg' um Reim' und Richter bar,
Ich Gärten und Gebäude angepriesen,
Als schrieb' ich für Apoll ein Inventar.
Dergleichen schrieben Dichter auch vor diesem,
Homer hat ja ein Schiffsregister gar;
Indessen ein Moderner muß modest sein,
Drum lass' ich Möbel, Silberzeug und Rest sein.
75.
Der gelbe Herbst kam, mit dem Herbst zugleich
Die edlen Gäste, die den Herbst genießen.
Das Korn ist weg, der Wildstand überreich,
Der Spürhund sucht, rotröckige Schützen schließen
Die Koppel ein und zielen Luchsen gleich;
Voll sind die Taschen, wundervoll das Schießen.
O braune Hühner! schillernde Fasanen!
Gott schuf euch nicht für Wilddieb' ohne Ahnen.
[189]
76.
Der Herbst in England hat zwar keine Spur
Von Reben, die bacchantisch in Girlanden
Die roten Trauben über Weg und Flur
Hintragen in des Liedes sonn'gen Landen;
Wohl aber hat er duftigen Latour
Und würzigen Madeira bar erstanden,
Und wenn der Britte klagen will, so stell' er
Sich tröstlich vor, sein Weinberg sei der Keller.
77.
Zwar, Englands Herbst entbehrt der heitren Pracht,
Die mir des Südens Herbsttag oft versüßte,
Als ob er sterbend nicht die Winternacht,
Nein, einen neuen Frühling schon begrüßte.
Er hat an Stubenfreuden einen Schacht,
Steinkohlenfeuerung, »des Jahres frühste,«
Und auch im Freien darf er concuriren,
Er siegt durch Gelb, da mag denn Grün verlieren.
78.
Und statt der weibischen Villeggiatura's
(Wo's Hörner giebt statt Hunde) hat der Britte
Die Hetzjagd, die mit Peitschenknall und Hurrah's
Selbst Heil'ge locken kann zum lust'gen Ritte.
Nimrod vergäße selbst die Ebnen Dura's
In dieser rotberockten Reiter Mitte;
Zwar irrt' er, wenn er Tiger suchen wollte,
Doch giebt es »Löwen,« die man jagen sollte.
79.
Der edle Kreis der Gäst' in Norman-Abbey
Umfaßte – (Damen geben wir den Pas) –
Die Herzogin Fitz-Fuke, die Gräfin Crabbey,
Die Ladies Simple, Quicky, Miß Eclat,
Miß Bombassin, Miß Macwatt, Miß O'Tabby,
Frau Rabbi, des Banquiers steinreiche Squaw,
Und die Sehr Ehrenwerte Mistreß Slaf,
Die weiß wie n' Lamm war, doch ein swarzes Schaf.
[190]
80.
Sodann, die »Laug'« und »Crême« größrer Haufen,
Gräfinnen, die »so, so,« doch vornehm sind
Und durch die Welt fromm und geläutert laufen,
Wie Wasser abgeklärt ins Becken rinnt,
Wie Banken ein Papier »Pfund Sterling« taufen.
Der Freipaß macht die Augen Aller blind
Für das und die Passirte. Adelsstand
Ist nicht bloß fromm, er ist auch tolerant.
81.
Das heißt, er ist es nur bis zu dem einen
Gewissen Punkt, den richtig zu punktiren
Sehr schwierig ist; die höhren Stände scheinen
Ihn nach dem äußern Schein zu reguliren:
Wenn erst das Volk die Hexe wirft mit Steinen,
Dann wird Medea Jasons Schutz verlieren.
Sehr fein trifft diesen Punkt Horaz und Pulci:
»Omne tulit punctum, quae miscuit utile dulci.«
82.
Ein Rechtsprincip entdeck' ich freilich nicht;
Das Ganze ähnelt stark dem Lottospiel.
Manch wackre Frau lebt, die dem Strafgericht
Verschworner Coterien zum Opfer fiel,
Indessen manch weiblicher Bösewicht
Sich tapfer durchbeißt, bis sie thront am Ziel,
In lichten Höhn, wo sie als »Siria« blitzt,
Von narbenlosen Glossen kaum geritzt.
83.
Ich sah es und noch mehr. Nun laßt uns sehn,
Was noch für Gäst' in unserm Kreis' erschienen.
Er mocht' aus ein'gen Dreißigen bestehn,
Nur höchste Kaste, des bon ton Braminen.
Ich nannte schon ein Paar, was bloß geschehn,
Weil es der Reim so fügte. Unter ihnen
Befand sich eine irische Partie
Von der bekannten Gattung »Absentee«.
[191]
84.
Da war Parolles der große Duellist,
Das heißt im Parlament und vor Gericht;
Denn wenn er sonst wohin geladen ist,
So merkt man, daß er lieber schimpft als ficht.
Auch Reimzwack kam, der junge Belletrist,
Ein neu erschienenes Sechswochenlicht;
Lord Pyrrho auch, Freigeist und kühner Sprecher,
Und Sir John Bottledeep, der große Zecher;
85.
Der Herzog von Saint Null, der – Herzog war,
Ein Herzog »jeder Zoll«; sodann zwölf Pairs,
Wie Kaiser Karls, und Pairs so offenbar
Von Hirn und Mienen, ganz unmöglich wär's
Für Bürger sie zu halten; eine Schar
Von süßen Fräulein, sechs Miß Sauerbeer's,
Ganz Lieb' und Lied, voll zarter Passionen
Für Klöster wen'ger als für Grafenkronen;
86.
Vier »Ehrenwerte« Herren, deren Ehre
Mehr vor als hinter ihrem Namen stand;
Sodann le preux Chevalier de Chimère,
Aus Frankreich kommend an Fortunens Hand;
Amusement war seines Lebens Lehre,
Die mancher Club indeß recht ernsthaft fand;
Denn seines Umgangs Zauber war so groß,
Die Würfel selbst behext' er durch Bonmots.
87.
Da war Dick Dubious, der große Denker,
Der gerne grübelt' und noch lieber praßte.
Sir Henry Silvercup, der Rosselenker
Und Held der Pferderennen, kam zu Gaste
Mit Hochehrwürden Jeremias Stenker,
Der mehr die Sünder als die Sünde haßte,
Und Lord Augustus Fitz-Plantagenet,
Der nie piquant war außer beim Piquet.
[192]
88.
Dann Jack Jargon, Gigant und Gardejäger,
Und der berühmte Oberst Feuerfraß,
Ein großer Taktiker und großer Schläger,
Der so viel Yankees todtschlug wie er aß;
Und Jeffries Hart aus Wales, des Rechtes Pfleger,
Ein Richter, welcher stets durch einen Spaß
Die Delinquenten aufzuheitern wußte,
Wenn er sie leider condemniren mußte.
89.
Ein Schachspiel ist die Welt, von der ich singe,
Mit König, Springern, Läufern, Offizieren;
Auch eine Puppenbühne gleicht dem Dinge,
Auf der die Puppen selbst den Draht regieren.
Ach, meine Muse, gleich dem Schmetterlinge,
Fliegt ziel- und stachellos im Blau spazieren
Und senkt sich selten, – wär' sie eine Wespe,
Die Laster würden zittern wie die Espe.
90.
Fast hätt' ich einen Redner ganz vergessen.
Den letzten aller Redner der Session;
Zum ersten Mal, seit er im Haus gesessen,
Hatt' er gesprochen, glatt, mit sichrem Ton,
Und nun erzählten alle Zeitungspressen,
Daß diese Rede große Sensation
Gemacht; sie sei die beste Jungfernrede,
Die je gehört sei, – wie bekanntlich jede.
91.
Stolz auf die »Hört's« und stolz auf sein Votiren,
Stolz auf die Jungfernschaft, die nun entfloh,
Gelehrt, (genug gerad' um zu citiren),
An Ruf bereits ein kleiner Cicero,
Mit trefflichem Talent zum Memoriren,
Mit etwas Witz für Wortspiel und Bonmot,
Mit einigem Verdienst, viel Ehrbegierde,
So kam er jetzt aufs Land, »des Landes Zierde.«
[193]
92.
Da waren auch die beiden großen Männer
Prunkwitz aus Schottland, Flunkwitz aus Dublin,
Des Witzes Fürsten und des Rechtes Kenner.
Prunkwitzen war ein feinrer Geist verliehn,
Flunkwitz war kühn, elastisch wie ein Renner
Und ungezäumt in blüh'nden Phantasien,
Doch manchmal hinkt' und stolperte sein Pathos;
Prunkwitz sprach immer mit dem Munde Cato's.
93.
Prunkwitz war wie ein gutes Pianoforte,
Flunkwitz der wilden Aeolsharfe gleich,
Die mit des Himmels Winden eine Sorte
Naturmusik macht, Moll und Dur zugleich:
Prunkwitz war tadellos in jedem Worte,
Flunkwitz that einzeln einen flachen Streich;
Der Eine war durch Kopf und Bildung witzig,
Beim Andern bracht' es Herz und Blut so mit sich.
94.
Wenn ihr euch wundert, daß man solche Massen
Heterogenster Art zusammenlädt,
Bedenkt, ein Specimen von allen Klassen
Ist besser als ein schläfrig Tête-â-tête.
Die Zeit des Lustspiels, ach, hat uns verlassen,
Wo Congreve's Narr wettstritt mit Molières Bête!
Die Welt ist so polirt, daß die Manieren
Kaum mehr als die Costüme differiren.
95.
Man stellt die Ridicülen in die Ecken,
Die ridicül sind, aber abgestanden.
Wer pflückt der Narrheit Frucht? wo sind die Gecken
Der Ständ' und Klassen? Sie sogar verschwanden.
Zwar Narren giebt's, wer aber mag sie necken?
Sie sind steril. Aus zwei gewalt'gen Banden
Besteht die Welt nur noch, zwei gleich polirten,
Den Ennuyanten und den Ennuyirten.
[194]
96.
Statt voll zu mähn, muß man die Wahrheitsähren
Aufsammeln, wie der Aehrenleser thut.
Komm, Leser, da wir uns von Wahrheit nähren,
So sei du Boas, ich die schlichte Ruth, –
Doch still, da sie die Bibel uns verwehren:
Ich las als Knab', ich weiß es noch sehr gut,
Wie die Frau Adams schrie, »die Schrift citiren
Außer der Kirche, das sei Blasphemiren.«
97.
Ich sammle, was ich kann, von diesem Acker
Voll Spreu, so wenig Korn er auch verheißt.
Gott, ich vergaß den großen Witzbold Gacker,
Der Morgens für die Tafel, wo er speist,
Bonmots in sein Notizbuch schreibt und wacker
Auswendig lernt. »Horch, horch! ach, armer Geist!«
Auf was für dornenvollen Pfaden schreitet
Der Mann, der seine Späße vorbereitet!
98.
Erst muß er das Gespräch auf mannichfachen
Umwegen bis zu einem Wortspiel locken;
Und zweitens muß er immer spähn und wachen,
Nie Zoll um Zoll gehn, sondern unerschrocken
Die Elle schwingen und Furore machen;
Und drittens nie verblüfft sein, niemals stocken
Bei Zwischenreden andrer scharfer Gäste;
Das letzte Wort zu packen ist das Beste.
99.
Dies sind die Freunde, die Mylord besuchen,
Und Mylords Tafel ist so wohlbestellt,
Um selbst am Styx die Geister zu versuchen
Zu einem Ausflug nach der Oberwelt.
Ich schweige von den Braten, Saucen, Kuchen,
Obwohl es aus der Weltgeschicht' erhellt,
Daß Menschenglück, seit Eva Aepfel stahl,
Gar sehr bedingt wird von dem Mittagsmahl.
[195]
100.
Denkt an das Land, wo »Milch und Honig flossen,«
Das Ziel der hungrigen Israeliten.
Uns ward ein zweites Glück, bar Geld, erschlossen,
Das mehr gewährt, als andre Freuden bieten.
Die Jugend welkt, die Liebe macht verdrossen,
Langweilig werden Freund' und Parasiten;
Geld bleibt ein Kleinod, das wir gern gewönnen,
Auch wenn wir's gar nicht mehr misbrauchen können.
101.
Die Herren gingen früh zum Jagen fort,
Die jungen, weil sie's lieben: Knaben fragen
(Nächst Spiel und Obst) zuerst nach Jagd und Sport;
Die ältern, um die Stunden todt zu schlagen.
Ennuni ist englisch Kraut, zwar nicht das Wort,
Jedoch wir thun, was andre Leute sagen,
Und reden gern französisch von den Krämpfen
Des Gähnens, die kein Schlaf vermag zu dämpfen.
102.
Die alten Herren vegetirten mild
In Büchern blätternd, Bilder kritisirend,
Im Garten schlendernd, (ein erbärmlich Bild!)
Mit Kennerblick das Treibhaus inspicirend,
Auch sanft spazieren reitend durchs Gefild,
Oder bei Zeitungen politisirend,
Und sehnsuchtsvollen Blicks die Uhr betrachtend, –
Sechziger, nach der sechsten Stunde schmachtend.
103.
Genirt war Keiner. Bis das ernste Schallen
Der Tafelglocke zur Versammlung lud,
War Jeder Herr des Tages; – freilich Allen
War es nicht klar, wie man den Tag verthut.
Früh oder spät, nach eigenem Gefallen
Stand Jeder auf und zog sich an, so gut
Er konnt', und Frühstück brachte man dem Gaste,
Sobald es ihm und wo und wie es paßte.
[196]
104.
Die Damen, theils geschminkt, theils etwas bläßlich,
Langweilten sich, so gut es ging. Man ritt,
Man las, man sang, man medisirte gräslich,
Man übte neue Tänze, oder stritt,
Ob hübsch die neue Mode sei, ob häßlich,
Man prüfte eines Hutes neuen Schnitt,
Man preßt' in einen kleinen Brief zwölf Bogen,
Die Mahnern gleich zu fernen Freunden flogen.
105.
Denn Freunde, selbst Liebhaber, hatten sie.
Auf Erden, kaum im Himmel, giebt es nichts
Wie so ein Damenbrief, – er endet nie.
Ich liebe solch ein Rätsel: selten spricht's
Das, was es meint, (ganz wie Theologie,)
Und hat Ulyssens List, des schlauen Wichts,
Als er den armen Dolon lockte. Bleibt
Vorsichtig, Leute, wenn ihr wieder schreibt!
106.
Auch Billards gab's und Karten, – Würfel? nein;
Spiel außerhalb des Clubs kömmt nie in Frage;
Bootsfahrt im Herbst und Schlittenfahrt beim Schnein,
Wann Frost zerstört die »Wittrung« duft'ger Tage;
Und Angeln auch, einsame Metzelein,
Was auch Herr Isaac Walton sing' und sage:
Der alte blut'ge Geck müßt' einen Haken
Im Schlunde haben und ein Lachs dran zwacken.
107.
Am Abend kam der Wein und das Bankett;
Mehr oder minder himmlisch vorgetragen
Ertönten später Arie und Duett, –
Ich spür' es noch im Herzen oder Magen.
Die Sauerbeers, die ältern, sangen nett,
Die jüngern mochten lieber Harfe schlagen,
Denn da erhöhten sie den Reiz des Schalls
Durch weiße Arm' und einen schlanken Hals.
[197]
108.
Zuweilen, wann die Herren nicht vom Reiten
Zu müde waren, ließ ein Tanz zum Schluß
Einige Sylphen auf und nieder gleiten.
Dann kam auch etwas Liebelei in Fluß,
Ganz ehrbar, Schmeichelein für Lieblichkeiten,
Die man nicht lieben sollte, aber muß.
Die Jäger jagten nochmals um die Wette
Und gingen dann solid' um zehn zu Bette.
109.
Staatsweise saßen an der Fenstermauer,
Den Staat erörternd und die Welt vertheilend;
Witzbolde standen krampfhaft auf der Lauer,
In des Gespräches Fugen Witze keilend, –
Wer geistreich sein will, hat's auf Erden sauer;
Oft sitzt er Jahre lang, sein Sprüchlein feilend,
Bis eine Stunde kömmt, es anzubringen,
Und dann, selbst dann kann ihn ein Tropf drum bringen.
110.
Der ganze Cirkel war aristokratisch,
Beruhigt und geglättet, kühl und fein,
Wie Phidias Werke, marmorn, still und attisch;
Kein »Junker Western« könnte da gedeihn,
Und die »Sophien« sind nicht so emphatisch,
Hübsch aber sollen sie noch immer sein;
Wir haben keine Strolche wie Tom Jones,
Nur Herren in Corsetts und feinsten Tons.
111.
Zu früher Stunde trennten sich die Gäste,
Das heißt vor Londons Mittag, Mitternacht;
Denn Damen auf dem Lande gehn zu Neste,
So lange noch der Mond am Himmel wacht.
Na, jede müde Blume schlaf' aufs beste,
Die Ros' erneue ihre ächte Pracht!
»Recht früh zu Bett«, das ist für hübsche Kinder
Die beste Schminke, mindestens ein'ge Winter.
Ausgewählte Ausgaben von
Don Juan
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